Endlose Eiszeit – Dan Simmons "Terror"

„Die Temperatur beträgt minus fünfundvierzig Grad und fällt noch immer.“ 

An einem Maitag im Jahr 1845 beginnt für die mehr als 130 Besatzungsmitglieder der „Terror“ und „Erebus“ die Eiszeit. Die stolzen und modernsten Schiffe ihrer Zeit der Royal Navy stechen in See. Ihr Ziel unter dem Kommando von Sir John Franklin: die legendäre Nordwestpassage, die hoch im Norden Amerikas Atlantik und Pazifik verbindet. Doch was als erfolgversprechende Expedition mit erfahrenen Seeleuten an der Spitze beginnt, endet in einer Tragödie. 
Die eisige Kälte, monatelange Dunkelheit und unberechenbare Verhältnisse in einer der unwirtlichsten Gegenden der Erde fordern ihren Tribut. Und dass trotz einer umfangreichen Ausstattung von Gemüse und Fleisch, an Whisky, Rum und Tonnen an Schokolade. Die beiden Schiffe fahren mit modernen Dampfmaschinen und wurden für die Reise ins ewige Eis mit Stahlplatten und mehrere Holzschichten verstärkt.Täglich verliert die Mannschaft neue Mitglieder – durch Unfälle zwischen Eisbergen und -schollen, durch Krankheit wie das tückische Leiden Skorput oder durch die Pranken der riesigen Eisbären. Auch hochrangige Offiziere und Commander Franklin verlieren so ihr Leben. Zweimal müssen beide Besatzungen nahe King William Land überwintern, ehe der Rest der Besatzung rund um Kapitän Crozier eine Entscheidung trifft: Zu Fuß soll das Packeis in Richtung Festland überquert werden. Doch in den eigenen Reihen kommt es zu gewalttägigen Auseinandersetzungen.

Der amerikanische Autor Dan Simmons, 1948 in Illinois geboren, stellt sich mit seinem Roman „Terror“ jener authentischen Geschichte und einer der legendärsten Expeditionen in die Arktis. Herausgekommen ist ein Backstein von Buch: Auf knapp 1.000 Seiten erzählt er die Historie der Männer,  über ihren Mut, ihren Kampf und ihr Scheitern. Sensible Seelen sollten dieses umfangreiche Werk indes nicht vor die Augen bekommen, schreibt Simmons nicht nur packend, sondern auch detailfreudig über das oft entsetzliche Ende vieler der Männer. In den einzelnen Kapiteln stellt er dabei immer einen besonderen Charakter, seine Vorgeschichte, Gedanken und Erlebnisse während der Fahrt heraus, ohne indes den Rest der Mannschaft gänzlich aus den Blick zu verlieren. Im Mittelpunkt stehen dabei neben Commander Franklin und Kapitän Crozier der Schiffsarzt Goodsir, der Steward Bridgens und der Meuterer Hickey, der zum tragischen Schluss mehrere seiner Leidensgenossen kaltblütig tötet, um von ihrem Fleisch zu leben.

Letztlich wird nur ein Mann die Expedition überleben – so viel sei an dieser Stelle verraten. Er findet Zugang zu den Inuits, wird später in ihren Reihen aufgenommen und gründet eine eigene kleine Familie. Dass in diesem spannenden Roman immer wieder die Überheblichkeit der europäischen Kultur, ihre gedachte Überlegenheit im Gegensatz zu den Ureinwohnern zur Sprache kommt, ist ein Verdienst des Buches. Und es hat einen weiteren positiven Effekt neben dem der reinen Unterhaltung als wahrer Pageturner: Der Roman vermittelt ungemein viel Wissen rund um das Thema Schifffahrt, die Herausforderung von Reisen in die Arktis und das schwierige Leben der Inuit. Simmons hat für sein Werk umfangreich recherchiert – das zeigen die Liste der Sekundärquellen, eine Einführung in die Sprache der Inuit und eine komplette Aufzählung der Besatzung beider Schiffe, die am Ende des Buches zu finden sind.

Der Roman „Terror“ von Dan Simmons erschien im Heyne Verlag in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Friedrich Mahler.
992 Seiten, 10,95 Euro.

 

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