„An der Welt prallst Du einfach ab.“
Sven lernt Jola kennen, der Tauchlehrer die Schauspielerin. Er lebt seit einigen Jahren als Tauchlehrer auf einer Atlantikküste (Lanzarote?), sie braucht Tauchunterricht, um ihre Traumrolle zu ergattern und dem trögen Dasein als Serienstar zu entfliehen und die letzte Chance als ernsthafte Darstellerin zu nutzen. Zwischen beiden prickelt es recht schnell, doch zwischen ihnen steht Theo, der Freund Jolas, ein Schriftsteller, der mit seinem Debüt zu Ehre gekommen ist. Indes der Ruhm lässt noch auf sich warten, wie auch der finanzielle Erfolg. Und auch Sven hat eine Partnerin – die um einige Jahre jüngere Antje, die ihm bei seiner Tauschschule zur Seite steht, für die Logistik des Unternehmens verantwortlich ist.
Während Sven es noch nicht wagt, den ersten Schritt zur Affäre zu wagen, macht Jola keinen Hehl daraus und lässt die Welt davon wissen. Auch wenn eigentlich nichts geschehen ist, wie es so schön heißt. Doch Theo glaubt ihr und warnt Sven davor. Sie sei gefährlich und nicht die, für die er sie hält, so sein Rat. Am Ende soll er in dieser Dreiecksgeschichte Recht behalten. Denn vor dem großen Paukenschlag, einem Unfall während eines Tauchgangs zur Entdeckung eines Wracks, zu dem Sven an seinem 40. Geburtstag aufbricht, gibt es immer wieder eine Reihe gefährlicher Situationen, die tragisch enden könnten. Gerade, wenn zwei Laien in eine ihnen unbekannte Unterwasserwelt abtauchen. Juli Zeh ist bekannt für psychologische Spielchen ihrer Charaktere, die es in ihrem neuen Roman „Nullzeit“ ebenfalls gibt. Allen voran Jola, die am Ende des Buches als janusköpfig erscheint, als strebsame Schauspielerin, die ihrem herrschsüchtigen und gewalttägigen Partner entfliehen will sowie als tückische Frau, die keine Skrupel kennt und nicht nur das Leben Svens zerstören, sondern das von Theo beenden will. Sie täuscht falsche Geschehnisse vor. Wie – sei an dieser Stelle nicht verraten, denn gerade darin liegt die Raffinesse dieses Buches.
Die 1974 in Bonn geborene Autorin zählt für mich zu den herausragendsten deutschen Schriftstellerinnen der Gegenwart und zu den kritischsten. Auch in „Nullzeit“ kommen gesellschaftliche Entwicklungen und Stimmungen, bekannte Moden nicht gut weg. Die Szene, als die High Society aus bekannten Künstlern und Intellektuellen auf einem Luxussegler eine Party feiert, ist dafür beredtes Beispiel. Wie auch der Blick hinter die Fassade der Glamour-Welt des Filmes, in der Beziehungen mehr wert sind als Talent. Und selbst in der Person des Sven, in dessen Ausgestaltung und Entwicklung liegt ein kritischer Blick auf die Abgründe des Hier und Jetzt. Für ihn wird am Ende nichts mehr so sein, wie es einst war. Die Insel, einstige Zuflucht vor dem „Kriegsgebiet“ Deutschland, in dem jeder seine Meinung über andere hat und sich kräftig in das Leben der anderen einmischen kann, wird ebenfalls zur Sackgasse, in der sich die Welt gegen ihn verschworen zu haben scheint. Damals hatte er seine ganze Existenz als Jurist in spe aufs Spiel gesetzt und war desillusionierend ausgewandert, um an einem anderen Ort auf der Welt das Glück und vor allem Ruhe zu suchen. Der Begriff „Nullzeit“ kommt im Übrigen aus dem Tauchsport und bezeichnet jene Zeit, die ein Taucher braucht, um ohne gesundheitliche Schäden wieder an die Oberfläche zu gelangen.
Die Insel in ihrer herben Schönheit aus heftiger Atlantikbrandung, einsamen Buchten und schroffen Lavalandschaften zeichnet Juli Zeh auf wunderbare Art und Weise. Immer wieder finden sich herrlich poetische Szenen, wie vom Unruheherd Menschheit entrückt. Vor allem unter Wasser scheint es die perfekte Idylle zu geben – jedenfalls für Sven. Am Ende hat man das Gefühl, ein Buch mit vielen Gesichtern gelesen zu haben. Es erscheint sowohl als ein spannender Psychothriller als auch eine besondere Form der Robinsonade.
Der Roman Nullzeit von Juli Zeh erschien bei Schöffling & Co.
265 Seiten, 19,95 Euro
auch ich fand das Buch besser als die meisten Kritiker (du bist da eine schöne Ausnahme). Eigentlich fand ich alle Personen erst mal sehr uninteressant und mir sehr fremd. Dass Juli Zeh es dann trotzdem schaffte, mich für den Roman zu begeistern halte ich für eine reife Leistung!
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