Literarisch über die Meere und Ozeane der Welt

Sie bedecken nahezu zwei Drittel der Erde. In ihnen begann vor Milliarden von Jahren das Leben. Die Meere unseres Planeten verbinden wir womöglich allerdings heutzutage zuallererst mit Strandurlaub und Kreuzfahrten. Der eine mag an die faszinierende Unterwasserwelt denken,  der andere, wie sie in Gefahr ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat 2016 und 2017 zu den Wissenschaftsjahren für Meere und Ozeane erklärt. Grund genug, einmal in die Tiefe des Blogs und der Buchregale abzutauchen und nach Literatur zum Thema Meer zu suchen.

ZweigDen Anfang macht ein Klassiker, den ich vor einigen Jahren gelesen habe. In der Jugend verschlang ich Bücher über Seefahrten, Entdeckungen und die literarischen Biografien aus der Feder Stefan Zweigs. Einen seiner Bände widmete der Schriftsteller jenem Mann, dessen Expedition als erste die Welt umrundet hat: Ferdinand Magellan (1480 – 1521). Unterschrieben ist das Buch mit dem Titel „Der Mann und seine Tat“. Es erschien 1938, einige Jahre nachdem Zweig bereits eine Vielzahl an Biografien, so über Maria Stuart, Marie Antoinette und Joseph Fouché, geschrieben hatte. Magellan verließ mit einer kleinen Flotte aus fünf Schiffen und mehr als 240 Männern an Bord am 10. August 1519 den Hafen von Sevilla. Der Kapitän sollte allerdings den Erfolg der Reise nicht erleben: Er wurde am 27. April 1521 bei einer Schlacht gegen Einheimische auf den Philippinen tödlich verwundet. Zweig würdigte vor allem den Mut des Portugiesen, sich gegen das noch immer herrschende ptolemäische Weltbild (geozentrische Weltbild) zu stellen, das die Erde als Zentrum betrachtete.

Der Band „Magellan“ von Stefan Zweig erschien unter anderem im Verlag S. Fischer sowie im Insel Verlag

 

f566a-9783423142861-tifBleiben wir bei dem Thema Seefahrt, kommen wir indes zu einem neueren Werk: „Katzentisch“ von Michael Ondaatje. Der Roman erzählt die Geschichte des elfjährigen Michael, der an Bord des Luxus-Dampfers „Oronsay“ allein auf die weite Reise von Sri Lanka nach England geht. Auf dem Schiff befreundet er sich schnell mit den Gleichaltrigen Ramadhin und Cassius Freundschaft. Das Trio erkundet das riesige Schiff und stiehlt in der ersten Klasse gutes Essen und aus den Rettungsbooten Schokoladenriegel. Den Turbinenraum haben sie zu ihrem Hauptquartier erkoren. Doch bei all den irrwitzigen Streichen und Erkundungen lernen die drei Jungs vor allem die Welt der Erwachsenen kennen – denn dafür gibt es keine bessere Gelegenheit als eine lange Fahrt auf engstem Raum umgeben von den Weiten des Meeres. Die thematische Tiefe und seinen Anspruch erfährt dieser bezaubernde und weise Roman mit seinen wunderbaren Episoden und kleinen Geschichten indes durch die Verbindung und die Verschränkung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Katzentisch bezeichnet im Übrigen jenen Tisch, der separat gestellt, am weitesten von der Tafel des Kapitäns entfernt ist. Für Kreuzfahrt-Fans vermutlich ein Graus.

„Katzentisch“ von Michael Ondaatje erschien bereits als Taschenbuch im dtv-Verlag

 

8c238-bichEin ganz ähnliches Buch ist der Roman „Der Atem der Welt“ der Engländerin Carol Birch, die mit diesem Werk 2011 auf der Short-List des renommierten Man Booker Prize stand.  Der Leser lernt darin den Jungen Jaffy kennen, der in die faszinierende Welt der Londoner Docklands eintaucht. Hier kommen auf Schiffen aus aller Welt exotische Tiere an – Affen, Schlangen, Vögel. Ein entlaufener Tiger treibt sein Unwesen. Eines Tages erhält Jaffy die Chance seines Lebens: Gemeinsam mit seinem Freund Tim heuert er auf einem Walfänger an. Die Crew erhält den Auftrag, einen „Drachen“, einen Komodorwaran, zu fangen und nach England zu bringen. Doch die Fahrt auf die andere Seite der Weltkugel birgt Gefahren. Das Glück ist der Mannschaft hold, bis der Drache gefangen und an Bord gebracht wird. Dann überschlagen sich die Ereignisse. Das Tier entkommt, mehrere Tornados lassen das Schiff kentern. Der nackte Kampf ums Überleben beginnt. Nicht nur ein Farbfilm zieht da im Kopf des Lesers vorüber, man kann nahezu sowohl den Schmutz der Docklands und den üblen Geruch des Waltrans als auch die exotischen Düfte der fernen Inseln riechen. Jeder Figur haucht Birch auf besondere Art und Weise Leben ein, jedes Mitglied der bunt gemischten und durcheinander gewürfelten Crew des Walfängers hat seine speziellen Eigenheiten, eine eigene Geschichte zu berichten.

Der Roman „Der Atem der Welt“ von Carol Birch erschien im Insel Verlag.

 

Eis

Ohne das weite Meer würde es keine Inseln geben. Eines der besonderen  Leseerlebnisse hatte ich im vergangenen Jahr mit dem Roman „Eis“ von Ulla-Lena Lundberg, der zu einem meiner Herzensbücher wurde. Die Familie Kummel zieht auf eine Inselgruppe zwischen Schweden und Finnland gelegen, wo Peter Kummel fortan als Pfarrer wirkt. Trotz großer Befürchtungen fühlt sich die kleine Familie von der ersten Minute an, nachdem sie ihre Füße von der Fähre auf das Eiland gesetzt hat, willkommen und pudelwohl. Die Gemeinde kümmert sich rührig um Petter und seine Frau, die am ersten Tag das Pfarrhaus einrichtet und im Stall die Kühe melkt. Nach dem Krieg sind die Zeiten hart, Lebensmittel rar. Die Einwohner ernähren sich hauptsächlich von der Ernte aus dem weiten Meer. Ich hatte mich an dieses ruhige Dasein auf den Öras schon gewöhnt und erlebte den oft hektischen, immer jedoch bescheidenen Alltag bei den Kummels. Doch dann der große Schock, die größte Tragödie. Lundberg lässt den Leser leiden – nach all den schönen Stunden voller Leben, Menschlichkeit und so viel Humor kommt das unendlich Traurige. Nichts ist sicher – das ist die wohl größte Lektion, die dieser wunderbare, so überhaus menschliche und anrührende Roman bereit hält. Dass das einfache Leben pure Schönheit offenbart, in den kleinen Dingen großes Glück und Zufriedenheit liegen – das ist die zweite große Erfahrung der Lektüre.

Der Roman „Eis“ von Ulla-Lena Lundberg erschien im mare Verlag.

 

Schacht_Grimsey_rzU1.inddZugegeben, ich zähle zu jenen Menschen, die noch nie die Gipfel eines Hochgebirges bestiegen und erwandert haben. Meist zieht es mich ans Meer, auf Inseln. Genauso geschieht es dem namenlosen Protagonisten in der Novelle „Inselsammler“ von Ulrich Schacht. Der Name des Buches ist Programm, der Held hat schon viele Eilande, kleine und größere, auf der Welt bereist. Eine Tour führt ihn auf die Insel Grimsey. Nördlich von Island gelegen, verläuft über die Insel der Polarkreis. Der Mann erkundet die Insel mit dem Blick durch die Linse. Bilder entstehen von der Landschaft, dem Meer, den Klippen, der kargen nordischen Landschaft allgemein, sowie markanten Gebäuden wie der Kirche und dem Leuchtturm. Auch Begegnungen werden erzählt. Spezielle Augenblicke, Beobachtungen, Objekte geben schließlich Anlass für den Blick zurück in die eigene Vergangenheit, der bis in die Kindheit reicht. Der Leser wird aufgefordert, jeden Moment, jedes Detail wahrzunehmen; in hektischen Zeiten ein pures Geschenk, das in seiner Buchform von einer schlichten wie liebevollen Gestaltung gekrönt wird.

Die Novelle „Der Inselsammler“ von Ulrich Schacht erschien im Aufbau Verlag.

 

Das Meer ist nicht nur ein Ort voller Leben. Er ist auch verbunde411ld9apijl-_sx308_bo1204203200_n mit tragischen  und traurigen Geschichten. Eine solche berichtet der Franzose Olivier Adam in seinem Roman „Klippen“. Der Protagonist Olivier reist nach Étretat in der französischen Normandie. An der markanten Steilküste hatte sich vor Jahren seine Mutter das Leben genommen. Nicht nur wird er an dem tragischen Ort mit dem damaligen Geschehen konfrontiert. Er blickt zurück auf sein Leben, die Familie, die nach dem Freitod der Mutter nach und nach zerfallen ist. Schonungslos, offen und ohne Selbstmitleid berichtet sein Held. Wie bei einem Gedankenstrom durchmischen sich die Zeitebenen. Die Lektüre des recht schmalen Bandes ist eine ganz besondere Erfahrung. Die Lebensgeschichte des Mannes ist nicht nur sehr berührend. Zwischen dieser dunklen Melancholie angesichts des vielfältigen Schmerzes schimmert auch das Bewusstsein, dass nach aller Tragik das Glück erscheinen kann. Seine eigene Familie, die Frau, die stets an seiner Seite gestanden hat, und das Wunder der gemeinsamen Tochter lässt Olivier zurückkehren in ein helles Leben, ohne das die gesammelten Wunden vergessen werden.

Der Roman „Klippen“ von Olivier Adam erschien bei Schirmer Graf und im Piper Verlag und ist nur noch antiquarisch erhältlich.

 

meerZum Schluss noch eine Empfehlung für alle Freunde der Lyrik. Mit dem Band „Für die Sehnsucht nach dem Meer“ versammelt Herausgeber Joachim Sartorius Gedichte der Neuzeit rund um das Thema Meer, und wie er sagt, eine sehr persönliche Auswahl. So wie die einzelnen literarischen Epochen und Strömungen verschieden sind, so unterschiedlich sind auch die Herkunftsländer der Dichter. Sie reichen von Irland (Seamus Heaney), Island (Stefan Hordur Grimsson) und den USA (Robert Lowell) bis hin zu der Türkei (Oktay Rifat) und Griechenland (Giorgos Seferis). Der Moby-Dick-Schöpfer Hermann Melville ist hier ebenso vertreten wie der Philosoph Friedrich Nietzsche und der sächsische Humorist Joachim Ringelnatz. rauschenWer indes konkret ein Fan der Ostsee ist, dem sei der Band „Die Schönheit ein deutliches Rauschen“ ans Herz gelegt. Die Sammlung von Ron Winkler thematisiert vielmehr die Ostsee, die Städte an deren Küste, die Häfen, Inseln, Strände und Landschaften und die herbe Schönheit. Man denkt an Urlaub, an Kindheitserinnerungen, an eine Flucht in eine Idylle, an Natürlichkeit. Knapp 50 deutsche Autoren sind in dem Band vertreten, darunter einige, die aus Mitteldeutschland stammen, wie beispielsweise Lutz Seiler, Kathrin Schmidt, Udo Grashoff, André Schinkel oder Wilhelm Bartsch.

„Für die mit der Sehnsucht nach dem Meer“, Gedichte versammelt von Joachim Sartorius, erschien im mare Verlag. „Die Schönheit ein deutliches Rauschen – Ostseegedichte“, herausgegeben von Ron Winkler, gab die Connewitzer Verlagsbuchhandlung heraus. 

Diese Auswahl ist natürlich nur ein ganz kleiner, persönlicher Ausschnitt. Das Meer, die Ozeane, Inseln und Küstenlandschaften sind häufig Thema der Literatur. Wer einen interessanten Lesetipp dazu hat, kann diesen gern als Kommentar hinterlassen.

6 Kommentare zu „Literarisch über die Meere und Ozeane der Welt

  1. Eine sehr schöne Auswahl, liebe Constanze! Das Thema Meere hat mich schon immer fasziniert. Mich sprechen „Grimsey“ von Ulrich Schacht und „Der Atem der Welt“ besonders an.
    Hier sind meine Tipps: „Jenseits des Nordmeers“ von Andrea Barrett, „Das blaue Herz des Eises“ von Jenny Diski – beide nur noch antiquarisch. „Schiffsmeldungen“ von Annie Proulx und „Schiffbruch mit Tiger“. Alle vier sind Bücher zum immer wieder Lesen.
    Liebe Grüße, Petra

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    1. Vielen Dank für Deinen Kommentar und die weiteren Anregungen. Ja, „Schiffsmeldungen“ und „Schiffbruch mit Tiger“ kenne ich auch, die hätten mir sogar selbst einfallen sollen, weil ich beide Bücher sehr gern gelesen habe. Die beiden anderen werde ich mir mal notieren. Viele Grüße

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  2. Schön, dass du auch ein Buch vom Mare-Verlag dabei hast. Dort haben alle Bücher etwas mit Meer zu tun. Die Zusammenstellung gefällt mir sehr gut und gibt mir schöne Anregungen!

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