Dürre Zeiten – Claire Vaye Watkins „Gold Ruhm Zitrus“

„Zurückzublicken bedeutete, Geistern die Hand zu geben und sich ein Haus aus den Schwächen und Fehlern der Vergangenheit zu bauen (…).“ 

Lebensbedrohliche Katastrophen und Geschehnisse bringen Menschen dazu, sich in Bewegung zu setzen, lange Wege zurückzulegen; auf der Suche nach einem sicheren Ort, um zu überleben. Das beweisen Ereignisse in der Vergangenheit und jüngsten Gegenwart, das zeigt auch die Literatur. Bestes Beispiel: dystopische Romane wie beispielsweise das Kultbuch „Die Straße“ von Cormac McCarthy oder auch das sehr empfehlenswerte Werk „Das Licht der letzten Tage“ der gebürtigen Kanadierin Emily St. John Mandel. Auch in dem Roman „Gold Ruhm Zitrus“ der jungen Amerikanerin Claire Vaye Watkins bildet Amerika den Schauplatz einer Katastrophe.

Und die ist – wie sollte es anders sein – vom Menschen gemacht. Das als Sunshine-State und für beliebte Agrarprodukte wie Wein, Mandeln und Baumwolle bekannte Kalifornien ist eine einzige Dürrezone. Aus fruchtbarem Boden entstanden riesige Salz-Ebenen. Große und breite Flüsse wie der Rio Grande sind ausgetrocknet, die Pools in den Vorgärten leer, Wälder sind abgestorben. Ein riesiges Dünenmeer namens Amargosa, das stets und ständig und unberechenbar in Bewegung ist, hat ganze Städte, so auch die Glücksspiel-Metropole Las Vegas im Bundesstaat Nevada, unter sich begraben. Das einstige Model Luz und der Ex-Soldat sowie Kriegsveteran Ray zählen zu den Zurückgebliebenen, zu den wenigen Menschen, die noch nicht wie viele andere in den Osten und in fruchtbarere Regionen geflüchtet sind. Sie leben in der einstigen, noch immer glamourösen Villa eines Hollywood-Sternchens. Die zum Überleben nötigen Lebensmittel werden in den geisterhaft erscheinenden Siedlungen als Notration verteilt oder auf Schwarzmärkten zu Höchstpreisen verhökert. Eines Tages machen sie die Bekanntschaft mit einem zweijährigen Kleinkind, das umherstreift und keine Eltern zu haben scheint. Luz und Ray nehmen das merkwürdige Kind, dem sie den Namen Ig geben, in ihre Obhut. Bei beiden entsteht zudem der Wunsch, das Dürreland zu verlassen und nach Utah zu gelangen. Doch das ist eine Tour mit extremen Hindernissen: Flüchtlinge werden bei ihrer Wanderung von Gesetz und Waffengewalt behindert und oft in Notlager eingesperrt. Doch mit einem klapprigen Auto und der Hilfe eines Freundes, der dubiose Geschäfte betreibt, machen sie sich auf den gefährlichen Weg. Und geraten in ein trockenes wie nahezu ausgestorbenes Land.

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Als das Benzin des Fahrzeugs ausgeht, verlässt Ray seine Freundin und das kleine Kind. Mehrere Tage sind beide auf sich allein gestellt und drohen, an Durst und einem Hitzeschlag zu sterben. Bis sie schließlich von Levi, dem Anführer einer Kommune und früherer Wissenschaftler, aufgegriffen und in ein Lager, die sogenannte Kolonie, gebracht werden. Die kleine Siedlung besteht aus markanten Gestalten wie den Heiler Jimmer oder die charismatische Dallas, die in Zelten oder alten Fahrzeugen hausen und sich ihrem Anführer vollständig unterordnen. In dem von Levi vermittelten Irrglauben Ray sei längst tot,  gliedert auch Luz sich nach und nach ein, wird sogar Levis Geliebte, in dessen Bann sie mit Hilfe von Drogen gerät. Doch eines Tages taucht Ray wieder auf, und die Konflikte sind vorprogrammiert.

„Wenigstens hat das Verlorensein eine Energie. Man muss etwas tun. Ich weiß, dass wir dem Ort vertrauen sollen, und das verstehe ich auch. Ich versuche, ein Behältnis zu sein. Aber es ist schwer. Schwer, sich nicht zu fragen, wonach wir suchen.“

Watkins, die für ihr Debüt „Geister, Cowboys“ unter anderem mit dem Story Prize und dem Dylan Thomas Prize geehrt wurde, entwirft in ihrem Roman ein bilderreiches Panorama, dessen Details indes nicht immer leicht auszumachen sind. Informationen zu den Auswirkungen der Dürre auf die Menschen, zu den Ursachen und Maßnahmen gegen die gewaltige Dünenlandschaft sind über den gesamten Roman verstreut und wirken eher versteckt als wirklich klar und deutlich. Man gewinnt den Eindruck, die einzelnen Szenen und maßgeblichen Fakten werden von einem Schleier wie bei einem Hitzeflimmern verborgen. Auch die eigenwillige, teils sehr poetische Sprache trägt dazu bei. Zudem ist „Gold Ruhm Zitrus“ – ein Verweis auf die Hoffnungen und Wünsche der Besiedler des Westens – ein vielstimmiges Werk, das mehrere Perspektiven in sich vereint, ob in den einzelnen größeren Abschnitten oder in den Kommentaren verschiedener Protagonisten, deren kurze Texte in ihrer Abfolge an ein Bühnenstück erinnern, in dem die Charaktere in nur wenigen Sätzen ein besonderes Geschehen beschreiben.

Während der erste Teil, die Szenen, in denen Luz und Ray und ihr Dasein vorgestellt werden und sie sich schließlich auf die Flucht begeben, den Leser trotz der herausragenden erzählerischen Gesamtidee noch nicht wirklich erreichen kann, überzeugt die Autorin  voll und ganz mit dem zweiten Part ihres Buches, in dem vom Dünenmeer und dem Leben in der Kolonie erzählt wird. Levi als charismatischer Anführer erinnert dabei an den Sektenführer Charles Manson, dessen Kommune im Übrigen einst auch Watkins Vater, der Musiker Paul Watkins, angehörte. Levi gelingt es, mit dubiosen und kriminellen Handlungen das Überleben der Kolonie zu sichern, und ist der festen Überzeugung, dass sich unter dem Dünenmeer ein Atommüll- Endlager befindet. In einem Buch versammelt er merkwürdige und teils auch gefährliche Fantasie-Tiere und -Pflanzen, die vermeintlich mit der Katastrophe entstanden sind, so die Skorpion-Biene oder die Liliput-Klapperschlange. Luz und Ig will er als Mutter und Tochter zu religiösen Figuren stilisieren, um den Glauben an eine Prophezeiung in Erfüllung gehen zu lassen.

Wie es die meisten Dystopien so an sich haben, beschließt auch „Gold Ruhm Zitrus“ mit einer ergreifenden Tragödie. Die Kleinfamilie aus Ray, Luz und Ig und die Hoffnung auf eine gute, sichere Zukunft zerbrechen. Einmal mehr hallt der Roman im Leser nach und lässt ihn nachdenken über menschliche Schuld im Großen wie im Kleinen.

 


Claire Vaye Watkins: „Gold Ruhm Zitrus“, erschienen im Ullstein Verlag, in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Susanne Höbel; 416 Seiten, 24 Euro

Foto: pixabay

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