Arthur Conan Doyle „Heute dreimal ins Polarmeer gefallen“

„Es liegt ein Zauber auf diesen Regionen des Polarkreises, der jeden, der in sie vordringt, berühren muss.“ 

Die arktischen und antarktischen Regionen der Welt bilden in zweierlei Hinsicht weißes Land: Eis und Schnee sind die sichtbaren Zeichen einer kalten Welt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein fanden sich in der Gegend rund um die Pole die wohl noch meisten „weißen Flecke“ und unbekannten Landstriche des Erdballs. Deren Erforschung und Eroberung verbinden wohl viele mit bekannten Entdeckern wie Roald AmundsenFridtjof Nansen und Robert Edwin Peary. Doch auch ein englischer Schriftsteller hat sich auf einem Walfang-Schiff in den hohen Norden gewagt: Der Schöpfer des bekanntesten Detektiven-Duos Sherlock Holmes und Dr. Watson, Arthur Conan Doyle, hat seine Reise im Jahr 1880 in einem Tagebuch festgehalten, das in einer eindrucksvollen Ausgabe nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Arthur Conan Doyle ist gerade mal 20 Jahre alt und Medizinstudent, als er die Planken des Walfängers „Hope“ betritt, der am 28. Februar 1880 den heimatlichen Hafen Peterhead, an der Ostküste Schottlands gelegen, für eine sechs Monate währenden Reise in Richtung Arktis verlässt. Er soll als Schiffsarzt dienen. Doch sein Aufgabenfeld ist weiter als gedacht: Für den Kapitän John Gray war Conan Doyle vertrauter Gesprächspartner und Logbuch-Schreiber, zudem scheute der junge Student sich nicht, der Crew unter die Arme zu greifen. Was nichts anderes heißt, als sich mit der Flinte als Robbenjäger nützlich zu erweisen und auch anderes Getier zu erlegen. Zur Abenteuerlust gesellt sich die Jagdlust. Conan Doyle empfindet zwar Mitleid mit den toten Tieren, allen voran den eindrucksvollen Walen, letztlich erfreut er sich an der Beute und dem Jagderfolg und führt eifrig Listen, die neben den Zeichnungen Conan Doyles, den Briefen an die Mutter sowie Auszügen aus dem Faksimile in dem Band aufgenommen worden sind. An Bord befanden sich auf der Rückreise zwei Wale, rund 3600 Robben sowie eine stattliche Anzahl an Eisbären, Narwalen und Polarvögel.

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Für Tierfreunde oder gar aktive Tierschützer bereitet die Lektüre deshalb ein wohl schmerzliches Erlebnis. Auch ich hegte manches Mal den Gedanken, das Buch zuzuklappen und das Lesen zu beenden, denn in nahezu jedem Tagebuch-Eintrag geht es um die Jagd und den Jagderfolg ergo um Tiere, deren Leben teils mit brutalen Methoden ausgelöscht wurden, darunter auch eine nicht geringe Anzahl an Jungtieren. Doch wiederum gibt der Band interessante Einblicke in jene weiße Welt, die vom Menschen eher gemieden wird, es sei denn es handelt sich um die Ureinwohner, die sich an die schwierigen Lebensbedingungen in einer nur auf den ersten Blick lebensfeindlich erscheinenden Region angepasst haben, oder um heutige Touristen.

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Die Fahrt der „Hope“ führt von Schottland und über die Shetland-Inseln, auf denen ein großer Teil der Besatzung ansässig ist, in das Polarmeer zwischen Grönland und Spitzbergen. Eine kräftezehrende wie nicht ungefährliche Reise. Conan Doyle fällt selbst, wie es auch der Titel des Bandes bereits verrät, ins eisige Wasser und hat Glück, sich an Eisschollen heraufzuziehen und den Weg auf das Schiff zu finden. Mehrfach trifft die Besatzung auf andere Schiffe, ein Wettbewerb um die meiste Beute entsteht. Gegenüber der Crew empfindet Conan Doyle Respekt, zum Kapitän pflegt er ein gutes Verhältnis, der es schließlich bedauert, dass der junge Medizinstudent nicht für eine weitere Fahrt anheuert. Über all das schreibt der spätere weltberühmte Autor, auch über das langwierige Ausharren auf die Wale, das tückische Wetter, die Isolation in der Arktis, in der es nur Weite, Meer, Eis und Schnee gibt. Das Schiff wirkt als schwimmende Bastion der Zivilisation, denn ihren Tee vergessen die Briten nie und nirgendwo. Auch an einem besonderen „Haustier“ mangelt es nicht: In einem Gurkenglas hält Conan Doyle eine Meeresschnecke, zu ihrem tragischen Ableben und deren Gedenken hinterlässt er sogar im Tagebuch eine kurze Trauernotiz: „John Thomas, verstorben am 8. Juni. Ein großer Bekanntenkreis trauert um ihn“. Es ist nicht die einzige Textstelle, die den speziellen Humor des Engländers beweist.

„Marschierte eine beträchtliche Strecke und wäre auch bis zum Pol gegangen, wenn mir nicht die Streichhölzer ausgegangen wären, sodass ich nicht mehr rauchen konnte.“

Diese Schiffsfahrt soll Conan Doyle Zeit seines Lebens prägen, obwohl er weitere besondere Reisen erleben wird: Er durchquert 1894 auf Skiern den Schweizer Alpenpass Maienfelder Furgga von Davos bis Arosa, zwei Jahre später nimmt er als Arzt am Burenkrieg in Südafrika teil, während die „Hope“, 1873 in Aberdeen erbaut, wegen ihrer besonders sicheren Ausstattung 1882 für eine Rettungsmission in der Arktis auserwählt wird. Doch auch literarisch hinterlässt die Arktis-Reise wichtige Spuren: Der Schiffsarzt des Schoners Eira, mit dem der britische Polarforscher Benjamin Leigh Smith, die Arktis bereist, soll vermutlich als Vorbild für die Figur des Dr. Watson gedient haben. Die Beiträge, die Conan Doyle über die nördlichste Region der Erde schreibt, begründen seine Schriftsteller-Karriere. Außerdem finden sich in seinen künftigen Erzählungen immer wieder Anspielungen auf Seeleute, Schiffe und das Meer. Zwei – „Der Kapitän der Pole-Star“ (1893)  und „Der schwarze Peter“ (1904)  – sind ebenfalls in den Band aufgenommen worden, der damit über das Tagebuch hinaus spannende Eindrücke über das Werden und die Quellen eines weltberühmten Schriftstellers vermittelt; vor allem dank der wunderbar reichen und liebevoll zusammengebrachten Ausstattung des Bandes.


Arthur Conan Doyle: „Heute dreimal ins Polarmeer gefallen. Tagebuch einer arktischen Reise“, erschienen im mare-Verlag, als Taschenbuch im btb-Verlag; herausgegeben von Jon Lellenberg und Daniel Stashower; aus dem Englischen übersetzt und erweitert von Alexander Pechmann; 352 Seiten, 14,99 Euro

Foto: pixabay

5 Kommentare zu „Arthur Conan Doyle „Heute dreimal ins Polarmeer gefallen“

  1. Als engagierte Tierschützerin und Tierrechtlerin werde ich auf die Lektüre verzichten, auch wenn das Tagebuch „interessante Einblicke in jene weiße Welt“ vermitteln mag. Du hast auf die Problematik ja selbst hingewiesen. Auf jeden Fall aber habe ich durch diesen Beitrag hier mir bislang Unbekanntes über Arthur Conan Doyle erfahren.

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    1. Ich kann Deine Meinung sehr gut nachvollziehen. Auch ich hatte meine Schwierigkeiten mit den Jagdszenen, vor allem mit der Häufigkeit der Schilderungen und der Brutalität. Traurig vor allem, dass dieses Tagebuch ein reales Zeugnis und all das geschehen ist. Viele Grüße

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