Maya Angelou „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“

„Was immer Schwarze anderen Schwarzen gaben, der Spender hatte es ebenso bitter nötig wie der Empfänger.“ 

Es gibt Bücher, die bleiben im Gedächtnis von Generationen. Ihr jeweiliger Name und ihre Bedeutung werden weiter getragen. Ein gewisser, unbeschreiblicher Glanz umgibt sie. Und trotz ihres Ruhmes gibt es noch immer Leser, die noch nicht der großen Fangemeinde angehören. Ich selbst lernte Maya Angelou und ihr Buch „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ überhaupt erst dank zweier Zufälle kennen. Den Band entdeckte ich beim Stöbern in meiner Lieblingsbuchhandlung. Doch bekanntlich müssen gekaufte Bücher bis zur ihrer Lektüre oftmals ein wenig schmoren; es braucht den günstigen Zeitpunkt, die günstige Stimmung oder eben einen bestimmten Anlass. Der kam recht schnell mit dem Start des virtuellen Lesekreises #54reads, der das Werk der Afroamerikanerin zur Januar-Lektüre bestimmt hatte.

„Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ erschien 1969 mit dem Originaltitel „I Know Why the Caged Bird Sings“. Die deutschsprachige Erstausgabe brachte erst elf Jahre später der Verlag Stroemfeld/Roter Stern heraus. Es folgte eine Ausgabe des Unionsverlags. Im vergangenen Jahr legte der Suhrkamp Verlag das Werk in Form einer Neuausgabe wieder auf – 90 Jahre nachdem Angelou in St. Louis zur Welt gekommen war. In ihrem autobiografischen Buch schildert sie ihre Kindheit und Jugend in den 1930er- und 1940er-Jahren. Eine Zeit, die mehr Schattenseiten als Glücksmomente kennt. Gemeinsam mit ihrem älteren Bruder Bailey wird sie von den Eltern, die sich trennen, von Kalifornien nach Arkansas geschickt, wo sie bei der Großmutter, der Mutter ihres Vaters, leben sollen. Momma, wie sie von Marguerite/Maya genannt wird, ist eine taffe Frau, die mit ihrem behinderten Sohn einen Laden in der Kleinstadt Stamps führt. Sie gehört der Gemeinde der Methodist-Episcopal-Kirche an und wird zur Bezugsperson und Mentorin des Mädchens, das sich als ein ungezügeltes Energiebündel erweist. Doch es ist nicht die Religion, die dem Kind eine Richtschnur gibt. Es ist die Kraft und Haltung ihrer Großmutter, die sie prägt. Weitere Personen werden in den nächsten Jahren folgen, die in ihr kleine Keime der Stärke und Würde setzen, wie beispielsweise Mrs. Flowers, eine angesehene Dame, die Mayas Liebe zu den Büchern noch verstärkt.

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Die Literatur und die enge Beziehung zu Momma und ihren geliebten Bruder geben Kraft, in einer Zeit, in der Maya nicht nur die Armut der afroamerikanischen Bevölkerung wahrnimmt und die vielen Gesichter des Rassismus von Demütigung und  Ausgrenzung bis zu grausamer Gewalt sowie die Erniedrigung des weiblichen Geschlechts vielfach zu spüren bekommt. Sie wird mit acht Jahren Opfer eines furchtbaren Verbrechens, verübt von dem Freund ihrer Mutter. Ein Erlebnis, welches das Ende ihrer Kindheit setzt und sie für immer verändert, eine Szene, die wohl die dramatischste des ganzes Buches ist. Auch später gibt es keine wirkliche Sicherheit – wie denn, wenn beide Kinder zwischen Momma und den Eltern hin- und hergerissen werden, vom vertrauten Zuhause auf dem Land in die pulsierenden Großstädte St. Louis und San Franciso ziehen, zudem die Welt aus den Fugen gerät: mit der Weltwirtschaftskrise, mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Doch Maya kennt nur den Weg nach vorn: Als Jugendliche beginnt sie als erste afroamerikanische Schaffnerin in der Straßenbahn der Pazifik-Metropole zu arbeiten.

„Ist das Heranwachsen für das schwarze Mädchen im Süden schmerzhaft, das Wissen um ihre Deplatziertheit ist der Rost an der Klinge, die die Gurgel bedroht.“

Ihr Erzählen ist ein eher ungezügeltes, das oft keine Richtung kennt, sondern einen Strom aus Szenen, Gedanken und Gefühlen, aus prägenden Erlebnissen und Beobachtungen der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse bildet, die sehr bildhaft und sinnlich sind und oft poetische Vergleiche beinhalten. Die Stimmung der Erinnerung pendelt zwischen Lebenslust und Melancholie. Zwischen dem Lachen und dem Weinen liegt ein schmaler Grat, zwischen Hass auch immer eine Menschlichkeit, die strahlt.

Maya Angelou starb 2014. In ihrem Leben hat sie viele Grenzen überwunden und für einige Meilensteine der amerikanischen Geschichte gesorgt. Sie las als erste Dichterin während der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten, sie war Gastprofessorin, obwohl sie keinen Hochschulabschluss vorweisen konnte. Zu ihren Freunden zählten unter anderem der Bürgerrechtler Martin Luther King und der Schriftsteller James Baldwin. Mit ihrem Buch „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ hat sie ein großes Stück Literaturgeschichte geschrieben, das es – wie auch die Bücher Baldwins –  hierzulande wieder zu entdecken gilt.

Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „54books“.


Maya Angelou: „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“, erschienen in einer Neuauflage beim Suhrkamp Verlag, in der Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Harry Oberländer; 321 Seiten, 12 Euro

Foto: pixabay

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