Ian McEwan – „Maschinen wie ich“

„Werkseinstellungen – ein modernes Synonym für Schicksal.“

Übermannsgroß ist er, sein Gesicht recht kantig. Seine Haare erscheinen wie mit dem Küchenmesser gestutzt. Aus seinem Hals ragen zwei stählerne Bolzen.  Das künstliche Geschöpf des Schweizer Wissenschaftlers Victor Frankenstein ist wenig ansehnlich und eher ein erschreckendes Wesen. Monster wird die furchteinflößende Gestalt in dem Klassiker von Mary Shelley „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ bezeichnet. Die Engländerin hat jene fantastische Geschichte geschaffen, die das Denken über den Menschen als Schöpfer einer Kreatur maßgeblich geprägt hat. Sie und ihr 1818 zuerst anonym erschienenes Meisterwerk bleiben in dem neuen Roman ihres Landsmanns Ian McEwan nicht unerwähnt. Und „Maschinen wie ich“ weist noch weitere Parallelen auf – obwohl der moderne „Frankenstein“ recht hübsch anzusehen ist.

Turing lebt!

Beide Bücher zu lesen – parallel oder nacheinander – lohnt sich sehr. Ich habe „Frankenstein“, eine recht düstere, berührende und sprachlich ungemein einnehmende Lektüre, für meinen Lesekreis zur Hand genommen und entschied mich kurzerhand, mich dem neuen Werk McEwans gleich im Anschluss zu widmen. Angesiedelt ist dessen Handlung in den 1980er-Jahren in London. Wer glaubt indes, eine uns bekannte Vergangenheit zu erleben, irrt. Mit einem intelligenten Kniff ist diese Welt eine andere: Das autonome Fahren ist längst im Alltag angekommen. Es gibt Roboter, die kaum vom Menschen zu unterscheiden sind. 25 Stück von ihnen, die die biblischen Namen Adam und Eva tragen, sind über den ganzen Erdball verstreut. Ursache dieser für unsere Augen erstaunlichen Entwicklung ist der Umstand, dass McEwan der Geschichte eine entscheidende Wendung gibt. Er lässt den einflussreichen Mathematiker und Informatiker Alan Turing über seinen realen Freitod im Jahr 1954 hinausleben. Er sorgt mit seinen Ideen für einen ungeahnten Fortschritt, der teils weit über unseren aktuellen technischen Stand hinausgeht.

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Einen dieser männlichen Roboter erwirbt für viel Geld Charlie Friend. Der 32-Jährige verdient sich mehr schlecht als recht seine Brötchen mit Börsenspekulationen im Web. Wegen Betrugs hat er bereits im Gefängnis gesessen. Mit seiner Nachbarin, der zehn Jahre jüngeren Miranda, beginnt er ein Verhältnis, das vor einer ersten Zerreißprobe steht, als sie mit dem menschenähnlichen, indes künstlichen Wesen ins Bett steigt. Es sollte nicht die einzige Auseinandersetzung in dieser ménage à trois bleiben. Denn Miranda, Studentin und Tochter eines Schriftstellers, hat ein dunkles Geheimnis und Schuld auf sich geladen, die sie gegen Ende des Romans abbüßen muss, weil auch Adam seine Finger im Spiel hat.

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Ian McEwan (Wikipedia/Thesupermat)

Er erlebt mit Besorgnis, wie seine Brüder und Schwestern technischen Selbstmord begehen und jeweils ihr System zerstören, weil sie mit der Menschheit und seinem Fehlverhalten nicht zurechtkommen. Auch Frankenstein zweifelt und wird gerade zu einem mordenden Monster, weil die Menschen ihn nicht tolerieren, ihn vielmehr nur nach seinem Äußeren bewerten, obwohl er nach seiner Flucht in die Berge hilfsbereit ist, sich die Welt der Menschen und das Wissen selbstständig aneignet. Adam ist ebenfalls den Menschen überlegen: Er hat Gefühle, ist gebildet, in der Literatur bewandert, er hilft Charlie und Miranda an der Börse zu einem Vermögen, das er nicht für sich in Anspruch nimmt.

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Mary Shelley, gemalt von Richard Rothwell

Charlie, sympathischer, selbstbewusster und windiger Held sowie zugleich Ich-Erzähler, löst die Dominanz des Roboters, sein folgenreiches Eingreifen in das Leben des Paares, mit einem Gewalt-Akt, einem ebenso biblischen, der an die Geschichte von Kain und Abel erinnert. Im Gegensatz zu den zahlreichen Science-Fiction-Geschichten, die über die existenzielle Bedrohung der Menschheit durch künstliche Intelligenz erzählen und vor der auch der Physiker Stephen Hawking eindringlich gewarnt hat, sind es die Humanoiden, die aufgrund der fehler- und lasterhaften sowie verrohten, rundum wenig menschlichen Menschheit letztlich scheitern.

„Adam sagte: Da haben wir es: Hirn und Geist. Das alte, schwierige Problem, bei Maschinen nicht weniger vertrackt als bei Menschen.“

Obwohl in der Vergangenheit zeitlich verortet, ist „Maschinen wie ich“ durchaus ein überaus interessanter, mal humorvoller, mal kritischer Roman der Gegenwart. McEwan lässt aktuelle Entwicklungen und Diskussionen anklingen: Brexit und Klimawandel, der Einfluss der zunehmenden Digitalisierung und Technisierung auf den Arbeitsmarkt. In Großbritannien kommt es zu Demonstrationen und Aufständen. Es herrscht Unruhe im Land, die in den Mord des neu gewählten Premierministers und Nachfolgers von Margaret Thatcher gipfelt.

Verhältnis zwischen Mensch und Maschine

Dabei begleitet ein leichtes Gefühl des Haderns die Lektüre des neuen Streichs des Engländers. Es ist nicht alles rund in diesem trotz alledem klugen Roman. Die Nebengeschichte um Mirandas Vergangenheit scheint nicht so recht in dieses Gesamtthema zu passen. Gegen Ende, als Charlies Freundin vor Gericht steht, huscht das Geschehen regelrecht am Leser vorbei. Erst mit dem letzten Dialog zwischen Charlie und Turing, das erneut eindrucksvoll das spannende Verhältnis zwischen Mensch und Maschinen aufgreift, hatte ich wieder den Eindruck, den Anspruch von McEwans Werken zu erfahren.

Trotz alledem hat mir sein neuer Roman eine unterhaltsame sowie gewinnbringende weil das Nachdenken anregende Lesezeit bereitet. Über das wunderbar zu diskutierende Verhältnis zwischen beiden Romanen von Shelley und McEwan hinaus, inspiriert „Maschinen wie ich“ dazu, sich weiter dem Thema und vor allem den Fragen von Wissenschaft und Ethik dank der Literatur zu widmen. Denn ein weiterer berühmter Name taucht während des Geschehens auf: jener des berühmten russischen Science-Fiction-Autors Isaac Asimov (1919 – 1992), der sich in seinen Romanen intensiv mit Robotern beschäftigt hat. Literarischen Stoff gibt es also genug.

Weitere Besprechungen auf den Blogs „Peter liest“, „Zeilenwanderer“ und „Das graue Sofa“


Ian McEwan: „Maschinen wie ich“, erschienen im Diogenes Verlag, in der Übersetzung aus dem Englischen von Bernhard Robben; 416 Seiten, 25 Euro

Mary Shelleys Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ ist in mehreren Ausgaben verschiedener Verlage erhältlich – so von Manesse und von Reclam.

Bild von rony michaud auf Pixabay

7 Kommentare zu „Ian McEwan – „Maschinen wie ich“

  1. Danke für diese sehr differenzierte Besprechung! Ich hatte bisher eher Negatives darüber gehört und auch du sprichst ja Schwächen an, aber anscheinend lohnt sich die Lektüre doch. So richtig schlecht kann McEwan ja eigentlich auch gar nicht sein…

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  2. Ja, klar. Die Parallellektüre mit Shelleys „Frankenstein“ leuchtet sofort ein und ist ganz sicher erhellend. Dank für diesen Hinweis und deine differenzierte Vorstellung des McEwan-Romans. Wir sind uns, so glaube ich, einig: lesenswert, aber sicher nicht sein bisher größter Wurf.

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  3. Liebe Constanze,
    ich frage mich ja doch, ob Adam wirklich Gefühle hat. Oder er sich nicht durch sein umfassendes Wissen über die Menschen – und vor allem ihre Literatur – ein ziemlich gutes Verhaltensrepertoire angeeignet hat, das wie Gefühl anmutet.
    Mir scheint Mirandas Geheimnis für die Handlung ganz wichtig, weil deutlich wird, dass Menschen ihre Lieben auch subjektiv bewerten, dass sie vergeben oder vertuschen können, während die rational urteilende Maschine, die die Werte und Normen der Menschen als Grundlage ihres Handelsn und Entscheidens zugrunde legt, über die Fehler der Menschen eben nicht hinwegschauen kann. Daraus entsteht ja dann das sehr schöne Dilemma im Roman, das Charlie ja dann auf seine Art löst.
    Das Thema „Mensch und Maschine“ scheint gerade ja in der Literatur sehr aktuell, denn in Emma Braslavskys Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“ sind die Menschen (vor allem: die Berliner ;)) noch einen Schritt weiter als bei McEwan, denn hier haben sie die KI, nach eigenen Wünschen programmierbar, bereits in großem Umfang zu ihren Lebengefährten gemacht. Und Roberta, eine KI als Sonderermittlerin der Polzei, untersucht, während sie ihrem Job nachgeht und Selbstmorde aufklärt, was es mit dem menschlichen Erleben, Fühlen und Handeln auf sich hat. Der Roman passt also gut in deine Reihe.
    Viele Grüße, Claudia

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    1. Vielen Dank, liebe Claudia, für Deinen ausführlichen Kommentar. Wie man sieht, kann man sich sehr ausführlich über dieses Buch austauschen. Vor allem die Frage eigene Gefühle oder nur Input ist da sehr spannend. Ich glaube in gewisser Weise hat er Gefühle, ihm werden ja auch durch Charlie und Miranda Wesenszüge eingegeben. Sind diese nicht schon Grundlage für Empfindungen und damit Reaktionen? Ich werde deinen Lesetipp mir gern annehmen. Ich wollte sowieso von der Autorin mal etwas lesen. Viele Grüße

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  4. Liebe Constanze,
    das ist dann aber die literarische Sicht auf Computer, nämlich dass sie Gefühle haben können. Erfahrungen haben sie, das klärt in diesem Beitrag Joanna Bryson, und sie sind sich ihrer selbst mehr bewusst als wir Menschen, weil sie über alle Erfahrungen ständig verfügen. Insofern können sie Entscheidungen treffen – und auch lernen. Aber, so erklärt es die Wissenschaftlerin: „Maschinen können die Bedeutung von Wörtern lernen, aber sie können diese Bedeutung nicht fühlen. Lieben, sich ausgeschlossen fühlen, gewinnen, verlieren – diese Dinge bedeuten etwas für uns, weil wir soziale Wesen sind. Wir teilen Gefühle mit Affen und anderen Tieren. Aber nicht mit Computern.“ https://science.orf.at/stories/2863692/
    Und das finde ich, noch stärker bei Braslavski als bei McEwan, ist das Problem bei den Geschichten um die Andoiden bzw. KI bzw. Recheneinheiten, wie sie bei Braslavski genannt werden. Da sie so „vermenschlicht“ werden, habe ich Schwierigkeiten mit dem literarischen Konzept.
    Vielleicht können wir unsere Diskussion ja nach der Braslavski-Lektüre noch weiterführen. Mit möglichst unterschiedlichen Blicken auf die Romane und das Thema. Das würde mich freuen.
    Ein sonniges Wochenende wünscht Claudia

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