Backlist #12 – Becky Chambers „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“

„Von einer Spezies, die mit sich selbst im Krieg liegt, kann nichts Gutes kommen.“

Der Weltraum – unendliche Weiten. Mittendrin die Wayfarer, ein Raumschiff, das den Weltraum ein Stück weniger unendlich macht, obwohl es schon einige Jahre auf dem Buckel hat und vor allem aus Ersatzteilen besteht. Mit einer besonderen Technologie bohrt es sogenannte Raumtunnel, auch Wurmlöcher genannt, die Raum und Zeit aufheben und somit den Weg zwischen weit entfernten Galaxien und Planeten verkürzen. Auf dem klapprigen, aber durchaus noch zuverlässigen Langstreckenschiff, das als Treibstoff Algen nutzt, heuert die junge Rosemary unter falschem Namen an. Sie soll die zusammengewürfelte Crew aus den verschiedensten Spezies verstärken und vor allem Kapitän Ashby als Assistentin zur Hand gehen. Wenig später erhält die Wayfarer-Mannschaft einen lukrativen, aber auch gefährlichen Auftrag: Sie soll einen Raumtunnel zu einem weit entfernten Planeten bohren, deren Bewohner nicht zu den friedlichsten Wesen des Universums zählen und gefürchtet sind. 

Mit renommierten Hugo-Award geehrt

Mit „Der lange Weg zu einem zornigen Planeten“ hat die Amerikanerin Becky Chambers, 1985 in Kalifornien geboren, den Auftakt für ihre bisher auf drei Teile angelegte Wayfarer-Serie geschrieben. 2014 im Original erschienen, räumte die Tochter einer Astrobiologin und eines Luft- und Raumfahrttechnikers nun fünf Jahre später den wohl renommiertesten Preis in der Science-Fiction-Szene gleich zweifach ab. Sie erhielt den Hugo-Award sowohl für die Wayfarer-Serie als auch für den dritten Teil „Unter uns die Nacht“ (Original: „Record of a Spaceborn Few“). Und wer einmal den Auftakt-Band in der Hand hält und zu lesen beginnt, kann diese Ehrung nachvollziehen und wird vor allem im Anschluss so schnell es geht zu Band zwei mit dem Titel „Zwischen zwei Sternen“ greifen.     

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Persönlich habe ich mir vor einiger Zeit fest vorgenommen, mich mehr der Science-Fiction-Literatur zu widmen, die leider nicht die Aufmerksamkeit erhält, die ihr zustehen sollte. Dabei vermag sie auf besondere Weise, sich aktuellen Problemen und Fragen der Menschheit und deren Zukunft zu stellen und zum Nachdenken anzuregen. Auch Chambers wagt einen Blick voraus. Die Menschheit hat das Leben auf der Erde und ihr Zuhause durch Kriege und Umweltzerstörung zunichte gemacht und sich vor rund 200 Jahren auf anderen Planeten oder riesigen Raumschiffen der Exodus-Flotte niedergelassen. So stammt Rosemary vom Mars, als sie auf die Wayfarer kommt. Kapitän Ashby kennt nur das Leben im All. Doch ganz so trostlos ist dieser Roman nicht, ganz im Gegenteil. Denn die Amerikanerin entwirft eine eindrucksvolle und optimistische Zukunftsvision, die es recht selten im Bereich der Science-Fiction-Literatur gibt. Sowohl die Crew aus Vertretern verschiedenster Lebensformen von den verschiedensten Planeten stammend als auch die Galaktische Union, der erst seit einigen Jahren die Menschen angehören, beweist, dass ein weitgehend harmonisches Zusammenleben unterschiedlicher Spezies möglich sein kann. Der Roman ist ein Plädoyer für gegenseitigen Respekt und Toleranz und begeistert den Leser zudem durch seine grenzenlose Fantasie.

Spezielle Lebensgeschichten

Denn mit sehr viel Detailfreude beschreibt Chambers die äußeren Merkmale der Protagonisten und die jeweiligen Orte, an denen die Wayfarer „anlegt“. Jedes Besatzungsmitglied weist Besonderheiten auf und kann eine spezielle Lebensgeschichte erzählen. So besitzt das Ohan-Paar nur durch die Wirkung von Viren besondere Fähigkeiten als Navigator. Pilotin Sissix und ihre humanoide Reptilien-Spezies pflegen einen besonderen intimen Umgang miteinander. Mechaniker Jenks hat eine spezielle Beziehung zu Lovelace, der Künstlichen Intelligenz an Bord. Koch und Schiffsarzt Dr. Chef zählt nur noch zu den wenigen Exemplaren seiner Spezies. Sowohl hinter der Identität von Corbin als auch hinter der Ursache für Rosemarys Entscheidung, ihren Dienst auf der Wayfarer anzutreten, verbirgt sich ein dunkles Geheimnis.

„Die Vorstellung eines gemeinsamen Erbguts, das durch die Galaxis treibt, ist in vielerlei Hinsicht leichter zu akzeptieren als die niederschmetternde Erkenntnis, dass vielleicht keiner von uns je die intellektuelle Kapazität haben wird, das Leben wirklich zu verstehen.“

Dieser Roman erzählt nicht nur über die ereignisreiche sowie gefährliche Reise der Wayfarer durch das Universum zum Planeten der kriegerischen Toremis mit Zwischenhalten an einer Reihe von teils kuriosen Stationen. Chambers lenkt den Fokus dabei auch auf die Schiffscrew, die für Rosemary schließlich zu einer Familie wird. Jede Herausforderung verstärkt den Gemeinschaftssinn und schweißt die Wayfarer-Crew noch enger zusammen. Sogar eher kühle Beziehungen wie jene zwischen Corbin und Sissix wandeln sich mit der Zeit.

Lebendig und fantasievoll erzählt

Neben der abenteuerlichen Tour der kuriosen wie liebenswürdigen Mannschaft beschäftigt sich Chambers zudem mit interessanten wie brisanten Themen, so unter anderem mit der Künstlichen Intelligenz und ihren Rechten, dem Eingriff des Menschen in die Evolution mit dem Klonen oder der kriegerischen Vergangenheit der Menschheit.  Auch der Frage nach der Heimat geht sie nach. Doch neben dem ernsten Hintergrund beweist die Amerikanerin neben ihrer Gabe für lebendiges und fantasievolles Erzählen des Weiteren einen sympathischen Humor.  Für diese spannende, unterhaltsame und berührende Space Opera muss man kein Fan von Science Fiction sein, aber man kann es mit dieser wunderbaren Lektüre durchaus werden. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis dieser Roman auf die große Leinwand kommt.

In der Reihe „Backlist“ werden Romane verschiedenster Verlage vorgestellt, die bereits vor einigen Jahren erschienen und womöglich bereits leicht in Vergessenheit geraten sind, doch die es wert sind, dass an sie erinnert wird. Bisher in dieser Reihe veröffentlichte Besprechungen gibt es zu

Carmen Laforet „Nada“

Davide Longo „Der aufrechte Mann“,

Per Petterson „Nicht mit mir“

Agota Kristof „Das große Heft“

Michela Murgia „Accabadora“

Robert Seethaler „Der Trafikant“

John Wray „Die rechte Hand des Schlafes“

György Dragomán „Der weiße König“

Einar Már Gudmundsson „Engel des Universums“

Gila Lustiger „Die Schuld der anderen“

James Hanley „Ozean“


Becky Chambers: „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“, erschienen bei Fischer Tor, in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Karin Will; 544 Seiten, 10,99 Euro

Bild von Reimund Bertrams auf Pixabay

24 Kommentare zu „Backlist #12 – Becky Chambers „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“

  1. Deine Idee mit der Backliste finde ich toll, denn über eine kurzen Zeitraum lassen sich doch nur eine bestimmte Anzahl an Titeln besprechen. Und viele gute Romane fallen dann anschließend durchs Raster. Gerade kleinere Verlage freuen sich, wenn man nochmal zurückblickt und das Augenmerk auf ein älteres Buch legt. Zumal Bücher ja mit dem Alter nicht schlecht werden. ;-)

    Chambers Roman klingt übrigens interessant. Allein die Tatsache, dass ich nicht so der Jugendbuchleser bin, lässt mich noch etwas zögern. Ansonsten bin ich für gut durchdachte Sci-Fi immer zu haben. Und ich gebe Dir Recht: Dieses Genre wird immer noch viel zu unterbewertet. Vieles was einst Zukunftsvision war, ist mittlerweile Realität. Nicht selten erhält man hier Antworten auf Fragen, die sich erst in ein paar Jahren stellen.

    LG aus der kriminellen Gasse und noch einen schönen Sonntag
    Stefan

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    1. Ich danke dir sehr für den Gruß aus der kriminellen Gasse, Stefan. Mir liegt es sehr am Herzen, auch Titel zu besprechen und vorzustellen, die schon vor einiger Zeit erschienen sind. Gute Bücher bleiben ja gute Bücher, sie brauchen nur eine erneute Aufmerksamkeit. Leider ist die Zeit allzu schnelllebig. Und ich habe das Gefühl, es wird immer extremer.

      Ich habe mir angewöhnt, in Buchhandlungen, die ich besuche, auch immer die Ecke mit Sci-Fi-Titeln anzuschauen und auch in die Programme der jeweiligen Verlage zu schauen.

      Viele Grüße
      Constanze

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      1. Das finde ich sehr schön, denn wie du schon richtig sagt – es wird alles immer schnelllebiger. Da werden dann teilweise von 4-5 Blogs in einem kurzen Zeitraum ein und diesselben Bücher besprochen und viele andere Titel fallen durch das Raster. Naturgemäß, denn es ist unmöglich, diese Menge an Neuerscheinungen komplett abzufangen. Ich habe mich schon seit langem darauf verlegt, vor allem einen Blick auf ältere Titel zu werfen. Sei es um den Autor wieder ins Scheinwerferlicht zu rücken oder einfach um nach dem Hype ein Buch nochmal hervorzuholen, denn an den ersten ein, zwei Auflagen verdienen die kleinen Verlage meist erstmal gar nichts. Das bringt mir zwar insgesamt deutlich weniger Klicks (das große Interesse liegt auf den Novitäten), was aber ohnehin nicht der Anspruch sein sollte – sondern eben die von Dir genannte erneute Aufmerksamkeit. Hier können wir Blogs zumindest den Kleinverlagen – und damit dann am Ende auch uns als Leser – oft viel Gutes tun.

        Gerade Sci-Fi hat es ja immer schwerer. Habe erst vorgestern einen Artikel gelesen, dass Libri einen großen Teil des Programms kleinerer Verlage aussortiert hat. Das ist für manch einen Verleger dann der Todesstoß. Von den daran hängenden Autoren ganz zu schweigen.

        Ergo: Ich freue mich auf mehr aus Deiner Backlist! :-)

        Viele Grüße zurück & noch eine schöne Woche
        Stefan

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      2. Ich denke auch, dass wir Blogger da eine wichtige wie spannende Aufgabe übernehmen können, wenn wir an frühere Titel, natürlich auch aus kleineren Verlagen, erinnern. Und es macht ja auch Freude, in den Backlists oder Bibliotheken zu stöbern. Viele Grüße

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  2. Ich habe diese Reihe dieses Jahr verschlungen und sie hat mich so sehr berührt und zum Nachdenken angeregt wie seit einer Ewigkeit kein Buch mehr. Definitiv eine tolle Wahl für die Backlist-Reihe :)

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  3. Herzlich willkommen im Wayfarer-Lesesuchtmodus, liebe Constanze.
    Ich war hellauf begeistert von allen drei Bänden, obwohl sie sich dramaturgisch und personell sehr unterscheiden. Aber ich will nicht zuviel ausplaudern …

    Becky Chambers gelingt mit dem ersten Band der Wayfarer-Reihe eine attraktive Balance aus zukunftsmusikalischer Raumfahrt- und Alltagstechnik und komplexem, zwischenspeziärem Miteinander. Der ebenso tiefsinnige wie unterhaltsam-verspielte, philosophisch-sozialkritische und phantasievoll-visionäre Facettenreichtum dieses SF-Romans fasziniert von der ersten bis zur letzten Seite.
    https://leselebenszeichen.wordpress.com/2019/05/01/der-lange-weg-zu-einem-kleinen-zornigen-planeten/

    Intergalaktische Grüße
    Ulrike von Leselebenszeichen

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    1. Vielen Dank, liebe Ulrike, für Deinen Kommentar und den Link auf Deinen Beitrag, den ich mir gleich einmal anschaue. Ich werde nach und nach die beiden anderen Bände lesen und bin sehr gespannt. Ich denke, die Reihe hat schon eine Art Virus in sich. Viele Grüße

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  4. Juhu, das muss ich meinem Mann erzählen … Er will ja auch selber Science-Fiction schreiben … wobei ihn das vielleicht von eigenen Ideen wieder abbringt?? Immer riskant, sich von Büchern zum Bücher-Schreiben inspirieren zu lassen :-)
    Ich lese das aber auf jeden Fall auch – klingt lustig.
    Viele Grüße,
    die Flocke

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