James Baldwin – „Giovannis Zimmer“

„Vielleicht begann in dem Sommer meine Einsamkeit, (…)“

Kein bereits verstorbener amerikanischer Schriftsteller scheint derzeit wohl wieder so öffentlich präsent zu sein wie James Baldwin. Die auf ihn gerichtete Aufmerksamkeit setzte indes bereits vor der aktuellen Debatte rund um Rassismus und dessen Folgen ein. Gefeiert wurde hierzulande seine Wiederentdeckung 2018, als sein stark autobiografisch geprägtes Debüt „Go Tell it on the Mountain“ aus dem Jahr 1953 in einer Neuübersetzung unter dem Titel „Von dieser Welt“ erschien. Nicht nur dem Rassenhass und der Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung widmete sich der Afroamerikaner in seinen Büchern. Mit „Giovannis Zimmer“, 1956 veröffentlicht, schrieb Baldwin eines der wohl frühesten und heutzutage bekanntesten Werke über Homosexualität, das nunmehr ebenfalls in einer Neuübersetzung aus der Feder der preisgekrönten Übersetzerin Miriam Mandelkow wieder zu entdecken ist.

Begegnung in einer Bar mit Folgen

Dabei hätte die Literaturwelt diesen Klassiker fast nicht kennengelernt. Baldwins Verlag lehnte das Manuskript ab, seine Agentur riet ihn sogar, sein Werk zu verbrennen. Der Roman erschien zuerst in England, 1956 schließlich in der Heimat des Autors, der zu diesem Zeitpunkt bereits in Paris, seiner Wahlheimat und einem der Schauplätze des Buches, lebte. Die französische Hauptstadt ist darin nicht die viel beschworene Stadt der Liebe. Für David, den Helden und Ich-Erzähler des Romans, soll sie vielmehr ein Ort der Selbstfindung sein, nachdem er vor seinem Zuhause und den Gespenstern seiner Vergangenheit nach Europa geflohen war. In einer Bar lernt er Giovanni kennen, der dort jobbt. Beide spüren bereits an jenem Abend eine gegenseitige Anziehung und Faszination. Da David pleite ist – sein Vater schickt kein Geld über den großen Teich, den reichen Gönner Jacques will er nicht wieder anpumpen – und ohne ein Dach über dem Kopf, zieht er in das ärmliche und vermüllte Zimmer des jungen Italieners ein. Eine Beziehung beginnt, obwohl der Amerikaner mit Hella bereits eine Verlobte hat. Diese reist allerdings in Spanien umher und ist damit in weiter Ferne.

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Mit der Zeit gesellen sich zu den Gefühlen und dem Begehren indes Bedenken. David fühlt Scham, eine Unruhe macht sich in ihm breit. Nicht weil er fremdgeht, sondern weil er mit einem Mann schläft und Wochen, ja schließlich Monate zusammenlebt. Jahre nach seinem ersten schwulen Erlebnis als Jugendlicher, das ihn noch immer beschäftigt und aufwühlt. Als Hella aus Spanien zurückkehrt, verlässt er Giovanni und verleugnet ihn und seine intime Beziehung zu ihm. Zum Entsetzen des Italieners, der daraufhin abstürzt und seinen Job sowie seine Würde verliert. Sein Leben endet schließlich tragisch. Eine Entwicklung, die sehr bestürzt und ergreifend ist. Denn die Sympathien des Lesers liegen eindeutig bei Giovanni, dessen Schicksal berührt, während man den späteren Niedergang Davids eher still beobachtet. Doch wie viele gleichgeschlechtliche Beziehungen konnten zur damaligen Zeit in den 1950er-Jahren unter dem Druck gesellschaftlicher Normen und Meinungen in der Öffentlichkeit ausgelebt werden? In Frankreich dürfen Schwule und Lesben erst seit 2013 eine Ehe eingehen, doch noch immer sind sie auch dort Ziel von Diskriminierung und tätlicher Angriffe – wie in vielen anderen Ländern auch.

„Über uns floss die Zeit gleichgültig dahin; Stunden und Tage hatten keine Bedeutung. Am Anfang war unser gemeinsames Leben von einer Freude und einem Staunen, die jeden Tag neu geboren wurden. Unter der Freude indes lag Qual und unter dem Staunen Angst, (…).“

Wie in „Von dieser Welt“ verarbeitet Baldwin auch in seinem zweiten Roman Autobiografisches. Aus seiner Homosexualität machte der gebürtige New Yorker nie einen Hehl. Er wird bis heute als eine Ikone für Gleichberechtigung und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben ungeachtet von Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung und Geschlecht angesehen. Die Kraft dieses Romans liegt in seiner psychologischen Ausgestaltung und in seinem intensiven wie unverhohlenen Blick in die vielschichtigen Seelenzustände sowie in der Beschreibung von noch so feinen Blicken und Gesten, die mehr sagen als Worte.

Von Feigheit und Selbstverleugnung

Obwohl das Geschehen nur aus der Sicht Davids rückblickend geschildert wird, sind es die grandiosen Dialoge, die auch Einblicke in das Wesen und die Lebensgeschichte Giovannis geben. In einem der letzten ausführlichen Gespräche der beiden Männer hält der später Verlassene seinem amerikanischen Geliebten den Spiegel klar und deutlich vor. Seine Feigheit, seine Selbstverleugnung, seine Lieblosigkeit. Giovanni ist es, der trotz seiner früheren hetereosexuellen Erfahrungen und der gesellschaftlichen Erwartungen, gegen die David nicht einmal aufbegehren mag, bereit ist für eine Beziehung und so schließlich zu einer tragischen Figur wird.

Doch Baldwins Zweitling mit seiner präzisen und kraftvollen Sprache ist nicht nur ein Buch über eine heimliche homosexuelle Beziehung. Im Verhältnis zwischen David und Hella, in ihren nicht minder eindrücklichen Dialogen, wird sehr viel über das Verhältnis von Mann und Frau gesagt. „Giovannis Zimmer“, ein Roman über Lügen, Schuld und Scham sowie seelische Abgründe, bereitet eine prägende Lektüre, gehört zweifellos nicht nur in eine gut sortierte, sondern in jede heimische Büchersammlung und sollte vor allem in Schulen gelesen und besprochen werden.

Eine Besprechung des dazugehörigen Hörbuchs gibt es auf dem Blog „literaturleuchtet“.


James Baldwin: „Giovannis Zimmer“, erschienen im dtv Verlag, in der Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow und mit einem Nachwort von Sasha Marianna Salzmann; 208 Seiten, 20 Euro

Foto von Mike Petrucci auf Unsplash

4 Kommentare zu „James Baldwin – „Giovannis Zimmer“

  1. Gerade beim lokalen Buchhandel meines Vertrauens bestellt und bin schon sehr gespannt drauf. Dein Artikel hat mir nur noch mehr Lust darauf gemacht endlich was von Baldwin zu lesen. Denke aber noch, dass ich idealerweise mit etwas anderem von Baldwin beginnen sollte – du hast oben „Go Tell it on the Mountain“ erwähnt? Hältst du das für einen guten Start?

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    1. Mir hat „Giovannis Zimmer“ besser gefallen, „Go Tell it on the Mountain“ behandelt religiöse Fragen und blieb mir etwas fremd. Aber ich denke, Baldwin sollte man unbedingt lesen. Viele Grüße

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