Malerin des Heimwehs – Elena Poniatowska "Frau des Windes"

Schon als Kind entzieht sie sich der Allmacht ihrer Eltern. Selbst die Lehrer scheitern an ihr. Sie fliegt gleich aus mehreren Schulen hochkant raus – zu wild, zu stolz und eigensinnig zeigt sich Leonora. Dem Wunsch ihrer Eltern, als Tochter des Wirtschaftsmagnates Carrington und damit aus gutem Haus stammend einmal vollwertiges Mitglied der englischen High Society zu werden, trotzt sie bereits als Jugendliche. Die Kunst ist schon früh Lebensinhalt und -ziel und wird es bis zu ihrem Tod im Alter von stolzen 94 Jahren bleiben.

Elena Poniatowska, 1932 in Paris geboren, aufgewachsen in Mexico, widmet sich in ihrem Roman „Frau des Windes“ einer einzigartigen Frau, der Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington (1917 – 2011). Beginnend mit den Auseinandersetzungen im Elternhaus aufgrund des ungestümen Wesens des Mädchen bis zu den großen Erfolgen als Künstlerin. Doch neben den hellen Phasen eines aufregenden Lebens spart die Autorin nicht mit den Beschreibungen der dunklen Kapitel. Einfühlsam berichtet sie in ihrer Romanbiografie von Schattenseiten dieses Künstlerdaseins, gezeichnet von einem ungebändigten Drang nach Freiheit, Gerechtigkeit und der steten Suche nach Liebe.

Schon früh macht Carrington Bekanntschaft mit dem Künstlerkreis der Surrealisten um André Breton. Paris bildet die erste Station ihrer unermüdlichen Lebensreise um den Globus. Mit ihrer starken Persönlichkeit und ihrem Talent macht sie Eindruck auf die schon gestandenen Künstler, allen voran auf den deutschen Maler Max Ernst, mit dem sie eine Beziehung beginnt. Als Paar ziehen sie aufs Land, in den Süden Frankreich. Sie kaufen sich ein Haus, bewirtschaften einen Weinberg. Doch der Zweite Weltkrieg und die nahende Besetzung Frankreichs durch die Wehrmacht zerstört das gemeinsame Glück. Ernst wird verhaftet und in ein Internierungslager gesteckt. Von dieser plötzlichen Trennung und der Ungewissheit, ob ihr Partner noch am Leben ist, wird sich Leonora, wie auch von den späteren Monaten in einer spanischen Nervenklinik, nie erholen. An der Seite des späteren Schriftstellers Renato Leduc steigt sie auf einen Dampfer, der sie nach Amerika bringt – zuvor gab es ein überraschendes Wiedersehen mit Ernst, der  die Internierung überstanden hat und gemeinsam mit der Kunstmäzenin Peggy Guggenheim ebenfalls in die Neue Welt reist.  Spannungen zwischen den beiden Paaren, von denen auch der gesamte Kreis der Surrealisten gezeichnet ist, entstehen. Lange werden beide Beziehungen nicht halten. Leonora lernt in Mexico, ihrer neuen Heimat, Emérico Chiki Weisz, einen Gefährten des berühmten Kriegsreporters Robert, kennen. Ihre beiden Söhne Gaby und Pablo werden geboren. Und trotz einer Familie und des steigenden Ruhms – Leonora bleibt eine Getriebene, zu Beginn noch verfolgt von den Fängen ihrer Eltern, später von einem starken Heimweh zu ihren europäischen Wurzeln. Hinzu kommt die unsichere politische Lage in Mexico, die zu Unruhen führt, von denen auch ihre beiden Söhne bedroht sind. Erneut flieht sie in die USA, pendelt später zwischen Mexico, New York und Europa.

Wechselvoll war das Leben der Leonora Carrington, eindrucksvoll ist jene teils dokumentarische, teils fiktive Romanbiografie. Diese beleuchtet nicht nur von vielen Seiten das Leben und Wirken der surrealistischen Malerin, die sich zudem intensiv mit Mystik und Alchemie auseinandergesetzt hat. Poniatowska gelingt ein farbenprächtiges Porträt eines Jahrhunderts und seiner Kunst, das sich wie in einem Rausch liest und an vielen Stellen nicht nur chronologischen und biografischen Charakter hat, sondern mit sehr viel Poesie angereichert ist. Grundlage für dieses Buch waren Gespräche zwischen der Autorin und der Malerin, die sich beide kannten. Trotzdem gelingt es Poniatowska einen Abstand zu wahren und die starke Person der Leonora Carrington auch mit ihren Zweifeln und psychischen Schwächen zu zeichnen.

Der Roman „Frau des Windes“ von Elena Poniatowska erschien im Insel Verlag, in der Übersetzung aus dem Spanischen von Maria Hoffmann-Dartevelle.
495 Seiten, 24,95 Seiten

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