Dirk Schümer – „Die schwarze Rose“

„Wer, dachte ich, hat je entschieden, wem ein Baum oder ein Stein, ein Acker oder ein Mensch gehört?“

Bereits in den ersten Jahren Millionen Mal verkauft, wenige Jahre nach seinem Erscheinen erfolgreich verfilmt, von der französischen Tageszeitung Le Monde zu einem der besten Bücher des 20. Jahrhunderts gekürt: „Der Name der Rose“, Umberto Ecos Debüt als Romanschriftsteller und zugleich Weltbestseller, 1980 in Italien erschienen, kennen sicherlich sehr viele; und wenn auch nur dem Namen nach. Eine Wiederbegegnung mit William von Baskerville, dem weisen Franziskaner-Mönch, beschert Dirk Schümer mit seinem Roman „Die schwarze Rose“, der ähnlich wie Ecos Klassiker von einem Meister und seinem Novizen sowie von einer Mordserie erzählt. Unterschiede zwischen beiden Büchern gibt es trotzdem.

Schlüssel zur MAcht

Man schreibt das Jahr 1328. Meister Eckhart, Prediger aus dem Orden der Dominikaner, muss sich in Avignon vor der Inquisition wegen des Vorwurfs der Häresie verantworten. Gemeinsam mit dem Novizen Wittekind war er von Köln an den Hofe des Papstes gereist. Beide finden im Konvent ihres Ordens ein Domizil, wenngleich sie dort ungern gesehen sind. Vor dem Pfingstfest geschieht ein furchtbares Verbrechen, dessen Zeugen sie werden: In der Jakobskapelle finden sie einen schwer verletzten Mann, der kurz danach verstirbt. Wenig später wird Wittekind angegriffen, der nur mit Hilfe des Juden Shimon seinem Verfolger entfliehen kann. Schließlich stößt der Novize auf eine weitere Leiche. Und Wittekind, der wie ein Detektiv sich an die Spuren des Mörders heftet, wird klar, dass die Taten in einem weit größeren Zusammenhang stehen. Denn beide Männer pflegten Beziehungen zur Kurie. Ein rätselhaftes Metall-Kästchen geht in den Besitz Wittekinds über. Gut von ihm mit der Hilfe des Gärtners Ramon versteckt, erfährt der Novize nach und nach die Brisanz des Inhaltes, der der Schlüssel zur Macht des Papstes ist.

Neu-Schümer

Der Vertreter Christi auf Erden, oberster Hirte der römisch-katholischen Kirche und Kopf der Inquisition zeigt sich zwar als Moralapostel. Doch Johannes XXII., im Roman Jean genannt, hat sich in Avignon ein Zentrum seiner Macht errichtet, das er gegen seinen Erzfeind, Kaiser Ludwig dem Bayern, mit allen Mitteln verteidigt. Nahe Familienmitglieder und treueste Anhänger hat er um sich geschart und mit hohen Ämtern ausgestattet, um sich selbst zu bereichern. Das Geld aus Klöstern und Gemeinden fließt in seine Kasse. Während der Großteil der Menschen unter bitterer Armut leidet, isst der Raffzahn vom goldenen Teller. Christliche Orden, die ein einfaches Leben predigen, bekämpft er mit allen Mitteln. Wie die Franziskaner und wie eben auch Meister Eckhart, der seinem Novizen am Ende eine besondere Lektion in Sachen Leben und Demut vermittelt. Es gibt viele Passagen, Dialoge und Streitgespräche, die nachdenklich stimmen. Wie auch Ecos „Der Name der Rose“ thematisiert Schümer den sogenannten Armutsstreit der Kirche. Unzählige Menschen fallen der Inquisition zum Opfer, ganze Glaubensgemeinschaften werden verfolgt. Zudem wird die jüdische Bevölkerung Avignons systematisch schikaniert.

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Darstellung von Meister Eckhart durch Andrea di Bonaiuto, Detail aus dem Fresko Via Veritas in der Spanischen Kapelle von Santa Maria Novella, Florenz, ca. 1365

Was einen historischen Roman auszeichnet, ist das spannende Zusammenspiel zwischen historischem Vorbild und Fiktion. Auch in Schümers Werk kann man als Leser auf Zeitreise gehen und nach der Lektüre das Leben realer Personen weiter erkunden. Allen voran Meister Eckhart, Theologe und Philosoph aus Thüringen, dessen Prozess bereits in Köln beginnt, wo er von Ordensbrüdern und dem damaligen Erzbischof der Ketzerei beschuldigt wurde. Seine Schriften, in Latein und Mittelhochdeutsch verfasst, beschäftigen sich unter anderem mit den Fragen Gott und Gottheit, Seele, Wille und Intellekt sowie dem Verhältnis der Menschen untereinander. Seine Wiederentdeckung setzte im 19. Jahrhundert ein. Heute erinnert die evangelische Kirche mit einem Gedenktag an Meister Eckhart, der in Avignon den Tod fand. Ebenfalls eine der realen Personen: der Komponist Philippe de Vitry. Zudem stößt der Leser mehrfach auf bekannte Äußerungen, die der Autor seinen Figuren in den Mund legt. Das berühmte Luther-Zitat „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, spricht im Roman Meister Eckhart aus; rund 200 Jahre vor dem Beginn der Reformation.

„Warum aber glauben alle Menschen an diese bare Münze? Wie kann sie sich in jedes Gut der Welt verwandeln? Es ist Zauberei. Es sind einzig die Zeichen auf dem Geld, die ihm seinen Wert verleihen. Und warum? Weil die Menschen an diese Zeichen glauben.“

Hinzukommen noch eine ganze Menge interessanter fiktiver Gestalten. Wie eben Ramon, der Gärtner der Dominikaner, der sich aufopferungs- wie liebevoll um alles Grüne und Blühende kümmert, die Vögel beobachtet. Zu ihm baut Wittekind eine besondere Beziehung auf. So auch zu dem unterkühlt wirkenden, aber weisen William von Baskerville, der nach der Reise über die Alpen Avignon erreicht, zum Bibliothekar Humbert von Alexandria sowie zum Wirt und Waffenhändler Rik van Haarlem. Besondere Rollen im Roman übernehmen auch die Sängerin Lisabeta und Shimons Kusine Lorena. Zu jeder Figur gibt es eine Geschichte, die im Laufe der Handlung die eine oder andere Überraschung bereithält. Denn nicht jeder ist der, für den er sich ausgibt. Was es mit der schwarzen Rose schließlich auf sich hat, erfährt der Leser natürlich auch.

Quicklebendiges Panorama

Auf 600 Seiten entfaltet Schümer ein großartiges weil quicklebendiges und ungemein sinnliches Panorama. Es gibt wohl kein Thema, das er mit Blick auf diese spannende Zeit nicht verarbeitet. Ob Kleidung und Essen, das Leben im Kloster und am Papsthof sowie Musik, Sprache und die Buchkunst. Erzählt wird alles aus der Perspektive Wittekinds, der die Rolle des Ich-Erzählers einnimmt und dessen Vorgeschichte – als Jugendlicher macht er prägende Erfahrungen auf dem Kreuzzug im Baltikum – bedauerlicherweise zu knapp erscheint, während andere Szenen recht ausufernd erzählt werden. Wittekinds Erlebnisse in Avignon erscheinen wie eine zweite Lehrzeit, in der er Menschlichkeit erfährt, aber auch Hass und rohe Gewalt zu spüren bekommt und mehrere schmerzliche Verluste erleiden muss.

Trotz seiner Vielschichtigkeit, seines historischen Stoffes und der inhaltlichen Nähe zu Ecos Meisterwerk erreicht Schümer dessen literarische Klasse nicht – und braucht es auch nicht. Gelungen ist ihm ein spannender wie lehrreicher Pageturner, den man so schnell nicht aus der Hand legt. Mit dem Ende schlägt Schümer, der Germanistik, Philosophie und mittelalterliche Geschichte studiert hat, als Kultur-Journalist tätig war und bereits mehrere Sachbücher verfasst hat, den Bogen raffiniert zur jüngsten Vergangenheit – und zu wichtigen Fragen, die den Menschen wohl seit Anbeginn beschäftigen: Was macht das Leben wirklich aus? Und was ist der Mensch?

Auch „Bingereaderin“ Sabine beschäftigt sich auf ihrem Blog mit Ecos Klassiker „Der Name der Rose“ und Schümers Roman „Die schwarze Rose“.


Dirk Schümer: „Die schwarze Rose“, erschienen im Zsolnay Verlag; 608 Seiten, 28 Euro

Bild von Marcel Dominic auf Pixabay

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