Edith Anderson – „A Man’s Job“

„Wenn sie uns eins aufs Kinn geben, holen wir aus und schlagen zurück.“

Als nach dem Überfall auf Pearl Harbor die USA im Dezember 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintritt, werden Millionen amerikanischer Männer für den Dienst in der Armee einberufen und rekrutiert. Fortan fehlen sie in entscheidenden Bereichen. Ihre Stellen nehmen fortan Frauen ein. Nicht nur in der Rüstungsindustrie, sondern beispielsweise auch bei der Eisenbahn. Über dieses besondere Kapitel amerikanischer Geschichte hat die in New York geborene Journalistin und Autorin Edith Anderson (1915-1999) einen Roman geschrieben, der 1956 erstaunlicherweise in Übersetzung erstmals in der DDR erschien und nun in einer Neuausgabe und -übersetzung wiederentdeckt werden kann.

Vier Jahre als Schaffnerin tätig

Mit diesem speziellen Fund sind also zwei spannende Geschichten verknüpft: die eigentliche Handlung des Romans und die wechselvolle Biografie seiner Verfasserin, die es ebenfalls zu erzählen gilt. Ihren Stoff nahm Anderson, Tochter eines Lehrers und als Spross einer jüdischen Familie in der Bronx aufgewachsen, nicht von irgendwoher. Nach dem Highschool-Abschluss, einem abgebrochenen Lehramtsstudium und einem Job als Kulturredakteurin für die kommunistische Zeitung „Daily Worker“ arbeitet sie einige Jahre als Schaffnerin bei der Pennsylvania Railroad. Der sehr ansprechend gestaltete Band enthält eine Schwarz-Weiß-Aufnahme aus dem Jahr 1943, die die junge US-Amerikanerin in Uniform zeigt.

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In „A Man’s Job“ erzählt sie von mehreren Frauen, die an der Ostküste des Landes den Dienst bei der Eisenbahn antreten. Keine leichte Aufgabe: Die Ausbildung ist kurz, die Arbeitszeiten sind lang, die Arbeitsbedingungen prekär. Nicht wenige Unfälle geschehen. Die Frauen verdienen viel weniger als die Männer und sind nicht gern gesehen, schließlich könnten sie ja die Arbeitsplätze wegnehmen. Die Eisenbahngesellschaft Hudson & Potomac will weder Frauen noch Schwarze anstellen, braucht allerdings Arbeitskräfte. Als Schaffnerinnen sind sie in der strengen Hierarchie ganz weit unten und regelmäßig frauenfeindlichen Sprüchen und fiesen Schikanen ausgesetzt. Man klaut sich untereinander die Strecken, um mehr Geld zu verdienen.

Die frühere Lehrerin Jessy Lamb, eine kluge und ehrgeizige Frau, versucht, mit einigen wenigen ihrer Kolleginnen für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen und das System zu verändern. Ihr erstes Ziel: Die sogenannte Bruderschaft, eine Art Gewerkschaft einst als Versicherungsunternehmen organisiert, soll Frauen als Mitglieder aufnehmen, ihnen soll zudem das Senioritätsrecht zugesprochen werden. Jessys Kampf ist indes zäh und kräftezehrend. Nicht nur steht sie Männern als erbitterte Feinde gegenüber, selbst die Frauen sind sich uneins und spinnefeind und beschädigen mit Anfeindungen den Ruf Lambs, die dadurch um ihren Job bangt.

Zahlreiche Charaktere

Die Handlung erstreckt sich über mehrere Jahre bis in die Nachkriegszeit. Anderson fährt ein umfangreiches Figurenensemble auf, was die Lektüre mitunter nicht leicht macht, zumal der Plot dadurch etwas wirr wirkt. Sie springt von einem Ort zum nächsten, von einer Protagonistin zur anderen. Die Frauen stammen aus unterschiedlichen Schichten, sind verschiedenen Alters, bis auf wenige – wie eben Jessy, ihre Kollegin und Freundin Martha oder die in die Eisenbahn vernarrte Sally – bleiben die meisten weiblichen Helden dem Leser jedoch eher fern. Eine emotionale Bindung wird kaum aufgebaut. Eine bildhafte, stimmungsvolle Bahn-Atmosphäre, die auch die Orte dem Leser vermittelt, entsteht erst gegen Ende des Romans.

Hinzu kommt eine Reihe männlicher Protagonisten in verschiedenen Positionen: vom Fahrdienstleiter über den Lokführer und Zugführer bis hin zu den Verlade- und Gepäckschaffnern, die ganz verschiedene Beziehungen zu den Frauen aufbauen; die einen unterstützen ihre weiblichen Kolleginnen, die anderen machen ihnen das Leben zur Hölle. Aber auch manches Paar findet sich bei der Arbeit.

„Sally Bristol hatte jenen Zustand erreicht, der allen Eisenbahnern vertraut ist – wenn der Ruß, das Zischen und Pfeifen der Lokomotive und das Rattern und Poltern umrangierter Waggons einen Zauber ausüben und dazu verlocken, den Rest der Welt zu vergessen.“

Der Roman ist allerdings vor allem durch sein vielschichtiges Panorama der damaligen Zeit und sein gesellschaftlich-politisches Thema besonders lohnend. Anderson, die sich kurz nach der Highschool der kommunistischen Partei anschließt, beschreibt sowohl die Bemühungen der Frauen um Anerkennung und Gleichberechtigung als auch die gesellschaftlichen Stimmungen – und Abgründe. Die Autorin zeigt unerbittlich und ohne Scheu die Auswüchse von Rassismus und Antisemitismus, von Frauenfeindlichkeit und Sexismus auf.

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Edith Anderson (Foto: Edith Anderson Estate)

Als 1956 der Roman unter dem Titel „Gelbes Licht“ erscheint, lebt Edith Anderson bereits neun Jahre in der sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise in der DDR. 1942 hatte sie den deutschen Emigranten Max Schroeder, der Gefängnis und KZ überlebt hatte, kennengelernt. Das Paar kommt nach Ost-Berlin, als Schroeder eine Stelle als Cheflektor beim Aufbau-Verlag angeboten bekommt. Anderson lernt durch die Arbeit ihres Mannes zahlreiche prominente Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Anna Seghers, Arnold Zweig, Bertolt Brecht oder Stefan Heym kennen. 1949 erscheint ihre Novelle „Loretta“. Ein Jahr zuvor war die gemeinsame Tochter Cornelia „Dee“ zur Welt gekommen. Anderson erlebt die Dreifachbelastung als Ehefrau, Mutter und Schreibende. Vor allem, da ihr Mann sich nahezu komplett aus dem Familienleben zurückzieht. In ihrem, dem Roman begleitenden Nachwort beleuchtet Carolin Würfel („Drei Frauen träumten vom Sozialismus. Maxie Wander – Brigitte Reimann – Christa Wolf“) die zerrissene Identität der Amerikanerin, die zwischen ihrem Sehnen nach der Heimat und dem Sehnsuchtsort, in dem die Utopie des Sozialismus verwirklicht werden soll, innerlich aufgerieben wird.

Der Tod ihres Mannes 1958 stürzt sie in eine tiefe Krise. Danach schreibt und übersetzt sie weiter, sie verfasst mehrere Kinderbücher. Von 1960 bis 1967 ist sie als Berliner Korrespondentin der New Yorker linken Wochenzeitung „National Guardian“ tätig. In ihrer Biografie „Liebe im Exil“ (Originaltitel: „Love in Exile“) beschreibt sie die Zeit von 1947 bis 1958. Als „herrlich laute Biografie“ nennt Würfel den wohl aufregenden wie fordernden Lebensweg der US-Amerikanerin.

Heute kaum bekannt

Mit „A Man’s Job“ kann nun sowohl ein faszinierendes Gesellschaftspanorama als auch das Leben und Wirken einer spannenden Persönlichkeit, die heute kaum bekannt ist, kennengelernt werden – auch in dem Kontext, dass „die patriarchalen und misogynen Strukturen der westlichen Kultur- und Literaturlandschaft des 20. Jahrhunderts“, wie Würfel anmerkt, Männer bevorteilten und Frauen verdrängten. Einmal mehr erweist sich die Reihe „Die Andere Bibliothek“, einst initiiert von Hans-Magnus Enzensberger, als Institution mit literarischem Weitblick und Spürsinn. Das Signal steht auf Grün für eine spannende literarische Entdeckung und ein beeindruckendes Autorinnenleben.


Edith Anderson: „A Man’s Job“, erschienen in Die Andere Bibliothek, aus dem Amerikanischen von Otto Wilck und Max Schroeder, vollständig neu überarbeitet von Hans-Christian Oeser, mit einem Nachwort von Carolin Würfel; 408 Seiten, 48 Euro

Foto von Jeffrey Blum auf Unsplash

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