„Über Wasser halten, schwimmen lernen, eine gemeinsame Insel finden.“
Christa Wolf, Maxie Wander, Brigitte Reimann – das literarische Dreigestirn. Ohne diese drei Frauen wäre die Literatur der DDR um vieles ärmer, womöglich undenkbar. Noch heute werden sie gelesen, in Schule, im Studium. Ihre Bücher erleben Neuauflagen, werden – einst gekürzt veröffentlicht – nun in voller Länge gedruckt. Wie aktuell Reimanns Roman „Die Geschwister“ (Aufbau). Die Journalistin und Autorin Carolin Würfel zeichnet mit ihrem Band „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ nicht nur die einschneidenden Ereignisse und Einflüsse der drei Schriftstellerinnen nach. Sie erzählt von ihrem Verhältnis untereinander – und zur DDR, dem Land, in dem sie lebten.
Gemeinsamkeit prägt späteres Leben
Schon allein jedes der drei Leben würde vermutlich unter diesem Thema einen Band füllen. Chronologisch und mit wechselnden Fokus auf die drei Autorinnen wählte Würfel eine simple wie nachvollziehbare Form für ihr Buch aus. Sie beginnt mit der Kindheit und endet mit dem Tod, den allzu frühen Lebensende Reimanns und Wanders, die beide an Krebs erkrankt waren, 1973 beziehungsweise 1977 starben. Bereits in den frühen Jahren lässt sich bei den Autorinnen – alle in den 1930er-Jahren geboren – eine Gemeinsamkeit ablesen: Trotz unterschiedlicher geografischer wie gesellschaftlicher Herkunft – Reimann, in Burg geboren, stammte aus einer bürgerlichen Familie, Wander war ein Arbeiterkind, im kommunistischen Milieu in Wien aufgewachsen, Wolf kam mit der Flüchtlingswelle am Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem ostpreußischen Landsberg nach Thüringen – konnten sie sich ohne Bücher und das Lesen die Welt nicht vorstellen. Der Samen ihres später literarischen Schreibens wurde also früh gelegt.
Ein Ort, der sie zusammenführte, war der „VEB Elfenbeinturm“ oder der „sozialistische Zauberberg“ wie das Heim des Schriftstellerverbands in Petzow am Schwielosee genannt wurde, Erholungsort und Kaderschmiede mit starker politischer Ausrichtung, die das Trio zu Beginn nie hinterfragte. Ganz im Gegenteil. Sie setzten viel Hoffnung in den Sozialismus, der auf Geheiß der Sowjetunion in der DDR schließlich zur Staatsdoktrin wurde. Und sie glaubten noch an den kulturpolitischen Anspruch, dass sich mit Literatur der Mensch zu einem besseren und die Welt zu einer gerechteren verändern ließe. So ging Reimann den „Bitterfelder Weg“, arbeitete trotz ihrer Behinderung infolge ihrer Erkrankung an Kinderlähmung im Kombinat Schwarze Pumpe in Hoyerswerda als Hilfsschlosserin.
Doch die Zensur, die Flucht von Schriftsteller-Kollegen in den Westen, das perfide Spinnennetz der Stasi und letztlich das militärische Ende des Prager Frühlings und der Mauerbau veränderten ihren Blick drastisch. Die Enge forderte Kompromisse, die letztlich untragbar waren. Aus Idealismus wurde bittere Enttäuschung, die nur Maxie Wander ob ihres österreichischen Passes und Reisen ins „nicht-sozialistische“ Ausland ab und an lindern konnte. Selbst Christa Wolf, einst vehemente Verteidigerin von Partei und Politik, verlor schließlich den Glauben daran und zog sich mehr und mehr zurück. Ihr gemeinsamer Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Der letzte und dritte Teil des Bandes trägt dann auch den Titel „Träume platzen“.
„Zensur tat weh. Tat noch mehr weh, wenn man sie selbst durchführte, wenn man sich ins eigene Fleisch schnitt. Der Körper rebellierte.“
Bei all der großen Politik bleibt das Private nicht im Hintergrund. Würfel gibt hier interessante Einblicke, schreibt sowohl von den unterschiedlichen Charakteren der drei Autorinnen als auch von den verschiedenen familiären Verhältnissen. Reimann, die Frau mit dem unbändigen Freiheitsdrang, war viermal verheiratet, hatte zahllose Affären, lebte das Leben wie im Rausch. Wander kam mit ihrem Mann Fred Wolf aus Wien in die DDR. Wolf heiratete als Studentin ihren Studienfreund Gerhard, ihre Ehe hielt bis zu ihrem Tod 2011. Sie war es auch, die dieses Dreigestirn als „Herzstück“ zusammenhielt, die Wander und Reimann tröstete, ihnen Kraft gab. Als Wanders Tochter Kitty mit nur zehn Jahren bei einem tragischen Unglück starb, als schließlich sie und Reimann an Krebs unheilbar erkrankt waren, saß Wolf jeweils am Krankenbett. Hinter ihrer Kühle verbarg sich eine Sanftmut, die imponiert.
Alle trieben indes immer wieder Selbstzweifel um, selbst die starke und gestreng wirkende Wolf, die zuerst Literaturkritikerin war, ehe sie zum literarischen Schreiben fand, blieb nicht unverschont. Enttäuschungen lagern sich wie Gift im Körper ab. Als sie im Fall Werner Bräunig ihren Kollegen und sein Werk „Rummelplatz“, das erst 30 Jahre nach seinem allzu frühen Tod 2007 erscheinen konnte, verteidigte, erlebte sie das ganze Ausmaß eines Systems, das Kritiker nicht haben wollte und mundtot machte, und erlitt Depressionen und Schwächeanfälle.
schreiben als Lebensnotwendigkeit
Neben Politik und Privatheit ist die Literatur die dritte Säule, auf die Würfel ihr Buch aufbaut. Wenngleich ihr Erfolg zu Lebzeiten unterschiedlich ausfiel, wurde das Schreiben für alle zur Lebensnotwendigkeit, zur persönlichen DNA. Im Mittelpunkt dabei die großen Werke: Reimanns unvollendeter Roman „Franziska Linkerhand“, Wanders Band mit Frauenporträts „Guten Morgen, du Schöne“, Wolfs Klassiker „Der geteilte Himmel“ und „Nachdenken über Christa T.“, letzteres Werk erschien erst nach einem langen Zensurprozess in einer kleinen Auflage trotz Wolfs Bekanntheit.
Würfel, 1986 in Leipzig geboren, ist mit den Büchern der großen DDR-Autorinnen groß geworden, wie sie in ihrem sehr persönlichen Nachwort schildert. Nicht nur die Wiederlektüre deren Werke sowie begleitender Sekundärliteratur bilden das Grundgerüst. Würfel reiste zu den Lebensorten ihrer „Heldinnen“, eine Tour durch Ostdeutschland mit Stationen wie Burg, Halle, Neubrandenburg und Hoyerswerda. Die daraus entstehende Chance, dem Band mittels reportagehafter Züge eine besondere Stimmung zu verleihen und das Gestern mit dem Heute zu verbinden – man denke da an den Niederländer Geert Mak oder den Belgier Stefan Hertmans -, wurde indes leider vertan.
Rausch mit Schwächen
„Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ liest sich dennoch wie im Rausch. Lehrt, berührt und bringt sowohl West als auch Ost drei unvergessene Schriftstellerinnen und ihre wechselvolle Zeit durch zwei Diktaturen näher – hat allerdings auch so manche Schwäche. Auf der Suche nach einer gendergerechten Sprache, die zweifellos ihre Berechtigung hat, verliert sich die Autorin in gleich mehreren Varianten, anstatt einer zu folgen. Auch inhaltliche Fehler lassen sich finden, wenn die Autorin von „untertage“ schreibt, wenn es sich im Fall der Lausitz um Tagebaue handelt. Und auch die ab und an zu saloppe Sprache und die allzu persönliche Nähe Würfels zu Wolf, Reimann und Wander, die sie manchmal nur mit ihren Vornamen erwähnt, scheint unverhältnismäßig zu sein. Nichtsdestrotrotz ist ihr Band eine überaus lohnende wie eindrückliche Lektüre – nicht nur für jene, die von der DDR und der Literatur in dem Land, was es nicht mehr gibt, nur wenig wissen, auch für jene, die die Zeit jener großen Frauen kennengelernt haben.
Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „literaturleuchtet“.
Carolin Würfel. „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“, erschienen im Verlag Hanser Berlin; 272 Seiten, 23 Euro
Bild von wal_172619 auf Pixabay
Liebe Constanze, das klingt wirklich interessant. Leider habe ich von Maxie Wander und Brigitte Reimann immer noch nichts gelesen aber das Buch von Würfel hab ich mir direkt mal notiert. Die sechs Bücher auf dem Foto – hast du die alle schon durch?
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Hallo liebe Vera, vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich habe vor einigen Jahren recht intensiv Wolf gelesen, vor allem auch während des Studiums. Wander und Reimann kenne ich hingegen nicht. Auf dem Bild sind Bücher aus meinen Regalen, die sich über die Jahre angesammelt haben und die schließlich zum richtigen Zeitpunkt für die Lektüre hervorgeholt werden. Liebe Grüße und bis bald
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Liebe Constanze,
danke für Deine Rezension des hochinteressanten Buchs von Carolin Würfel. Wir hatten Gelegenheit mit ihr im April bei einer Veranstaltung hier in Berlin zu diskutieren. Spannend fanden wir ihre Aussage, das sie aktuell ein wachsendes Interesse an DDR Autorinnen sieht. Sie arbeitet daher auch an einem weiteren Buch einer Schriftstellerin in der DDR.
Unsere Rezension des Buchs von Carolin Würfel findest Du hier:
https://mittelhaus.com/2023/02/18/carolin-wuerfel-drei-frauen-traeumten-vom-sozialismus/
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