Carolin Würfel – „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“

„Über Wasser halten, schwimmen lernen, eine gemeinsame Insel finden.“

Christa Wolf, Maxie Wander, Brigitte Reimann – das literarische Dreigestirn. Ohne diese drei Frauen wäre die Literatur der DDR um vieles ärmer, womöglich undenkbar. Noch heute werden sie gelesen, in Schule, im Studium. Ihre Bücher erleben Neuauflagen, werden – einst gekürzt veröffentlicht – nun in voller Länge gedruckt. Wie aktuell Reimanns Roman „Die Geschwister“ (Aufbau). Die Journalistin und Autorin Carolin Würfel zeichnet mit ihrem Band „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ nicht nur die einschneidenden Ereignisse und Einflüsse der drei Schriftstellerinnen nach. Sie erzählt von ihrem Verhältnis untereinander – und zur DDR, dem Land, in dem sie lebten. „Carolin Würfel – „Drei Frauen träumten vom Sozialismus““ weiterlesen

Tina Pruschmann -„Bittere Wasser“

„Es bleiben so komische Sachen übrig, wenn ein Land verschwindet.“

Sie hießen Busch, Berolina und Aeros. Mit Mann und Maus und Manege tourten sie einst durch ein Land, das es heute nicht mehr gibt, – und darüber hinaus in ganz Europa und Übersee. 1960 wurde in der DDR der Staatszirkus als Volkseigener Betrieb mit seinen drei „Betriebsteilen“ gegründet. Mehr als 60 Jahre danach widmet die Leipzigerin Tina Pruschmann sich in ihrem eindrücklichen Roman „Bittere Wasser“ diesem spannenden Kapitel. Und mehr noch: Zugleich schreibt sie über die bewegte Geschichte eines Dorfes im Erzgebirge zwischen Bergbau und Kurerholung. Eine besondere Kombination, die fasziniert.

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Lukas Rietzschel – „Raumfahrer“

„Nachkriegszeit und Nachwendezeit. Trümmer beseitigen, nicht nur die Brocken und Steine eingestürzter Häuser.“

Kamenz – Kleinstadt in Sachsen. Die Kohlegrube Lausitz vor der Haustür, das barocke und edle Dresden ein Katzensprung entfernt. Hier ist Lessing zur Welt gekommen, der Ortsteil Deutschbaselitz gab dem Maler Hans-Georg Kern, besser bekannt als Georg Baselitz, einen Teil seines Künstlernamens. In diese geschichtsträchtige Gegend in Ostdeutschland führt Lukas Rietzschel in seinem zweiten Roman „Raumfahrer“, der darin auf wundersame Weise die Geschichte zweier Familien und das Leben eines jungen Mannes mit dem eines berühmten Künstlers verknüpft. Eine spezielle Erwartung kann das eindrückliche Buch allerdings dennoch nicht erfüllen.

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Helga Schubert – „Vom Aufstehen“

„Ich lebte in vielen Rollen.“

Aufstehen – sich erheben, sich aus liegender Stellung aufrichten, das Bett verlassen, sich auflehnen, Widerstand leisten, rebellieren. Viele Bedeutungen enthält der Duden zu diesem mehrsilbigen Verb. Bedeutungen, die durchaus auch auf den preisgekrönten Erzählband der Schriftstellerin Helga Schubert zutreffen. Ein Band, der in 29 Texten von ihrem wechselvollen Leben, ihren Erinnerungen und Gedanken erzählt. Ein Buch der Bilder, der Lebenskraft und Weisheit.

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Matthias Jügler – „Die Verlassenen“

„Das letzte Mal habe ich meinen Vater im Juni 1994 gesehen.“

111 Kilometer – das ist in etwa die Entfernung von Leipzig nach Erfurt oder von Leipzig nach Dresden. Diesen Umfang erreichen die Akten, die im Stasi-Unterlagen-Archiv zur Recherche lagern. Weitere 60 Kilometer waren nach der Wende unsortiert gefunden worden und sind noch immer nicht vollständig erschlossen. Mehr als 7,3 Millionen Menschen haben bisher Anträge auf Akten-Einsicht gestellt; zahlenmäßig ist das nahezu die Hälfte der damaligen Bevölkerung in der DDR. Der Geheimdienst war tief in der Gesellschaft verankert und hat das Leben von unzähligen Familien zerstört oder für immer verändert. Welche Folgen die Repressalien der Stasi und ihre Spitzel-Tätigkeiten auf die nächsten Generationen und sogar bis in die Gegenwart haben, erzählt der berührende Roman „Die Verlassenen“ von Matthias Jügler. „Matthias Jügler – „Die Verlassenen““ weiterlesen

Lutz Seiler – „Stern 111“

„Es ging darum, dass wir es sind, die entscheiden.“

Unbegreiflich, unfassbar: Die Wende, von manchen auch friedliche Revolution genannt, wird im Rückblick mit verschiedenen Wörtern beschrieben, die alle allerdings eine Gemeinsamkeit vereint: Sie tragen ein Staunen in sich. Ich war 12 als die Mauer fiel, sich die Grenzen zwischen West und Ost öffneten, an den Grenzübergängen Tausende Hände auf die Motorhauben von Trabi, Wartburg und Lada schlugen. Ich erinnere mich an jenen Abend im November 1989, als meine Eltern auf der Couch saßen und die Nachrichten schauten, die so unglaublich erschienen. Wir lebten in einem Dorf im damaligen Bezirk Dresden, das für sein Rohrwerk und als NVA-Standort bekannt war. Geflissentlich wurde die Region im heutigen Landkreis Meißen als Tal der Ahnungslosen bezeichnet, weil der Westrundfunk schlecht zu empfangen war. Ich wuchs also ohne „Pumuckl“ oder „Sesamstraße“ auf. „Lutz Seiler – „Stern 111““ weiterlesen

Reinhard Stöckel – „Kupfersonne“

„Du findest, was du suchst.“

Enzthal ist eingeschlossen. Ein nahezu undurchdringlicher Nebel umhüllt das Dorf, im Osten Deutschlands, genauer gesagt im Mansfelder Land, gelegen. Unweigerlich fällt einem das derzeit oft genutzte Wort „Lockdown“ ein. Wenngleich der Nebel noch weitere Folgen mit sich bringt: Kein Radio funktioniert, die Kinder kommen nicht mehr mit dem Bus in die Schule, dem Gasthof geht langsam das Bier aus. Nicht einmal Walter Ulbricht, der zu dieser Zeit als Vorsitzender des Staatsrates der DDR die Macht in den Händen hält, kann daran etwas ändern. Die Bewohner nehmen ihr Schicksal auf ganz eigene Weise in die Hände. Dieser Ort nahe des Kyffhäusers ist Ausgangspunkt von großer Geschichte und individuellen Lebensgeschichten, die im neuen Roman von Reinhard Stöckel vom bewegenden wie dunklen Kapiteln des 20. Jahrhunderts erzählen und dabei auch nach Spanien führen.

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Liebe mit Grenzen – Christoph Hein „Verwirrnis“

„Er musste schweigen, musste verschweigen, was keiner wissen durfte.“

So innerlich eingegraben, verkantet, nahezu festgesaugt haben sich bei mir in der letzten Zeit nur wenige Bücher. Christoph Heins neuer Roman „Verwirrnis“ hat dies geschafft. Dass so eine besondere, besonders auch traurige Geschichte zugleich so viel Begeisterung entfachen kann, lässt mich indes auch etwas ratlos zurück. Woran liegt es, dass wir die tragischen Romane oftmals mehr schätzen, als die unaufgeregteren mit dem Happy End? Ohne den Ausgang vorwegnehmen, ihn nur anzudeuten:  Etwas Hoffnung bleibt,  von der der Held der Geschichte nur eine, aber dafür umso bedeutende Entscheidung entfernt ist.  „Liebe mit Grenzen – Christoph Hein „Verwirrnis““ weiterlesen

Wunden – Franziska Hauser „Die Gewitterschwimmerin“

„Was nicht erzählt wird, ist nicht aus der Welt.“

Familiengeschichten führen ihr Eigenleben. Je nach dem subjektiven Blickwinkel verändern sich ihre Bedeutungen, Facetten und Schattierungen. Ereignisse oder Familienmitglieder erscheinen anders, als sie womöglich in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Und Helden sind nicht immer nur Helden. Die Berliner Autorin Franziska Hauser erzählt in ihrem nunmehr zweiten Roman „Die Gewitterschwimmerin“ eine spezielle Familiengeschichte: Es ist teils ihre eigene, die ihr als Grundlage für die Handlung gedient hat. Anderes hat sie hingegen erfunden, wie sie dem Leser vor dem Beginn des Romans in einem kurzen Vorwort erklärt.  „Wunden – Franziska Hauser „Die Gewitterschwimmerin““ weiterlesen

Geschichte (n) – Bernd Wagner „Die Sintflut in Sachsen“

„Gerade der Rhythmus der Worte erzeugte in mir eine unbekannte Art von Rausch (…).“

Wurzen – die Stadt an der Mulde. Bekannt für Joachim Ringelnatz, Kekse und Kurzkoch-Reis; der Milchreis ist im Übrigen sehr empfehlenswert. Wurzen ist die Große Kreisstadt des Landkreises Leipzig, die Messestadt mit ihrem Trubel ist also sehr nah, sowie die Geburtsstadt des Schriftstellers Bernd Wagner. Hier kommt er 1948, drei Jahre nach dem verheerenden Zweiten Weltkrieg, zur Welt, hier wächst er auf und verbringt Kindheit und Jugend. Sowohl dieser sächsischen Stadt in der Provinz als auch der Geschichte seiner Familie widmet er sich auf sehr persönliche Weise in seinem aktuellen und autobiografischen Roman „Die Sintflut in Sachsen“. „Geschichte (n) – Bernd Wagner „Die Sintflut in Sachsen““ weiterlesen