Meri Valkama – „Deine Margot“

„Die Vergangenheit verschwindet niemals.“

Nur etwas mehr als 40 Jahre lang hat sie existiert. Mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 verschwindet die DDR von den Landkarten der Welt. In den Erinnerungen der Menschen ist sie jedoch noch immer präsent – in den unterschiedlichsten Schattierungen. Viel ist über sie geschrieben worden. Zu all der Literatur, den Romanen und Erzählungen, kommt nun eine spannende Stimme aus Finnland hinzu: die der Autorin Meri Valkama. Ihr Debüt „Deine Margot“ wurde in ihrem Heimatland zu einem preisgekrönten Bestseller.

Berlin als Schauplatz

Die finnische Autorin, 1980 geboren, verbrachte einige Kindheitsjahre in Ostberlin, ich kam drei Jahre eher in einer sächsischen Kleinstadt mit dem Wörtchen „Groß“ im Namen zur Welt. Mein Blick auf die DDR ist ein recht nachdenklicher, gar kritischer. Für mich war sie ein Land der Unfreiheit, der Mangelwirtschaft. Die ostalgischen Erinnerungen, die noch immer in vielen Köpfen verankert sind, sich durch die Medien ziehen, sind mir eher fremd. Die vielbeschworene Gemeinschaft entstand eher aus einem Zwang heraus, wie ich finde. Berlin, einer der Hauptschauplätze des Romans, war die weit entfernte, in der Kindheit nahezu unerreichbare Hauptstadt der DDR – mit Fernsehturm und der Mauer. Ich stamme aus dem sogenannten „Tal der Ahnungslosen“, wo der Empfang der West-Fernsehsender eingeschränkt war.

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„Deine Margot“ und die Geschichte des finnischen Journalisten Markus Siltanen, der Anfang der 80er-Jahre mit seiner Frau Rosa und den beiden gemeinsamen Kindern Matia und Vilja aus Auslandskorrespondent nach Ostberlin kommt, hat in mir Erinnerungen, Empfindungen und Gedanken wieder entstehen lassen, enthält der nie verklärende, auf zwei Zeitebenen spielende Roman doch verschiedene Sichtweisen auf die DDR. Da ist Markus Siltanen, der an die Idee des real existierenden Sozialismus glaubt, seine Frau Rosa, die in der Rolle der Mutter gefangen zu scheint, empfindet es hingegen als Befreiung, für einige Stunden in den Westen zu fahren. Ute, eine ehemalige Freundin Rosas, ist nach der friedlichen Revolution auf die Zeit der DDR nicht mehr gut zu sprechen.

Auslöser dieses Rückblicks in das ungewöhnliche Leben einer finnischen Familie ist ein besonderes Ereignis. Mehr als 30 Jahre später und nach dem Tod ihres Vaters stößt Vilja, die wie ihr er ebenfalls für eine Zeitung arbeitet, auf ihr unbekannte Briefe. Wer war jene Margot, die damals jene emotionalen wie persönlichen Zeilen geschrieben hat, wer sind Erich und „Kastanie“, die in den Briefen aus dem Jahr 1989 erwähnt werden?

Zeitreise in die Kindheit

Vilja reist 2011 nach Berlin – und zugleich zurück in ihre Kindheit. Sie wohnt im selben Plattenbau, wo sie einst als Kind gelebt hat – nur einige Stockwerke höher und noch immer den Fernsehturm in gefühlter Reichweite. Sie besucht ihren einstigen Kindergarten. Sie begegnet nicht nur Ute, sie reist auch in die Ukraine, wo eine weitere Freundin ihrer Eltern nunmehr lebt. Ihre Mutter und ihr älterer Bruder lehnen die Recherche der Tochter beziehungsweise Schwester vehement ab, ein Streit, der die Gräben weiter vertieft, eskaliert. Das Bild ihrer Familie verändert sich, die Suche nach den Antworten auf ihre vielen Fragen ist lang und mühsam. In einem Dorf auf der Ostsee-Insel Usedom kommt es am Ende zu einer berührenden wie alles entscheidenden Begegnung.

„Noch weniger hätte er geglaubt, falls jemand das behauptet hätte, dass Hand in Hand mit dem realen Sozialismus sein eigenes Leben mitsamt dessen in den Boden gegossenem Fundament zerbröckeln würde, noch dazu in einer Weise, von der er sich nie wieder erholen würde.“

Valkama hat einen spannenden, melancholischen und ergreifenden Roman über die Suche nach der eigenen Vergangenheit geschrieben, über das Festhalten und Wiederfinden von Erinnerungen und über eine leidenschaftliche, allerdings geheime Liebe, der keine Zukunft geschenkt wird und an der letztlich beide Liebenden zerbrechen.

Grönemeyer und Rotkäppchen-Sekt

Faszinierend, wie die Finnin den Alltag des Korrespondenten beschreibt, sie ihren Roman mit DDR-Typischem oder bekannten Namen aus der deutsch-deutschen Kultur anreichert. Der Rotkäppchen-Sekt kommt genauso vor wie die Zeitung „Neues Deutschland“. Grönemeyer wird zitiert, der Schriftsteller Christoph Hein erwähnt. Auch denkwürdige wie folgenreiche Ereignisse finden sich: die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986, die legendären wie für viele noch immer unfassbaren Worte von Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz am 9. November 1989 kurz vor dem Fall der Mauer, deren Bilder um die Welt gingen und die meine Eltern mit Staunen und Freude verfolgt haben.

Sprachlich teilweise indes etwas zu unrund und pathetisch, hat der Roman, für den Valkama den Debüt-Preis der finnischen Tageszeitung „Helsingin Sanomet“ erhielt, trotz alledem einen besonderen Reiz, weil sich in ihm sehr authentische Figuren finden, er das Gestern mit dem Heute verbindet und aufzeigt, wie wichtig ein klarer Blick auf die Vergangenheit für das Werden der eigenen Identität ist. „Deine Margot“ bietet eine fesselnde Lektüre – sowohl für jene, die die DDR erfahren haben, als auch für jene, die das Land nur aus Büchern oder Berichten kennen.

Weitere Besprechungen gibt es auf den Blogs „literaturleuchtet“, „arcimboldis world“ und „letteratura“.


Meri Valkama: „Deine Margot“, erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt, in der Übersetzung aus dem Finnischen von Angela Plöger; 544 Seiten, 26 Euro

Foto von Tim Simon auf Unsplash

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