„Lass dich nicht von lauter Musik täuschen.“
In ihren Dienst als Spionin stolpert Serena Frome hinein. Dabei ist die kluge Studentin der Mathematik eigentlich der Literatur verfallen. Der Geschichtsprofessor Tony Cummings vermittelt ihr die Stelle beim britischen Inlandsgeheimdienst M15. Als letzte Liebesbekundung, ehe er seine junge Geliebte abserviert – bevor es mit ihm ein trauriges Ende nimmt. Serena ahnt, dass auch er irgendwie in den Machenschaften des Geheimdienstes verstrickt ist. Sie selbst muss sich in den ersten Tagen an leidige und schlecht bezahlte Büroarbeit in einer von Männern beherrschten Branche gewöhnen. Doch schließlich bekommt sie einen besonderen Auftrag: Sie soll den Jungautor und Literaturwissenschaftler Tom Haley für ein Stipendium gewinnen – das, wie sollte es auch anders sein, vom Geheimdienst finanziert wird.
Kaum zu glauben aber wahr ist der historische Fakt, den Ian McEwan in seinem neuesten Roman „Honig“ als reale Grundlage verwendet. Einst hatte die CIA Künstler und Vertreter der Intelligenz gefördert, eigene Zeitschriften – wie „Der Monat“ in Deutschland – finanziert – zum Zweck die eigene Weltensicht zu verbreiten. Interessant ist dieser wahre Hintergrund allemal. Doch der im Diogenes-Verlag erschienene Roman ist mehr als nur eine spannende Spionage-Geschichte, die in den 70er Jahren handelt. Denn McEwan gibt seinem Werk vor allem eins: sehr viel Herz. Denn Serena und Tom werden ein Paar, natürlich zum Ärger des M 15. Jeder ist dem anderen verfallen, denn beide haben eine Leidenschaft: die Literatur. Sie reden viel über Bücher, Serena hilft Tom bei seinen literarischen Arbeiten. Und mit Erfolg: Für seinen Roman „Im Tiefland von Somerset“, eine düster Endzeitprophezeiung, holt Haley überraschend den renommierten Austen-Preis. Doch dann fliegt Serenas wahre Identität auf und Toms Schaffen wird kritisch hinterfragt. Doch McEwan wäre nicht McEwan, wenn er den Leser dank einer Weichenstellung der Story auf ein anderes Gleis schickt: So viel sei an dieser Stelle verraten- trotz des offenen Endes schimmert ein herzerwärmender Abschluss zaghaft hervor.
Gerade diese Vielschichtigkeit des Romans und seine Auseinandersetzung mit der Literatur und der Liebe zur Literatur machen ihn zu einem einzigartigen Werk. Irgendwie hat man beim Lesen das Gefühl, die Geschichte bildet sich aus vielen Matroschka-Figuren, die wiederum aus mehreren Zwiebelschichten bestehen. Der Autor hält die Spannung nicht nur durch die intensive Liebesgeschichte zwischen Serena und Tom sowie das intrigante Spiel des Geheimdienst-Mitarbeiters Max, sondern vor allem eben auch durch jene überraschenden Wendungen. Und die finden sich nicht nur in der aus der Sicht von Serena erzählten Hauptgeschichte. McEwan bettet weitere kleine Erzählungen als Werke des Jungautors ein.
So muss an dieser Stelle eine deutliche Warnung ausgesprochen werden: Das Buch lässt einen so schnell nicht los. Doch keine Bange: Ein schlechtes Gewissen, weil man einen Tag oder eine Nacht wie im Sog durchgelesen hat, sollte man nicht haben. Denn diese Lebenszeit ist gut investiert – in eine wunderschöne Geschichte über Literatur, Liebe und die Zeiten, in denen der Kalte Krieg vor allem auch ein Krieg der Ideen war.
Der Roman „Honig“ von Ian McEwan erschien 2013 im Diogenes-Verlag, in der Übersetzung aus dem Englischen von Werner Schmitz.
464 Seiten, 23,60 Euro
schön, dass das Buch bei dir auch so gut weg kommt!
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