Der tragische Tod eines Sportlers – Josef Haslinger "Jáchymov"

„Das Erinnern gehört zu uns lebenden Menschen. Das, was wir mit Erinnerung meinen, gibt es nur hier auf dieser Welt.“

Das Leben hält Begegnungen bereit, die nur das Schicksal knüpfen kann. Manchmal ist das so. Rein faktische Erklärungsversuche gibt es nicht. In der Literatur finden wir solche Aufeinandertreffen zuhauf. Klar, Literatur ist Fiktion, das riesige Feld für Denkspiele nach dem Motto „was wäre wenn“, ein kunstvolles Vermischen von Orten, Zeiten und Personen. Aber vielleicht hätte es diese Begegnung zwischen einem Verleger und der Tochter eines tschechischen Eishockeystars wirklich gegeben, die Josef Haslinger in seinem neuesten Roman „Jáchymov“ Raum gibt.

Denn spielte die Zeit der Wende und die späteren Jahre, Jahrzehnte nicht mit den Menschen in Europa blinde Kuh? Sie wurden mit einem Mal an Orte gebracht, die sie ohne die friedliche  Revolution gar nicht erlebt hätten, manchmal nur aus der spontanen Entscheidung heraus. Und sie erlebten, wie Orte sich wandelten, wie einst Plätze des Schreckens zu Gedenkstätten wurden. Jáchymov ist solch ein Ort. Hier treffen der Verleger Anselm Findeisen und die Tochter des früheren Torwarts der tschechischen Eishockeynationalmannschaft, Bohumil Módry, aufeinander. Er sucht Heilung für seine Morbus-Bechterew-Erkrankung, sie den Ort, an dem ihr Vater unermesslich leiden musste: Im Uranbergwerk im Erzgebirge, wo er ein Jahr schuftete, der Strahlung schutzlos ausgeliefert war und schließlich wenige Jahre nach der Amnestie an den Folgen verstirbt. Die Tochter, eine Tänzerin, erzählt dem Verleger die Geschichte ihres Vaters, in Gesprächen und in jenem Bericht, um den Findeisen die Frau für ein mögliches Buch gebeten hatte. Ausführlich hält sie Rückblende: auf die Erfolge ihres Vaters, der mit seinem Team zweimal Weltmeister und einmal Olympiasieger wurde. Schonungslos und offen erzählt sie über die Anwerbeversuche westlicher Mannschaften, die stetigen Gedanken an eine Ausreise und die Schikanen, die das Team bereits vor und erst recht nach der Verurteilung wegen angeblicher Angriffe gegen das kommunistische Regime erleben musste. Módry erhielt mit 15 Jahren Gefängnis die härteste Strafe. Mitspieler hatten ihn „vorgeschoben“. Die hohen Funktionäre wollten danach nichts mehr von ihren sportlichen Helden wissen, keiner einziger von den „großen Namen“ war zugegen, als Módry gerade mal 47 Jahre alt 1963 zu Grabe getragen wird. Selbst die Familie, die beiden Töchter und die aus der Schweiz stammende Ehefrau, war den Schikanen ausgesetzt.

Doch es nicht nur die reale Geschichte des Eishockeyspielers, die Haslinger nach umfangreichen Recherchen und mit der Hilfe der Tochter Módrys literarisch verarbeitet, die in diesem Roman breiten Raum erhält. Der Österreicher, der seit 1996 am Leipziger Literaturinstitut als Professor für Ästhetik tätig ist, hat allgemein die Geschehnisse in Mitteleuropa im Blick. Dem Verleger Findeisen schreibt er ein Leben zu, das ebenfalls von den Widrigkeiten eines totalitären Systems gezeichnet ist. Er wuchs in der DDR auf, galt als Talent in Sachen Fallschirmspringen. Später erlebt er ebenfalls den Gefängnisalltag, nachdem er an der ungarischen Grenze verhaftet worden war, ohne dass ihm ein Fluchtversuch wirklich bewiesen werden konnte. So werden Parallelen zwischen den Ländern und dem Alltag ihrer Bewohner gezogen, die der Willkür des politischen Systems, Mangel- und korrupter Vetternwirtschaft ausgeliefert waren.

Haslinger verbindet die verschiedenen Zeitebenen geschickt, erzählt in einer Sprache, die zwei unterschiedliche Gesichter zu haben scheint, um sowohl die Schrecknisse dieser Zeit und die Tragödie des Sportlers eindrücklich zu beschreiben als auch die etwas wunderliche Figur des Verlegers leicht ironisch darzustellen. Sein Roman vereint viele verschiedene Geschichten: die unterschiedlichen Menschenschicksale, ein Auszug aus der Historie zweier Länder und vor allem ein besonderes Kapitel tschechischer Sportgeschichte. Und all dies zusammen bildet ein Werk, das ungemein lehrreich ist und berührt. Es zeigt, wie Geschichte mit dem Leben des Menschen spielen kann, im schlimmsten Fall es zu einer Tragödie werden lässt. Ohne dass der Mensch eine Chance hat, erfolgreich mitzuspielen.

Der Roman  „Jáchymov“ von Josef Haslinger erschien im Fischer-Verlag.
270 Seiten, 19,95 Euro

 

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