Schatten – Rebecca Hunt "Mr. Chartwell"

„Black Pat stand in der Mitte des Raumes, ein Ungeheuer mit wachsamen Augen.“ 

Esthers Hammerhans‘ neuer Untermieter hat dunkles Fell, einen klobigen Kopf und vier Beine. Im Gegensatz zu seiner riesigen Gestalt ist sein Anstand eher von geringem Umfang. Mr. Chartwell alias Black Pat klopft zwar eines Tages manierlich mit der Pfote an Esthers Haustür, in den kommenden Tagen soll der große Hund indes sein wahres Gesicht zeigen. Aus einem possierlichen Kerlchen, das in der Wanne plantscht und sich auf der Couch fläzt, wird ein düsterer Schatten, der sich auf die Stimmung der jungen Frau legt und zu ihrem ständigem Begleiter wird. Esther lebt bis auf die Freundschaft zu ihrer Kollegin Beth und deren Familie sehr zurückgezogen. Eigentlich kennt sie nur die Arbeit in der Bibliothek des Unterhauses mit einem despotischen Chef und hochmütigen Abgeordnete. Was Esther noch nicht weiß: Auch ihr Mann Michael, der sich vor zwei Jahren das Leben nahm, kannte den großen Hund mit dem schwarzen Fell. Und nicht nur er.

Denn kein Geringerer als der ehemalige britische Premierminister und Nobelpreisträger Winston Churchill ist ebenfalls mit der plumpen Gestalt vertraut. Denn Churchill und sein „black dog“, wie er seine depressiven Phasen nannte, bilden den realen Hintergrund für den ersten Roman der englischen Malerin Rebecca Hunt (Jahrgang 1979) mit dem Titel „Mr. Chartwell“. Das Buch spielt im Jahr 1964, ein Jahr vor Churchills Tod. Der große Mann der Weltgeschichte hat sich auf seinen Herrensitz in Kent zurückgezogen, der Abschied aus dem Politikalltag steht ihm kurz bevor. Esther nun fürchtet den zweiten Todestag ihres Mannes entgegen. Und da taucht eben Mr. Chartwell auf. Die Situation könnte nicht besser sein für ihn, um sein nächstes Opfer in die Fänge zu bekommen und zu behalten. Doch das Monstrum mit dem fiesen Grinsen und den nervigen Sprüchen hat nicht die Rechnung mit dem unvorhergesehenen Schicksal gemacht: Denn eines Tages lernt Esther nicht nur einen neuen Kollegen kennen. Sie erhält einen wichtigen Auftrag im Hause Churchill.

Während das Buch auf seinen ersten Seiten als komisches Werk erscheint, über dessen zahlreiche witzige Szenen und einen unglaublich ausgeprägten Wortwitz man sich ungemein amüsiert, dreht sich mit den folgenden Kapiteln die Stimmung um 180 Grad. Spätestens als die Rolle des Hundes erkennbar wird. Die Autorin könnte nun jedoch eine ernste Atmosphäre aufbauen, die Handlung in einem traurigen Ton weitererzählen. Doch falsch. Engländer sind bekanntlich Meister des schwarzen Humors, der zu kräftigen Lachern reizt, ohne den kritischen Hintergrund aus den Augen zu verlieren. Übertreibung ins oftmals Groteske ist sein bestechendes Merkmal. Nur so streut man Salz in die Wunde. Es muss weh tun, das Lachen wie das Weinen.

Wie Rebecca Hunt es gelingt, beide Gesichter ihres ersten Buches zu vereinen, ist meisterhaft. Ihr gelingt es zum einen, den realen Hintergrund in eine originell erzählte fiktive Geschichte rund um die schüchterne Esther und ihre traurigen Erlebnisse zu betten und die Figuren, allen voran der sprechende Hund plastisch zu gestalten. Zum anderen erdrückt der Humor nicht das eigentliche, traurige Thema.  Depression, die Krankheit, die keiner dem anderen ansieht, ist weiterhin keines, über das man gern spricht, das nicht wirklich ernst genommen wird. Trotz immerwiederkehrender Präsenz in den Medien. Doch vielleicht schafft es dieses Buch, für dieses Thema zu sensibilisieren. Denn das Unverständnis der anderen macht den schwarzen Schatten nur noch größer und schwerer.

„Mr. Chartwell“ von Rebecca Hunt erschien im Luchterhand Verlag, in der Übersetzung aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring.
256 Seiten, 18,99 Euro

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