„Jeder Mensch trägt die künftigen Fakten seines Lebens vom ersten Atemzug an in sich.“
Die beste Zeit des Malers liegt hinter ihm. Zwar wird er noch immer respektiert, aber nach dem wirtschaftlichen Ruin und dem Tod seiner geliebten zweiten Frau lebt er zurückgezogen und sinnt der vergangenen Zeit hinterher, den Erfolgen und den Niederlagen, den Erlebnissen voller Glück und den Verlusten. Jahrhunderte später wird er als einer der bedeutendsten Maler, nicht nur seiner Epoche, gelten.
Rembrandt hat die holländische Autorin Margriet de Moor ihren Roman „Der Maler und das Mädchen“ gewidmet. In einem persönlichen Nachwort nimmt sie Bezug auf die besondere Widmung. Doch nicht nur für ihn ist der Roman geschrieben worden, sondern auch für jenes Mädchen im Titel: die 18-jährige Elsje, die von Dänemark aufbricht, um ihre Schwester in Amsterdam zu suchen. Wenige Tage nach ihrer Ankunft in der florierenden Stadt ereilt sie im März 1664 jedoch der Tod. Als Mörderin ihrer Vermieterin (Schlaffrau) wird sie nach einem Gerichtsurteil vom Scharfrichter erdrosselt. Sie hatte diese mit einer Axt niedergeschlagen, nachdem sie das Geld für die Miete in aufdringlicher Art und Weise eingefordert hatte und das Mädchen mit einem Mieter verbanden wollte. Rembrandt wird das Mädchen nach dessen Tod porträtieren, an jenem grauenvollen Ort, wo die Hingerichteten, an Pfähle gebunden, zurückgelassen werden.
De Moor, 1941 geboren und in Deutschland unter anderem bekannt geworden durch ihren Roman „Sturmflut“, verknüpft in einer nur kurzen Handlungsspanne beide doch so unterschiedlichen Schicksale. Intensiv, aber nicht ohne beide Personen plastisch zu charakterisieren, ein prägnantes Bild von ihnen zu entwerfen. Ihre Blicke gehen dabei immer wieder zurück in die Vergangenheit: zurück in die unbeschwerte Zeit des Mädchens in Dänemark und die strapaziöse Reise nach Holland, zurück in die einzelnen Schaffensphasen des Malers und die wichtigsten Ereignisse in seinem Leben. Vor allem der herbe Verlust seiner beiden Frauen als verheerende Schicksalsschläge – letztere zählte zu den unzähligen Opfern, die die Pest ein Jahr zuvor in Amsterdam hinweggerafft hatte – prägt diese somit auch emotionale Geschichte. Doch auch seine Werke finden Eingang – beispielsweise das bekannte Bild „Die Anatomie des Dr. Tulp“ und dessen Entstehung. Faszinierend auch und deshalb spannend zu lesen: die Entstehung der einzelnen Farben.
Nicht nur die zahlreichen, klug verknüpften Rückblenden beweisen De Moors fantastische Gabe, mit den Zeiten zu spielen. Immer wieder finden sich in dem knapp 300-seitigen Band Andeutungen, die noch Zukunft sind, Jahrhunderte später Gegenwart werden. Manchmal erscheint es, sie mischt die Zeiten wie ein Maler die Farben auf einer Palette. Und auch diese spielen eine nicht unwesentliche Rolle. Oft erscheinen Szenen wie ein gemaltes Bild, werden Lichtstimmungen, Personen, Gegenstände oder Teile einer Landschaft nach ihren Farben und sogar Farbabstufungen beschrieben. Der Trauer und der Tod – Rembrandt soll fünf Jahre später ebenfalls sterben – kennt indes nicht nur die Farbe Schwarz.
Wer historische, aber durchaus anspruchsvolle Romane und romanhafte Biografien mag, wird dieses wundervolle Werk lieben. Nicht mehr und nicht weniger; und vielleicht von der Faszination der Kunst regelrecht umhüllt werden.
„Der Maler und das Mädchen“ von Margriet de Moor erschien 2013 im Deutschen Taschenbuch Verlag, in der Übersetzung aus dem Niederländischen von Helga von Beuningen.
304 Seiten, 9,99 Euro
Ein Kommentar zu „Leben in Farben – Margriet de Moor "Der Maler und das Mädchen"“