Mit 16 fühlte ich mich noch wie ein Kind, obwohl ich langsam begann, zu rebellieren – gegen meine Eltern und meinen „großen“, sieben Jahre älteren Bruder. Mit 16 lebte ich in meinem eigenen Universum, mit dem Buch ging es zur Hofpause, mit dem Rad von der Schule nach Hause – mit Zwischenhalt am Supermarkt, um die Schokoladen-Vorräte aufzufüllen. Meine Lieblingskleidung waren die quietschbunten Hemden meines Bruders, die ich heimlich aus seinem Zimmer klaute. Dass die Knopfleiste auf der falschen Seite war, interessierte mich nicht sonderlich. Oft träumte ich vom Oscar für die beste schauspielerische Leistung, sah mich schon in Hollywood während der Verleihung heulen, Mutti und Vati und ja meinem Bruder schluchzend danken. Manchmal hoffte ich dann wiederum, mit Elton John einmal auf der Bühne zu stehen und „Don’t go breaking my heart“ zu singen – ob mit Vollplayback oder ohne. Ich probte heimlich – mit der Haarbürste in der Hand. Mein Dasein als von der Klasse anerkannter Buchfreak brachte mich dazu, dass ich in den Pausen vor den Deutschstunden manchmal ausplauderte, wie es denn weiterging – mit „Werner Holt“ oder „Macbeth“. Zwischendurch knipste ich alles um mich herum – Mitschüler, Lehrer, das Pferd auf der Weide, die Elbe, den Teich im Garten. Die Kleinbildkamera war ein Geschenk zur Jugendweihe. Und ja, ich habe mich auch in den einen oder anderen verliebt, allerdings ohne nennenswerte Ergebnisse.
Und heute 20 Jahre später? Was ist aus all den Wünschen, Hoffnungen und Talenten geworden. Ich erinnere mich oft an die damalige Zeit – nicht nur jetzt wenige Tage vor dem nächsten Klassentreffen. Mein Gedanke ist dabei immer wieder derselbe und recht paradoxer Art: Als Kind willst du erwachsen sein, als Erwachsener sehnst du dich wieder in die Kindheit zurück. Vielleicht liegt es am ständigen und gefühlt immer schnelleren Vergehen der Zeit. Mit dem Oscar hat es nicht geklappt. Elton John habe ich während eines Konzertes gesehen, er sang ohne mich, und ich glaube, das war gut so. Seine Platten sind immer noch Teil meiner Sammlung, die mit den Jahren kräftig gewachsen ist – mit neuen Namen, neuen Musikstilen. Nur Volksmusik und Schlager bleiben draußen. Ein Leben ohne Bücher kann ich mir immer noch nicht vorstellen. Das Schreiben wurde zum Beruf, die erste eigene Fotoausstellung gehört bereits der Vergangenheit an.
Was wohl die anderen erlebt, durchlebt haben? Haus gebaut, Familie gegründet, ins Ausland gegangen, erfolgreich im Beruf? Ab und an gehen die Erinnerungen aber auch an jene Mitschüler und Kommilitonen, Lehrer und Professoren zurück, die es nicht mehr gibt. Trotz des traurigen Rückblickes oder vielleicht gerade deswegen denke ich, welch Riesengeschenk das Leben ist mit all seinen Begegnungen, nur wird uns dies viel zu selten wirklich bewusst, weil uns das Leben manchmal selbst keine Zeit dafür gibt.
PS: Das Foto entstand 1991.