Ian McEwan – „Lektionen“

„So viele vergessene Lektionen.“ 

Das ganze Leben. Die Meisterklasse in der Literatur. Schriftsteller haben sich daran abgearbeitet, die einem Menschen gegebene Zeit zu erzählen. Manchen ist es bravourös gelungen, manche sind daran kläglich gescheitert. Der Engländer Ian McEwan zählt zur ersten Gruppe. Denn sein neuer Roman „Lektionen“ ist ein Meisterwerk, das dem Leser einen Leserausch verschafft, der lange im Gedächtnis bleibt. 

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Nicklas Brendborg – „Quallen altern rückwärts“

„Gene sind nämlich weder Magie noch Schicksal, sondern lediglich ein Proteinrezept.“

Seit es Menschen gibt, existiert der Wunsch nach ewiger Jugend – unsterblich zu sein. Die Legenden sind voll von Jungbrunnen, Zaubertrank und Co. Noch ist kein Kraut gewachsen gegen den Tod. Unser Leben ist endlich. Irgendwann ist für jeden die Zeit gekommen. In seinem Sachbuch „Quallen altern rückwärts“ begibt sich der dänische Molekularbiologe Nicklas Brendborg auf die spannende Suche nach den lebensverlängernden Möglichkeiten für den Menschen und macht dabei auch die Bekanntschaft von uralten Vertretern aus Flora und Fauna. Herausgekommen ist eine an Wissen nur so strotzende Lektüre, die auch noch ganz wundervoll unterhaltsam ist.

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Edward Docx – „Am Ende der Reise“

„Von einem Menschen bleibt nur übrig, was er oder sie erschaffen hat.“

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen: Ein allseits bekannter und gern zitierter Spruch, den wohl viele von uns kennen. Doch nicht jede Reise endet mit einer freudigen Rückkehr. Dabei soll es an dieser Stelle und mit diesem Buch nicht um ein tragisches Unglück, sondern um ein noch immer aktuelles wie brisantes Thema gehen. Der Engländer Edward Docx erzählt in seinem wunderbaren Roman „Am Ende der Reise“ vom letzten Wunsch eines angesehenen Literaturprofessors, der sterbenskrank ist. „Edward Docx – „Am Ende der Reise““ weiterlesen

Bücher mit Geschichte(n) – Meine persönlichen Schätze

Spätestens mit einem Umzug wird jeder, der Bücher aus Leidenschaft liest und sammelt, bemerken, was über die Jahre, ja Jahrzehnte zusammengekommen ist. Als ich im Herbst vergangenen Jahres von einer Wohnung in die andere ziehen wollte, entstanden in meinem früheren Wohnzimmer, im Flur und im Schlafzimmer regelrechte Kistenberge. Es ist schwer, mit Worten zu beschreiben, welchen Gesichtsausdruck die Mitarbeiter des Umzugsunternehmens machten, als ich ihre  Frage, was denn in den Kisten denn so sei, kurz und knapp, aber durchaus selbstbewusst zu beantworten wusste: Bücher. Rund 80 Prozent der Kisten waren mit Büchern gefüllt, im Rest der Kartons waren Kleidung sowie Geschirr untergekommen. Doch nicht die Menge ist entscheidend. Einige der Bücher verbinde ich mit besonderen Erinnerungen. Sie erzählen Geschichten, zeigen auch, welche Bücher ich besonders schätzen gelernt habe. Es sind eben Schätze, bei denen nicht der einstige Kaufpreis entscheidend ist. Von einigen dieser Geschichten möchte ich Euch nun berichten.

Londiste

Ich bin in der DDR aufgewachsen. In früheren Berichten habe ich dann und wann geschrieben, wie schwer es damals war, an bestimmte Bücher zu kommen. Beziehungen waren wichtig, um an die sogenannte Bückware, jene unter dem Ladentisch, zu kommen oder sich aus dem „Westen“, verbotene und geliebte Titel und Autoren schicken zu lassen. Es konnte auch geschehen, dass man zu Reisen in die Sowjetunion auf Bücher stieß, die hier zwar gedruckt worden waren, aber nie den Weg in die hiesigen Buchläden fanden. Mein Vater brachte mir in den 80er Jahren einen Band mit Ludwig Bechsteins Märchen mit, als er ein paar Tage in Leningrad weilte. Zu Geburtstagen und zum Weihnachtsfest erhielt ich stets ein Buch, mein Taschengeld floss meistens in den Kauf neuer Lektüre. Eines dieser geliebten Bücher aus Kindheitstagen ist „Der Elefant Londiste“ des estnischen Dramatikers Iko Maran (1915 – 1999). Das Buch mit Illustrationen von Heldur Laretei erzählt die Geschichte des Jungen Siim, der zu seinem Geburtstag einen Spielzeug-Elefanten geschenkt bekommt. Es ist noch antiquarisch erhältlich.

Söhne

Zu den prägenden Erinnerungen an meine Kindheit zählen auch Winnetou und Old Shatterhand,  die wohl bekanntesten Figuren der Welt von Karl May (1882 – 1912). Der gebürtige Sachse zählt zu den produktivsten Autoren seiner Zeit und wohl bis heute zu den meist gelesenen. Von Kult zu sprechen, scheint mir nicht übertrieben zu sein. Bis heute wird sein literarisches Erbe gepflegt, gibt es unter anderem auch eine Karl-May-Gesellschaft, die mit zu den größten literarischen Vereinigungen Deutschlands zählt und in diesem Jahr in Bad Kösen tagen wird. Doch ich komme etwas vom Thema ab, denn mit May und seiner Welt, die er erschuf, ohne jemals die Weiten Amerikas gesehen zu haben, habe ich bisher wenig am Hut. Vielmehr machte ich in der Jugend die Bekanntschaft mit der Autorin Liselotte Welskopf-Henrich (1901 – 1979) und ihrem mehrbändigen Werk „Die Söhne der großen Bärin“. Welskopf-Henrich reiste in den 60er und 70er Jahren in die USA und Kanada, um das Leben der Dakota-Indianer zu studieren. Während ich Winnetou und Old Shatterhand nur auf dem Fernsehbildschirm in Form der schon legendären Verfilmung mit Pierre Brice und Lex Barker sah, den Tod des Indianerhäuptlings zutiefst betrauerte und als Kind das Karl-May-Museum in Radebeul besucht habe, las ich später den ersten Teil „Harka“ der Welskopf-Henrich-Reihe und war begeistert. Irgendwie war es mir in jener Zeit nicht möglich, weitere Bände in die Hand zu bekommen. Jahre und Jahrzehnte vergingen, bis ich in der Stadtbibliothek Naumburg, die ich regelmäßig und häufig besuche, im dortigen Bücherflohmarkt auf eine Komplett-Ausgabe, erschienen als Paperback im Altberliner Verlag, stieß und sie natürlich (für wenig Geld) erwarb.

Muzot

Geht es um Bücher und meine Bücherleidenschaft kann und muss ich von meiner Mutter erzählen. Sie führte mich früh an die Literatur, besuchte mit mir die Dorfbücherei, kaufte die eben erwähnten Buchgeschenke. Die Literatur verband uns. Wir sprachen oft darüber, empfahlen oder liehen uns Titel aus. Bis sie im Januar verstarb und eine riesige, nicht und niemals zu schließende Lücke entstand. Unter ihren Bücher-Nachlass fand ich jenen Roman, der zu ihren Lieblingsbüchern zählte und von dem sie mir häufig berichtet hat: „Der Zauberer von Muzot“ von Ernst Moritz Mungenast (1898 – 1964). Ihre Ausgabe stammt aus der Büchergilde Gutenberg von 1939 und aus dem Bestand meines Urgroßvaters väterlicherseits. Der nicht unumstrittene Roman erzählt von der Geschichte einer Familie in Metz und zugleich von der Historie von Mungenasts Heimat Lothringen. Die Ausgabe hat mit der Zeit sehr gelitten und braucht  dringend die Zuwendung  eines Buchbinders.

Märchen

Ein Blick in meine Bücherregale verrät meine Leidenschaft für die Literatur des Nordens. Neben zahlreichen zeitgenössischen Romanen gehört zur Sammlung auch ein recht dicker Band: „Eventyr“, mit den gesammelten Märchen von Peter Christen Asbjørnsen und Jørgen Moe. Die beiden Schriftsteller könnte man als die „Grimm-Brüder“ Norwegens bezeichnen, sammelten sie doch wie Jakob und Wilhelm Grimm Märchen ihrer Heimat, nachdem sie das Land mehrfach bereist haben. Wer erfahren will, was es mit den mystischen und wohl auch gefürchteten Trollen auf sich hat, sollte die norwegischen Volksmärchen lesen. Dieser illustrierte und mehr als 600 Seiten umfassende Pracht-Band aus dem J.M. Stenersens Forlag Oslo hat eine weite Reise hinter sich. Ihn fand ich in einer Buchhandlung in Trondheim, während ich im Januar/Februar 2015 mit der Hurtigruten die norwegischen Küste entlang reiste; eine atemberaubende Tour auf der MS Polarlys von Bergen bis Kirkenes und zurück, bei der ich auch das Nordlicht sehen konnte.

Polar

Apropos Schwergewicht und Kälte: Gehen wir noch ein wenig weiter in Richtung Norden oder auch ganz weit in den Süden. Seit einigen Jahren bin ich fasziniert von den eisigen Welten der Arktis und Antarktis. Ob Reiseberichte, Bildbände oder Bücher über die großen Entdecker – ich lese sie sehr gern. Vor einigen Jahren machten einstige Kollegen mir ein besonderes Geschenk: „Mythos Nordpol. 200 Jahre Expeditionsgeschichte“ des französischen Polar-Forschers Jean Malaurie. Klar, dass da wenig später mit „Der Ruf des Nordens“ ein weiterer Band den Weg in meinen mehr und mehr anwachsenden Polar-Bestand fand.


Foto: pixabay

Warum ich lese

Mit seinem Beitrag „Warum ich lese“ hat Sandro Abbate auf seinem Blog „novelero“ ein Thema berührt, das nachfolgend viele weitere Blogger beschäftigt hat. Unterschiedliche Einblicke in Lesebiografien und persönliche Gedanken sind so entstanden. Dies ist nun meine Geschichte. „Warum ich lese“ weiterlesen

Bewegte Zeiten – Ein auch literarischer Rückblick auf 25 Jahre Deutsche Einheit

Alles begann mit den Nachrichten. Meine Eltern baten mich unisono und mit etwas Strenge in der Stimme, doch endlich mal still zu sein. Ich war zwölf Jahre und plapperte. Wie es halt Mädchen in diesem Alter tun. Im Fernsehen lief die „Aktuelle Kamera“, die Nachrichtensendung der DDR. Auf der Mattscheibe: Szenen, die noch heute für Gänsehaut und ein Kribbeln im Bauch sorgen. In Berlin fällt die Mauer, der „antifaschistische Schutzwall“, wie er auch genannt wurde. Es war der erste Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands, deren 25-jähriges Jubiläum heute feierlich landauf und landab begangen wird.  „Bewegte Zeiten – Ein auch literarischer Rückblick auf 25 Jahre Deutsche Einheit“ weiterlesen

Pate für ein Buch – Wie und warum ich Bloggerin wurde!

Wie lassen sich akustische Lautäußerungen am besten mit Worten beschreiben? Klar, es gibt Verben wie „schreien“, „juchzen“ und „in die Hände klatschen“. Aber so richtig fassen sie nicht, wie ich mich am vergangenen Freitagnachmittag verhalten und staunende Mienen bei meinen Kollegen hervorgerufen habe. Vor allem beschreiben sie nicht diese innere Freude, die einen ausfüllt und schier überwältigt. Was war passiert? Auf der Internetseite der Leipziger Buchmesse  unter der Rubrik „Blogger“ stand mein Blog „Zeichen und Zeiten“. Ich war zu einem Blogger-Paten ernannt worden – von insgesamt 15. Mit dieser erstmaligen Initiative will die Buchmesse den Bloggern einen größeren Raum geben. Und ich denke, ohne anmaßend sein zu wollen und im Namen aller Blogger, wir alle haben diese besondere Würdigung verdient. Wir alle sind leidenschaftliche Botschafter der Bücher und Literatur und stehen oftmals näher zu den anderen Lesern und Bücherfreunden als so mancher Kritiker. Weil wir womöglich klarer schreiben, wenn uns ein Buch gefällt oder nicht gefällt? Weil wir weit unabhängiger sind?  „Pate für ein Buch – Wie und warum ich Bloggerin wurde!“ weiterlesen

20 years ago – Zurück in die Vergangenheit

Mit 16 fühlte ich mich noch wie ein Kind, obwohl ich langsam begann, zu rebellieren – gegen meine Eltern und meinen „großen“, sieben Jahre älteren Bruder. Mit 16 lebte ich in meinem eigenen Universum, mit dem Buch ging es zur Hofpause, mit dem Rad von der Schule nach Hause – mit Zwischenhalt am Supermarkt, um die Schokoladen-Vorräte aufzufüllen. Meine Lieblingskleidung waren die quietschbunten Hemden meines Bruders, die ich heimlich aus seinem Zimmer klaute. Dass die Knopfleiste auf der falschen Seite war, interessierte mich nicht sonderlich. Oft träumte ich vom Oscar für die beste schauspielerische Leistung, sah mich schon in Hollywood während der Verleihung heulen, Mutti und Vati und ja meinem Bruder schluchzend danken. Manchmal hoffte ich dann wiederum, mit Elton John einmal auf der Bühne zu stehen und „Don’t go breaking my heart“ zu singen – ob mit Vollplayback oder ohne. Ich probte heimlich – mit der Haarbürste in der Hand. Mein Dasein als von der Klasse anerkannter Buchfreak brachte mich dazu, dass ich in den Pausen vor den Deutschstunden manchmal ausplauderte, wie es denn weiterging – mit „Werner Holt“ oder „Macbeth“. Zwischendurch knipste ich alles um mich herum – Mitschüler, Lehrer, das Pferd auf der Weide, die Elbe, den Teich im Garten. Die Kleinbildkamera war ein Geschenk zur Jugendweihe. Und ja, ich habe mich auch in den einen oder anderen verliebt, allerdings ohne nennenswerte Ergebnisse.

Und heute 20 Jahre später? Was ist aus all den Wünschen, Hoffnungen und Talenten geworden. Ich erinnere mich oft an die damalige Zeit – nicht nur jetzt wenige Tage vor dem nächsten Klassentreffen. Mein Gedanke ist dabei immer wieder derselbe und recht paradoxer Art: Als Kind willst du erwachsen sein, als Erwachsener sehnst du dich wieder in die Kindheit zurück. Vielleicht liegt es am ständigen und gefühlt immer schnelleren Vergehen der Zeit. Mit dem Oscar hat es nicht geklappt. Elton John habe ich während eines Konzertes gesehen, er sang ohne mich, und ich glaube, das war gut so. Seine Platten sind immer noch Teil meiner Sammlung, die mit den Jahren kräftig gewachsen ist – mit neuen Namen, neuen Musikstilen. Nur Volksmusik und Schlager bleiben draußen. Ein Leben ohne Bücher kann ich mir immer noch nicht vorstellen. Das Schreiben wurde zum Beruf, die erste eigene Fotoausstellung gehört bereits der Vergangenheit an.

Was wohl die anderen erlebt, durchlebt haben? Haus gebaut, Familie gegründet, ins Ausland gegangen, erfolgreich im Beruf? Ab und an gehen die Erinnerungen aber auch an jene Mitschüler und Kommilitonen, Lehrer und Professoren zurück, die es nicht mehr gibt. Trotz des traurigen Rückblickes oder vielleicht gerade deswegen denke ich, welch Riesengeschenk das Leben ist mit all seinen Begegnungen, nur wird uns dies viel zu selten wirklich bewusst, weil uns das Leben manchmal selbst keine Zeit dafür gibt.

PS: Das Foto entstand 1991.     

Gedanken an Pa

Es ist Sonntag, Totensonntag. In Gedanken gehe ich zum Friedhof in Röderau, öffne das schmiedeeiserne Tor, laufe auf dem Weg zu den Urnengräbern, vorbei an der schmucken Kirche. Ich stehe vor einer roten Granittafel, vor einem Strauß mit Rosen, einem Gesteck, einem kleinen grauen Gedenkstein. Auf der Tafel ist der Name meines Vaters zu lesen. Der Herbst 2012 wird nicht als der goldene mir in Erinnerung bleiben, sondern als jener, in dem mein Vater starb. Mit 64 Jahren. Mein Leben geht weiter, doch vieles ist anders. Allzu gern würde ich den Telefonhörer in die Hand nehmen, ihn anrufen, mit ihm über dies und das reden, über Fußball, das Wetter und ja auch das Auto. Nie mehr wird er mich an der Haustür empfangen, mir Kartoffelpuffer machen, mich ermahnen, dass ich auf mich aufpassen soll. Und nie mehr werde ich ihn ermahnen, doch nicht die Bild-Zeitung zu kaufen.

Vieles erscheint mit seinem Tod banal, sogar jene Dinge des Alltags, die das Leben schön machen: gutes Essen, ein Kinobesuch, die Musik im Radio. Als er im Sterben lag, habe ich kaum Musik gehört, obwohl ich sie doch so liebe. Ich hatte die Gelegenheit, mich von ihm zu verabschieden, nicht in der frühen Stunde des 12. Oktober, als er einschlief, sondern an jenem Tag, an dem ihm bewusst war, dass er nicht mehr viel Lebenszeit hat. Wir sprachen nicht über das Traurige, sondern über die schönen gemeinsamen Erinnerungen: die Reisen nach Norwegen, die Urlaubstouren an die Ostsee. Als ich ihm von meiner jüngsten Reise an die Ostsee erzählte, blickte er stumm zum Fenster, als ob da draußen das Meer wäre. Später weinte ich. Schmerzlicher dann der Abschied mit der Beisetzung. Du hättest Dich gefreut, die gesamte Familie beieinander zu sehen, vor allem Deine Geschwister. Solveig hat mir gesagt, sie hätte dich gern mit nach Norwegen genommen. Du fehlst sehr – mir, Ma, Torsten und all den anderen. Mein Leben geht weiter, auch für Dich. Im Stillen werde ich Dir erzählen, was ich erlebt und gesehen habe. Und ganz sicher bin ich: Du bist immer bei mir.

Foto: Gerd Altmann/pixelio.de