„Von einem Menschen bleibt nur übrig, was er oder sie erschaffen hat.“
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen: Ein allseits bekannter und gern zitierter Spruch, den wohl viele von uns kennen. Doch nicht jede Reise endet mit einer freudigen Rückkehr. Dabei soll es an dieser Stelle und mit diesem Buch nicht um ein tragisches Unglück, sondern um ein noch immer aktuelles wie brisantes Thema gehen. Der Engländer Edward Docx erzählt in seinem wunderbaren Roman „Am Ende der Reise“ vom letzten Wunsch eines angesehenen Literaturprofessors, der sterbenskrank ist.
Unheilbar erkrankt
Larry Lasker, der Lyrik und Formel 1 liebt, will gemeinam mit seinen Söhnen in die Schweiz reisen – und dort sterben. Er leidet unter einer unheilbaren Motoneuronenerkrankung, ähnlich wie der berühmte Physiker Stephen Hawking. Seine körperlichen Fähigkeiten nehmen stetig ab, so dass er nach und nach mehr Hilfe von anderen benötigt. In Zürich will er Sterbehilfe in Anspruch nehmen und in Würde diese Welt verlassen. Mit seinem jüngsten Sohn Lou startet er seine letzte Tour – in einem Camping-Bus aus den 80er-Jahren. Sie setzen mit der Fähre von der Insel auf das europäische Festland über und gelangen nach Frankreich. Nach und nach stoßen Jack und Ralph hinzu, Larrys Söhne aus erster Ehe und Zwillinge. Während der Benjamin der drei Brüder Verständnis für den Wunsch seines Vaters zeigt und keine Zweifel an den Plänen hegt, wollen Jack und Ralph die Situation nicht wahrhaben.
Unterwegs erleben die Vier besondere Begegnungen und besichtigen besondere Orte. Lou und Larry genießen eine Champagner-Verkostung auf einem französischen Weingut. Das Vater-und-Söhne-Gespann sieht kostbare und einzigartige Höhlenmalereien und die Kathedrale von Troyes, erfährt das spezielle Leben auf einem Camping-Platz. Sie trinken, sie lachen und weinen miteinander, sie erinnern sich an gemeinsame Erlebnisse, oft streiten sie auch, wobei verletzende Worte fallen. Meist wegen des Wunsches des Vaters und seine einstige Entscheidung, Jack und Ralph mit ihrer Mutter Carol wegen seiner zweiten Liebe Julia zu verlassen. In Rückblicken und den Erinnerungen Lous werden die Spannungen, aber auch die engen emotionalen Bindungen der Familie, ihre Höhen und Tiefen, deutlich. Keiner der vier Männer ist ohne Fehl und Tadel. Jeder hat seine ganz eigene Geschichte, seine eigene Sicht auf die Dinge, die sich durch den jeweiligen Charakter und die jeweilige Erlebnisse ergeben. Jack ist selbst Familienvater, Ralph ein Frauenheld und Puppenspieler, Lou arbeitet als Datenbank-Manager, er liebt das Schreiben und seine Freundin Eva.
„Und Seneca schrieb außerdem: Aber leben zu lernen, dazu gehört das ganze Leben, und, was du vielleicht noch wunderbarer finden wirst: sein Leben lang muss man sterben lernen.“
Docx, Jahrgang 1972 und im Übrigen wie der Held Lou Sohn eines Briten und einer Russin, arbeitet als Journalist und Autor. Er ist bekannt für seine Artikel für den Guardian. Er debütierte mit „The Calligrapher“ im Jahr 2003. Sein Roman „Self Help“ (2007) war für den Man Booker Prize nominiert. Sein aktueller Roman besticht durch seine schlagfertigen und klugen Dialoge, durch seinen Humor und seine tiefe Menschlichkeit. Es gibt keine Szene, in denen Kitsch oder Klischeehaftes zu spüren sind. Vielmehr lässt sich trefflich über die Figuren, ihre verschiedenen Sichten als Kranker und Angehöriger sowie das brisante Thema diskutieren. Im Februar dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht den Sterbehilfe-Paragrafen 217 für nichtig und als nicht mit dem Grundgesetzt vereinbar erklärt. Eine Entscheidung, die weitere Debatten zwischen Verfechtern und Kritikern hervorrief. Bereits in den Vorjahren war neben den Niederlanden die Schweiz ein Ziel für viele, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollten.
Ein filmreifes Buch
Mit „Am Ende der Reise“ kann man lachen und weinen und viel nachdenken über Leben und Liebe, Zeit und Vergänglichkeit, Tod und würdevolles Sterben, Kunst und Kultur sowie die wohl immerwährende Frage, was von uns bleibt, wenn wir gehen müssen. Ein unvergessliches wie auch filmreifes Buch, das einen emotional sehr mitnimmt und lange nachhallt, ob mit oder ohne benutzte Taschentücher.
Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog von Anette Weber.
Edward Docx: „Am Ende der Reise“, erschienen im Verlag Kein & Aber, in der Übersetzung aus dem Englischen von Anna-Christin Kramer und Jenny Merlin; 512 Seiten, 14 Euro (Taschenbuch-Ausgabe)
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