Sorj Chalandon – „Verräterkind“

„Aber was warst du dann, Papa?“

Als der gefürchtete Ex-Gestapo-Chef Klaus Barbie im Frühjahr und Sommer 1987 im Lyoner Justizpalast auf der Anklagebank sitzt, hat Sorj Chalandon, Auslandskorrespondent der französischen Tageszeitung Libération, in den Reihen der akkreditierten Reporter Platz genommen. Sein Vater verfolgt die öffentlichen Gerichtsverhandlungen als Zuschauer. Die Resonanz auf den Prozess ist riesig. Derweil eskaliert zwischen Vater und Sohn ein Konflikt. Chalandon erhält Informationen über die Vergangenheit seines Vaters, der über seine Rolle im Zweiten Weltkrieg seine Familie belogen hat. Mit seinem neuen autofiktionalen Roman „Verräterkind“ führt der Franzose sowohl in die 80er-Jahre und in die Zeit der deutschen Besatzung als auch in seine eigene Familiengeschichte.

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Richard Wagamese – „Das weite Herz des Landes“

„Sein Leben war auf die Geschichten verschwommener Geister gebaut.“

Die Gastland-Auftritte auf den Buchmessen Frankfurt und Leipzig ermöglichen es uns, in die Literatur eines Landes einzutauchen, bekannte wie unbekannte Autoren und ihre Werke kennen- und schätzen zu lernen. Das nordamerikanische Land Kanada wird coronabedingt nach der diesjährigen Frankfurter Online-Ausgabe im kommenden Jahr in der Main-Metropole erneut im Mittelpunkt stehen; hoffentlich in voller Präsenz mit vielen Gästen. Wer an Kanada, den zweitgrößten Staat der Erde, denkt, wird wohl atemberaubende Landschaften und menschenleere Wildnis vor Augen haben, die auch die Kulisse des großen Romans „Das weite Herz des Landes“ des Kanadiers Richard Wagamese bilden. „Richard Wagamese – „Das weite Herz des Landes““ weiterlesen

Edward Docx – „Am Ende der Reise“

„Von einem Menschen bleibt nur übrig, was er oder sie erschaffen hat.“

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen: Ein allseits bekannter und gern zitierter Spruch, den wohl viele von uns kennen. Doch nicht jede Reise endet mit einer freudigen Rückkehr. Dabei soll es an dieser Stelle und mit diesem Buch nicht um ein tragisches Unglück, sondern um ein noch immer aktuelles wie brisantes Thema gehen. Der Engländer Edward Docx erzählt in seinem wunderbaren Roman „Am Ende der Reise“ vom letzten Wunsch eines angesehenen Literaturprofessors, der sterbenskrank ist. „Edward Docx – „Am Ende der Reise““ weiterlesen

Gabriel Tallent „Mein Ein und Alles“

„Du vergisst, wer du bist, und du denkst, du könntest jemand anderes sein.“

Wenn Literatur auch immer ein Spiegel ist, in dem gesellschaftliche wie politische Diskurse und Probleme erkennbar werden, dann scheinen das Thema Waffen und Gewalt sowie das Leben der „Abgehängten“ noch immer brisant in den USA zu sein. Denn gleich zwei aktuelle wie auch viel besprochene Romane beschäftigen sich damit – vor allem mit Blick auf die Jugend und die Auswirkungen auf die jüngere Generation. Das sind Jennifer Clements Werk „Gun Love“ sowie das Debüt „Mein Ein und Alles“ des Amerikaners Gabriel Tallent, der dafür sehr viel Anerkennung sowohl in seinem Heimatland als auch hierzulande erhalten hat; für mein Befinden zu viel. „Gabriel Tallent „Mein Ein und Alles““ weiterlesen

Closeup der Erinnerung – Botho Strauß „Herkunft“

„Eigentlich gelangt man ja nur nach Hause in verschwommenen und undisziplinierten Empfindungen.“

Zwei Städte, zwei Flüsse, zwei Lebensgeschichten: Botho Strauß, 1944 in Naumburg an der Saale geboren, aufgewachsen in Bad Ems an der Lahn, zählt zu den großen literarischen Stimmen Deutschlands. Seine umfangreiche Werkliste umfasst Theaterstücke, Erzählungen und Essays. Für sein Schaffen wurde er mehrfach geehrt, so mit dem Lessing- und dem Büchner-Preis. Eines seiner jüngsten Bände, 2014 mit dem Titel „Herkunft“ im Hanser Verlag erschienen, ist ein Meisterwerk von Erinnerungsbuch.   „Closeup der Erinnerung – Botho Strauß „Herkunft““ weiterlesen

Mann mit den Masken – Pierre Lemaitre „Wir sehen uns dort oben“

„Das Geschäft des Jahrhunderts. Der Wirtschaft brachte ein Krieg viele Vorteile ein, sogar noch hinterher.“

Zwei Männer ziehen in den Krieg – und überleben. Der eine ist Bankmitarbeiter, der andere stammt aus gutem Hause und ist künstlerisch begabt. Bei einem Angriff in den letzten Kriegstagen im November 1918 wird Albert verschüttet. Sein Kamerad Edouard rettet ihn und wird bei einem Granaten-Einschlag jedoch schwer am Kopf verletzt. Nach ihrem Fronteinsatz sind beide miteinander verschweißt, wie Pech und Schwefel, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein können.   „Mann mit den Masken – Pierre Lemaitre „Wir sehen uns dort oben““ weiterlesen

Schatten – Christoph Hein „Glückskind mit Vater“

„Mit unseren Erinnerungen versuchen wir, ein missglücktes Leben zu korrigieren, nur darum erinnern wir uns. Es sind die Erinnerungen, mit denen wir uns gegen Ende des Lebens beruhigen.“

Der folgende Gedanke macht zugegeben recht traurig: Der Wunsch auf ein selbstbestimmtes Leben bleibt meist unerfüllt, erweist sich als Trugschluss, als Fantasie. Selbst wenn wir hoffen, wenn wir tapfer, wenn wir ehrgeizig sind. Unser Lebensweg wird oft in andere, nicht gewollte und erwünschte Richtungen gelenkt. Christoph Heins neuer Roman „Glückskind mit Vater“ erzählt davon und weckt ein melancholisches Gefühl wie er wiederum glücklich macht, einen besonderen Helden kennengelernt zu haben.  „Schatten – Christoph Hein „Glückskind mit Vater““ weiterlesen

Freiheit – Gunnar Cynybulk „Das halbe Haus“

„Vater hat immer gesagt, alles hier bei uns ist eine einzige große Lüge, ein Scheißhaufen, der mit Häkeldeckchen aus Worten zugedeckt ist. Aber das stimmt nur halb. Es ist ein großer Mist, und zugleich ist es schön.“

Die einen preisen dieses Land, die anderen verfluchen es. Jeder hat seinen ganz eigenen Blick auf das Land DDR. Die Debatten über die „Zone“, wie der Osten vom Westen einst genannt wurde, sind noch längst nicht erschöpft; nicht zwischen den Generationen, nicht in Kunst und Kultur. Weiterhin werden Fotografien und Filme gezeigt, Bücher geschrieben. Im selben Jahr wie Lutz Seilers „Kruso“ erschien der Roman „Das halbe Haus“ von Gunnar Cynybulk. Der Autor des einen Buchs erhielt den Deutschen Buchpreis, der des anderen leider „nur“ wohlwollende Kritiken.  Doch beide Romane weisen Parallelen auf.  „Freiheit – Gunnar Cynybulk „Das halbe Haus““ weiterlesen

Warum? – Noah Hawley „Der Vater des Attentäters“

„Wenn wir leiden, Schmerzen oder Angst haben, wenden wir uns nach innen. Mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert, interessieren wir uns nicht mehr für die täglichen Dramen dieser Welt.“ 

Es ist eine Geschichte, die überall auf der Welt geschehen könnte und aktueller denn je ist. Die Medien berichten in aller Regelmäßigkeit über entsetzliche Amok-Läufe, Attentate und Gewaltausbrüche, in denen junge Menschen plötzlich zu Tätern werden und eine große Schuld auf sich nehmen. „Der Vater des Attentäters“ von Noah Hawley erzählt nicht nur eindrucksvoll von einer aus den Fugen geratenen Vater-Sohn-Beziehung. Der Roman geht der Frage nach, wie ein junger Mensch zu einem Mörder werden konnte. „Warum? – Noah Hawley „Der Vater des Attentäters““ weiterlesen

Cappucchino-Samurai – Helen Macdonald „H wie Habicht“

„Von all den Lektionen, die ich in den Monaten mit Mabel gelernt habe, ist dies die wichtigste: dass es da draußen eine Welt voller Dinge gibt – Felsen und Bäume und Steine und Gras und alles, was kriecht, läuft und fliegt. Sie stehen alle für sich, doch wir machen sie uns begreiflich, indem wir ihnen Bedeutungen verleihen, die unsere eigenen Weltanschauungen stützen.“

Auf der Suche nach einem klugen Spruch über die Natur – passend zu diesem Beitrag – werde ich im Internet sehr schnell fündig. Viele kluge Menschen, Dichter, Denker, Wissenschaftler, haben viele eindrucksvolle Sätze zu diesem Thema hinterlassen. Sie handeln von ihrer Einmaligkeit, ihrer Vielfalt und Vollkommenheit, von ihrer Weisheit. All diese ehrenden Attribute lassen sich auf ein Buch anwenden, das in den vergangenen Monaten zahlreiche Preise erhalten hat und einen Reigen lobender Besprechungen nach sich gezogen hat: „H wie Habicht“ von Helen Macdonald.  „Cappucchino-Samurai – Helen Macdonald „H wie Habicht““ weiterlesen