Andreas Pflüger – „Ritchie Girl“

„Ich weiß, es gibt Erinnerungen, bei denen man schreien will.“

Obwohl so unendlich viel über den Zweiten Weltkrieg schon in der Vergangenheit berichtet, erzählt, geschildert worden ist, gibt es noch immer Geschehnisse, die erst jüngst ans Licht der Öffentlichkeit gekommen sind – weiße Flecken, die nun ausgefüllt werden und Konturen erhalten. Mehrere Jahre war ein Bericht des US-Justizministeriums unter Verschluss, der sich mit der engen Zusammenarbeit der USA mit hochrangigen Nazis auseinandersetzt. Ein brisantes Thema, mit dem sich Andreas Pflüger in seinem aktuellen Roman „Ritchie Girl“ auf herausragende Weise beschäftigt.

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Garrett M. Graff – „Und auf einmal diese Stille“

„Aber das hier war jenseits von allem, was man sich überhaupt vorstellen konnte.“

Jeder weiß, was er an diesem Tag gemacht hat, wo er gewesen ist. Der 11. September 2001 hat sich mit seinen schockierenden Ereignissen und Bildern in das Weltgedächtnis gebrannt. Rund 3.000 Menschen starben bei vier Flugzeugentführungen. Drei Maschinen flogen in das World Trade Center (WTC) in New York sowie in das Pentagon, den Hauptsitz des amerikanischen Verteidigungsministeriums in Washington, ein entführtes Flugzeug stürzte in Shanksville (Pennsylvania) nach dem Aufstand von Passagieren ab. Die Bilder der Terroranschläge, die kurz als Nine Eleven bezeichnet werden, gingen um die Welt, vor allem die der brennenden und einstürzenden Doppel-Türme des WTC. In seinem Band „Und auf einmal diese Stille“ vereint der amerikanische Journalist und Autor Garrett M. Graff mehrere Hundert Stimmen zu einer beeindruckenden Oral History dieses bedeutsamen Tages. „Garrett M. Graff – „Und auf einmal diese Stille““ weiterlesen

Benjamin Labatut – „Das blinde Licht“

„Wann haben wir aufgehört, die Welt zu verstehen.“

Genie: Überragende schöpferische Begabung, Geisteskraft. So erklärt der Duden das Wort, mit dem neben Künstler oft auch hochrangige und einflussreiche Wissenschaftler beschrieben werden. Mit dem Titel verbunden ist auch die Wahrnehmung, die schier übermenschliche Leistung der Hochbegabten nicht beschreiben oder gar erklären zu können. Sie scheinen aus der Welt gefallen zu sein und haben doch die Welt verändert. Vier der herausragenden Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts stellt der chilenische Autor Benjamin Labatut in seinem nicht minder herausragenden Debütroman „Das blinde Licht“ vor. Der Leser lernt darin Fritz Haber, Karl Schwarzschild, Alexander Grothendieck und Werner Heisenberg und ihre ganze eigene Welt kennen.  

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Katya Apekina – „Je tiefer das Wasser“

„Warum uns wieder da hineinziehen? Wir waren Kinder.“ 

Was will uns dieses Cover sagen? Mir erschien es etwas rätselhaft und mysteriös. Dieses Weiß unter den blauen Lettern des Titels, diese Augen. Doch wer das Debüt der russisch-amerikanischen Schriftstellerin Katyna Apekina bis zum Ende liest, wird den Sinn erkennen und erneut erschauern. Ihr großartiger, indes auch teils verstörender Roman erzählt von einer außergewöhnlichen Familie – die außergewöhnliche Beziehungen und Emotionen pflegen, die schließlich zu tragischen Ereignissen führen. „Katya Apekina – „Je tiefer das Wasser““ weiterlesen

Martyna Bunda – „Das Glück der kalten Jahre“

„Der junge Arzt wusste freilich, dass sich hinter der Maske dieses Humors schmerzliche Wunden verbargen.“ 

Rozela ist die erste im Dorf, die ein Haus aus Steinen errichtet. Da ist Abram, ihr ruheloser Mann, der es nirgendwo lange aushält, nicht einmal bei seiner Frau, längst tot. Verstorben im Jahr 1932 nach einem tragischen Unfall auf einer Baustelle. Fortan ist Rozela Witwe, allein erziehende Mutter dreier Töchter und eben Hausbesitzerin. Ihr eigenes Heim in dem kleinen Ort Dziewcza Góra soll in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zum Zentrum der Familie, zu einem Ort der Freude, aber auch des Schmerzes werden. Mit ihrem Debüt „Das Glück der kalten Jahre“ hat die preisgekrönte polnische Journalistin Martyna Bunda einen berührenden Roman über vier starke Frauen geschrieben, der zwar in der kaschubischen Provinz spielt, jedoch von großen historischen Ereignissen sowie persönlichen Schicksalsschlägen erzählt. „Martyna Bunda – „Das Glück der kalten Jahre““ weiterlesen

Andreas Pflüger „Geblendet“

„Alle Narben an ihrem Körper gehören zu ihr, sie sind das Tagebuch eines Hochgeschwindigkeitslebens.“ 

Jenny Aaron steht an einem Scheideweg. Fünf Jahre sind seit ihrer schweren lebensbedrohlichen Verletzung während eines verheerenden Einsatzes in Barcelona vergangen, fünf Jahre lebte sie seitdem in völliger Dunkelheit, fünf Jahre hat sie ihre Fähigkeiten so trainiert, dass sie weiterhin der Sonderabteilung angehören kann und zu gefährlichen Einsätzen gerufen wird. Nun könnte ihr Leben indes eine entscheidende Wendung erfahren – dank einer neuartigen Therapie in der Klinik von Professor Thomas Reimer in Binz auf der Insel Rügen. Doch ein neuer Fall ruft, steht für Aaron eine wichtige Entscheidung an. Denn die Einheit um ihre Chefin Inan Demirci und ihren charismatischen Kopf Ulf Pavlik ist dem korrupten Senator Svoboda auf den Fersen. Im neuen Roman von Andreas Pflüger muss sich die taffe Heldin trotz der gefährlichen Ermittlungen vor allem mit sich selbst auseinandersetzen. „Andreas Pflüger „Geblendet““ weiterlesen

Jáchym Topol – „Ein empfindsamer Mensch“

„Überall wo es Menschen gibt, gibt es auch den Teufel“.

Wenn der stämmige französische Star-Schauspieler Gérard Depardieu in einer Nebenrolle, als Geisel und wohlgemerkt als kein Geringerer als sich selbst, auftaucht, kann es sich wohl nur um eine Satire handeln. In diesem Fall ist es keine Filmkomödie, sondern ein Roman. Der tschechische Schriftsteller Jáchym Topol erzählt in seinem neuesten wahnwitzigen Streich von einer Schausteller-Familie, die quer durch Europa reist, um am Ende in den heimischen Gefilden Tschechiens in die Taten einer umtriebigen Bande verwickelt zu werden. „Jáchym Topol – „Ein empfindsamer Mensch““ weiterlesen

Judith Schalansky „Verzeichnis einiger Verluste“

„Am Leben zu sein bedeutet, Verluste zu erfahren.“

Alles hat seine Zeit. Was entsteht, wird auch vergehen. In der Vergänglichkeit der Dinge liegt Tragik, zugleich aber auch Trost. Es ist unter uns Menschen vielleicht die einzige Gerechtigkeit, dass keiner dem Tod entrinnen kann, dass das Vergehen das wohl beständigste Prinzip ist. Alles Lebendige und Bestehende findet auf kurz oder lang ein Ende. In ihrem Band „Verzeichnis einiger Verluste“ erzählt Judith Schalansky auf unnachahmlicher Art von verschiedenen Dingen und Wesen, die es nicht mehr gibt, die einst verloren gegangen oder verfallen sind, die zerstört oder vernichtet worden sind. „Judith Schalansky „Verzeichnis einiger Verluste““ weiterlesen

Maya Angelou „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“

„Was immer Schwarze anderen Schwarzen gaben, der Spender hatte es ebenso bitter nötig wie der Empfänger.“ 

Es gibt Bücher, die bleiben im Gedächtnis von Generationen. Ihr jeweiliger Name und ihre Bedeutung werden weiter getragen. Ein gewisser, unbeschreiblicher Glanz umgibt sie. Und trotz ihres Ruhmes gibt es noch immer Leser, die noch nicht der großen Fangemeinde angehören. Ich selbst lernte Maya Angelou und ihr Buch „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt“ überhaupt erst dank zweier Zufälle kennen. Den Band entdeckte ich beim Stöbern in meiner Lieblingsbuchhandlung. Doch bekanntlich müssen gekaufte Bücher bis zur ihrer Lektüre oftmals ein wenig schmoren; es braucht den günstigen Zeitpunkt, die günstige Stimmung oder eben einen bestimmten Anlass. Der kam recht schnell mit dem Start des virtuellen Lesekreises #54reads, der das Werk der Afroamerikanerin zur Januar-Lektüre bestimmt hatte. „Maya Angelou „Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt““ weiterlesen

Welt der Waffen – Jennifer Clement „Gun Love“

„Irgendwer hatte immer den Finger am Abzug.“

Der Zustand eines Landes lässt sich oft in den Medien sowie in den Werken aus Kunst und Kultur ablesen. Das sind Zeitungen, Rundfunk und Blogs, das sind aber auch Romane, die die Atmosphäre und ein Stimmungsbild einfangen. Mit „Gun Love“ legt die amerikanische und mehrfach ausgezeichnete Autorin Jennifer Clement einen Roman vor, dessen Titel nicht nur das Geschehen trefflich in nur zwei Wörtern beschreibt. Er schildert in all seiner schier herzergreifenden Tragik und Melancholie von Waffenhysterie und Waffengewalt, die vor keiner Generation und keinem gesellschaftlichen Status Halt macht. „Welt der Waffen – Jennifer Clement „Gun Love““ weiterlesen