„Der junge Arzt wusste freilich, dass sich hinter der Maske dieses Humors schmerzliche Wunden verbargen.“
Rozela ist die erste im Dorf, die ein Haus aus Steinen errichtet. Da ist Abram, ihr ruheloser Mann, der es nirgendwo lange aushält, nicht einmal bei seiner Frau, längst tot. Verstorben im Jahr 1932 nach einem tragischen Unfall auf einer Baustelle. Fortan ist Rozela Witwe, allein erziehende Mutter dreier Töchter und eben Hausbesitzerin. Ihr eigenes Heim in dem kleinen Ort Dziewcza Góra soll in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zum Zentrum der Familie, zu einem Ort der Freude, aber auch des Schmerzes werden. Mit ihrem Debüt „Das Glück der kalten Jahre“ hat die preisgekrönte polnische Journalistin Martyna Bunda einen berührenden Roman über vier starke Frauen geschrieben, der zwar in der kaschubischen Provinz spielt, jedoch von großen historischen Ereignissen sowie persönlichen Schicksalsschlägen erzählt.
Arm in Arm durchs Leben
Der Lauf der Geschichte und des Lebens haben Rozela und ihre drei Töchter Gerta, Truda und Ilda eng zusammengeschweißt. Trotz Widrigkeiten, trotz Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlichen Ambitionen, ihr Leben zu gestalten. Bereits die Eingangsszene des Romans macht dies deutlich: Die drei Töchter, mittlerweile in der Mitte des Lebens angekommen, gehen Arm und Arm von der Beerdigung von Ildas Mann Tadeusz nach Hause. Weitere solcher ähnlicher Szenen aus verschiedenen Jahren folgen auf den kommenden Seiten. Obwohl mittlerweile verheiratet und selbst Mütter ist das Steinhaus noch immer das Zuhause von Rozelas Töchtern, ein Wohlfühl- und Rückzugsort. Hierher kommen sie nicht nur, um zu feiern und der Mutter zu helfen, hierher kommen sie auch in persönlichen Krisen und nach Schicksalsschlägen. Als Trudas Mann Jan verhaftet wird, wenn Gerta und Ilda es mit ihren Männern, der eine Uhrmacher und Maler, der andere ein bekannter Bildhauer, nicht mehr aushalten, oder sie der Alltag als Ehefrau und Mutter förmlich erdrückt.
Haus und Hof sind ein Universum für sich. Weit entfernt von der nächsten Stadt und der Dorfgemeinschaft, leben Rozela und ihre Töchter hier als Selbstversorger – mit einem großen Garten, mit vielen Tieren wie Hunden, Hühnern und Schweinen. Eine bäuerliche Welt, die indes nicht nur von schwerer Arbeit gezeichnet ist, sondern auch für die eine oder andere heitere oder gar skurrile Szene sorgt. So erhalten die Schweine, bevor sie auf die „Schlachtbank“ kommen, noch eine besondere Zuwendung. Hat eines der geliebten Borstentiere eine intime Begegnung mit einem Wildschwein, worauf eine besondere neue vierbeinige Generation, etwas dunkler und etwas behaarter, zur Welt kommt. Rozela lässt es sich nicht nehmen, im Keller Obstwein und Schnaps schwarz zu keltern und zu brennen.
„Die Welt raste weiter voran, in immer irrsinnigeren Tempo und ohne Rücksicht auf ihre abgenutzten Knochen und ihr müdes Herz. Es war nicht mehr ihre Welt. Nicht einmal ihr Garten war mehr ihrer. Die Töchter säten ihn schon lange ein, wie sie wollten.“
Trotzdem ist es keine heile Welt, die in Bundas Erstling geschildert wird. Das Frauen-Quartett erleidet viel Schmerz und Leid. Der Roman trägt seinen wunderbaren Titel völlig zu Recht. Rozela begibt sich im Weltkrieg selbst in Gefahr, indem sie Verfolgten Schutz gewährt, und erfährt die Gewalt der russischen Soldaten, die über sie herfallen. Ihre traumatischen Erlebnisse wird sie erst mit ärztlicher Hilfe aufarbeiten. Truda schuftet als Zwangsarbeiterin im Reich, überlebt die Bomben-Trümmer-Wüste Berlin und muss sich von ihrem Lebensretter und ihrer ersten Liebe, dem Deutschen Jakob, lösen. Was ihr bleibt sind Briefe und Päckchen, die er ihr aus der Heimat schickt. Trudas zweite große Liebe, Jan der fliegende Händler und spätere Mitarbeiter der Miliz und Hüter mehrerer Geheimnisse, wird verhaftet. Gertas bessere Hälfte Edward kann nicht mit Geld umgehen, so dass der Gerichtsvollzieher eines Tages vor der Tür steht. Ildas egozentrischer Mann hat noch eine Frau, von der er sich nicht lösen will.
Immer mit Blick auf große Weltereignisse
Der Roman verhandelt die Rolle und Unfreiheit der Frau zwischen dem Drang nach Eigenständigkeit und ihrer Verpflichtung als Ehefrau und Mutter. Alle drei Töchter, im Wesen sehr verschieden, sind selbstständig, berufstätig und stets sozial eingestellt. Ihre Stärke beweisen sie in ihrem engen Verhältnis zueinander und wie sie gemeinsam mit Herausforderungen, Schicksalsschlägen und Konflikten umgehen. Sie finden eigene Wege, mit einer unglücklichen Beziehung, schweren Zeiten und den unterschiedlichen gesellschaftlichen wie politischen Verhältnissen zurechtzukommen. Bunda reißt die großen Weltereignisse nur an, doch stets wird dabei deutlich, wie diese das Leben der vier Frauen prägen: der Krieg mit seiner Gewalt und Zerstörung, die Flüchtlingswelle von Ost nach West, der spätere Kommunismus.
„Es sei nicht klug, so erklärte sie ihrer Tochter, von den Männern allzu viel zu erwarten.“
Fast ein Jahrhundert verfolgt der Leser so dem Leben der Mutter und ihrer Töchter sowie dem der kommenden Generation; von der Jugend Rozelas, die als Analphabetin in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, bis hin zu besonderen Geschehnissen am Ende des Buches, die sich nach dem Tod der Mutter und der drei Schwestern ereignen, aber mit der Vergangenheit der Familie eng verknüpft sind. Um dieser Vielzahl an Themen und Ereignissen gerecht zu werden, nutzt Bunda einen episodenhaften Stil sowie Zeitsprünge. Über jedem der zahlreichen Kapitel steht der Name der Frau, aus deren Sicht das Geschehen betrachtet wird, über dieser kleinteiligen Struktur indes die Einteilung in die vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Ein literarisches Denkmal
„Das Glück der kalten Jahre“ setzt der inneren Stärken der Frau ein eindrucksvolles literarisches Denkmal. Neben den großen Themen und Fragen, die anhand des Lebens und des Alltags dieser Familie trotz des überschaubaren Romanumfangs überaus komplex verhandelt werden, finden sich innerhalb des Buches auch stille ergreifende Szenen voller Emotionen. Am Ende nimmt man gerührt und mit Wehmut Abschied von vier besonderen Heldinnen.
Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „Fräulein Julia“.
Martyna Bunda: „Das Glück der kalten Jahre“, erschienen im Suhrkamp Verlag, in der Übersetzung aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann; 317 Seiten, 24 Euro
Ein Kommentar zu „Martyna Bunda – „Das Glück der kalten Jahre““