Mitteldeutschland erinnert sich an ihn: Anlässlich seines 150. Geburtstages widmen sich zahlreiche Veranstaltungen dem belgischen Architekten und Designer Henry van de Velde(1863-1957), der von 1902 bis 1917 in Weimar lebte und wirkte. Das Jubiläumsjahr ist mit dem Titel „Alleskünstler“ überschrieben. Und diese Bezeichnung findet sich auch wieder in einer Biografie, mit der sich die Weimarer Verlagsgesellschaft dem Gedenken anschließt. Geschrieben hat sie Thomas Föhl, der sich seit 2001 als Leiter eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit der Erarbeitung eines Werkverzeichnisses der kunstgewerblichen und raumkünstlerischen Arbeiten van de Veldes beschäftigt. Föhl hält sich nicht mit großen Vorreden zur Kindheit und Jugend des Künstlers auf, sondern konzentriert sich auf die Schaffensjahre, die sowohl Erfolge als auch herbe Niederlagen brachten.
Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Schaffenszeit in Weimar, die Zusammenarbeit mit seinem Protegé Harry GrafKessler und die extensiven Bestrebungen um ein neues Weimar. Beide Verfechter der Moderne waren dabei einem teils heftigen Gegenwind ausgesetzt. Die gegen van de Velde und Kessler gesponnenen, kleinstädtischen Intrigen und die Hetze aus Künstlerkreisen vertrieben erst Kessler, schließlich auch den Belgier. Mit welchem Elan und welcher Energie der Architekt und Designer trotz alledem gewirkt hat, ob bei der Errichtung der Kunstgewerbeschule, dem Bau der Kunstschule sowie seinen zahlreichen privaten Aufträgen nebenher, erzeugt Bewunderung. Um das Leben und das Wirken des Universalgenies umfassend nachzubilden, greift der Autor auf meist unveröffentlichte Primärquellen wie Briefe, Akten und Tagebucheinträge zurück. Gerade diese geben Einblicke in die Familie, Freundschaften und die Person van de Velde, die unermüdlich arbeitete, aber auch von Selbstzweifeln und Melancholie ergriffen wurde, Auszeiten in abgelegenen Gegenden benötigte.
Ein weiteres spannendes Thema, das man immer wieder in Künstlerbiografien entdecken kann und so auch in diesem Werk, ist die Vernetzung jener Kreise mit Freundschaften und Gruppen über Landesgrenzen hinweg, die erst damit die Moderne zu einer internationalen Bewegung werden ließen. Den letzten Kapiteln zu den Nach-Weimar-Jahren in der Schweiz, in Holland und später in seinem Heimatland Belgien schließt sich der umfangreiche wissenschaftliche Apparat aus Quellen- und Literaturnachweisen sowie einem Personenregister mit Kurzbiografien an. Föhl verzichtet indes gänzlich auf Fußnoten. Auch auf diese Weise erscheint das mehr als 400-seitige Buch mit einer Vielzahl an Fotografien leserfreundlich.
Der Autor hofft, wie er im Vorwort bemerkt, auf eine besondere Wirkung seines Werkes. Er schreibt: „Dass aber Henry van de Velde als einer der bedeutendsten europäischen Künstler bis heute in Weimar unterrepräsentiert ist, befremdet zusehends. Ob der vorliegende biografische Abriss hier für Abhilfe sorgen kann, bleibt dem geneigten Leser überlassen.“ Eine Erfüllung dieser Hoffnung ist Thomas Föhl für seine bemerkenswerte Arbeit sehr zu wünschen.
Die Autobiografie „Henry van de Velde“ von Thomas Föhl erschien in der Weimarer Verlagsgesellschaft
424 Seiten, 34 Euro
Eine treffende Besprechung der Biografie, die auch in der Van de Velde Tour durch Europa empfohlen wird http://kulturreise-ideen.de/kunst/kuenstler/Tour-henry-van-de-velde-in-europa.html
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Vielen herzlichen Dank!
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