Schon als Baby strebt Barnaby nur in eine Richtung: nach oben. Bereits wenige Sekunden alt, kann nur die Decke des Kreißsaales das Neugeborene aufhalten. Seine ganz normalen Eltern Alistair und Eleanor sind aus dem Häuschen: Ihrem jüngsten Kind sind die Gesetze der Schwerkraft schnurzpiepegal. Es schwebt wie eine Feder. Nur mittels Sandsäcken oder Leinen verliert er den Kontakt zum Boden nicht. Matratzen an der Decke verhindern, dass sich das Kind verletzt. Und das wird sich auch im Laufe der Jahre nicht ändern, da helfen weder die Wutausbrüche der Eltern noch drakonische Maßnahme wie der Aufenthalt im Heim für unerwünschte Kinder etwas. Barnaby ist und bleibt anders, Aber das ist gut so, denn sonst hätte er gar nicht jene unglaublichen Abenteuer erleben können, die John Boyne niedergeschrieben hat.
Bekannt ist der irische Autor vor allem durch seinen Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“ geworden, der auch verfilmt wurde. Und auch jene Geschichte rund um Barnaby und seine achso-normale Familie ist eine ganz besondere. Zwar findet sich darin nicht der Schrecken der Geschichte wieder, dafür aber ein alltägliches Thema auf spezielle Weise erzählt. Denn dass seine Erfahrungen auch andere erleben, dass Menschen mit besonderen Eigenschaften ausgegrenzt werden – sowohl von der Gesellschaft als auch von der eigenen Familie -, muss Barnaby erfahren, der von der Mutter auf heimtückische Art zurückgelassen wird und unfreiwillig zu einer Reise rund um die Welt aufbricht. Vom heimischen Sydney geht es nach Südamerika und Nordamerika, schließlich nach Europa und Afrika. Ganz fantastisch wird es mit einem Ausflug in den Weltraum, wo er auf die Besatzung einer multinationalen Weltraumstation stößt. Barnaby lernt Menschen kennen, die ebenfalls „anders“ sind. Da sind Ethel und Marjorie, die mit einem Ballon reisen, in Brasilien eine eigene Kaffeeplanatage führen, da ist der New Yorker Künstler, der, um finanziell über die Runden zu kommen, die Scheiben der Wolkenkratzer putzt, oder der Kunstkritiker, der als Kind bei einem Brand schwer im Gesicht verletzt und deshalb von der Familie ausgestoßen wird. Während die Geschichten rund um Barnabys „Leidensgenossen“ durchaus realistisch sind, brachte der Autor die Erlebnisse des Jungen mit viel Fantasie und Humor aufs Papier.
Boyne hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, ohne jedoch daran wirklich zu glauben, dass das herzlose und intolerante Verhalten gegenüber andersartigen Menschen sich in absehbarer Zukunft ändern wird. Dafür spricht der Schluss des Buches und die Melancholie, die an einigen Stellen immer wieder durchscheint. Für seinen eigenen weiteren Lebensweg nach der Weltreise und der Rückkehr nach Sydney weiß Barnaby nur den geliebten Familienhund Captein W.E. Johns an seiner Seite, dem es schnuppe ist, ob der Junge nun schweben kann oder mit beiden Beinen auf der Erde steht.
Der Roman bietet sowohl für Kinder als auch Erwachsene ein einzigartiges Abenteuer, das mit viel Fantasie und Humor geschrieben ist, aber auch auf liebevolle sowie berührende wie nachdenkliche Weise die Erlebnisse des besonderen Jungen schildert. Zudem ist das mit herrlichen Illustrationen von Oliver Jeffers gestaltete Buch auch ein Plädoyer, das eigene Anderssein mit Mut und Durchsetzungskraft zu verteidigen.
„Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket“ von John Boyne erschien im Fischer Verlag in der Übersetzung aus dem Englischen von Adelheid Zöfel.
288 Seiten, 14,99 Euro