
Er galt als dürrer und unscheinbarer Sonderling. Nichts sprach für eine große Zukunft, geschweige denn für eine herausragende Karriere als Baseball-Spieler. Bis er eines Tages entdeckt wird. Mike Schwartz, Spieler am Westish-College, sieht Henry Skrimshander und erkennt dessen einzigartige Begabung als Shortstop. Er wirft nicht nur zielsicher, er erkennt schon früh die Bahn des Balles, um schnell reagieren zu können. Schwartz holt Henry an das College und in die Mannschaft, die fortan den Meisterschaftskurs einschlägt . Henry wird zu einem Star in der College-Szene, umkreist von Agenten, die ihn verlockende Angebote unterbreiten. Doch während eines Spieles geschieht ein Unglück: Henry trifft mit dem Ball seinen Zimmerkollegen Owen, der vertieft in einen Schmöker auf der Mannschaftsbank sitzt.
Das Leben von Henry nimmt fortan eine unvorhergesehene Wendung. Wer sich ein wenig mit den Büchern des amerikanischen Autors John Irving auskennt, wird sich womöglich an eine ähnliche Szene erinnern: In dem Roman „Owen Meany“ trifft der kleinwüchsige Held mit einem Ball die Mutter seines besten Freundes am Kopf, worauf diese stirbt. Nun ist Owen im Debüt von Irvings Schriftstellerkollegen Chad Harbach mit dem Titel „Die Kunst des Feldspiels“ in diesem Fall das Opfer – und überlebt. Aber nicht nur diese Verbindung machen die beiden Werke recht ähnlich und typisch amerikanisch. Denn ihr dürfen auch mal recht überraschende, aber durchaus reale Dinge geschehen. Wie beispielsweise die spätere Liaison zwischen dem Student Owen und dem Präsidenten des Colleges, Guert Affenlight. Beide verbindet eine besondere Leidenschaft zur Literatur. Affenlight war während seines Studiums am Westish-College in der Bibliothek auf einen Stapel vergilbter Blätter gestoßen – einer Vorlesung von keinem geringeren als dem berühmten Autor Herman Melville (1819 – 1891). Dem Schöpfer des weltweit bekannten Klassikers „Moby Dick“ ist das College seitdem besonders verbunden, eine Statue steht auf dem College-Gelände, die Baseball-Mannschaft trägt den Namen „Harpooners“ – eine Anspielung auf die Harpuniere im Roman rund um die erbitterte Jagd auf den weißen Wal.
Schon eher vorherzusehen ist da die beginnende Liebe zwischen Mike und Affenlights Tochter Pella, die aus einer erdrückenden Ehe zurück in das beschauliche Heim ihres Vaters und vom sonnigen Kalifornien in das eher kühlere Wisconsin flieht, um einen Neuanfang zu starten. Doch all dies wird kräftig durcheinandergewirbelt, als Henry nach dem tragischen Zwischenfall in ein tiefes Loch fällt, einen Aussetzer nach dem anderen kassiert, nachdem er den Rekord von Aparicio Rodriguez eingestellt hatte, jenes legendären Baseballers und Autors des Buches „Die Kunst des Feldspiels“, das Henry wie eine Bibel verehrt.
Da die Themen Baseball und College schon häufig in der amerikanischen Literatur zu finden ist, misst sich dieser Roman vor allem am Fabulieren seines Autors. Wie Harbach, Jahrgang 1975, diese Geschichte ohne große Raffinessen im Aufbau, aber vor allem mit sehr viel Liebe für die Gestaltung seiner Figuren zu Papier gebracht hat, ist große Kunst. Obwohl so manchem die Spielregeln des Baseball-Sportes sicherlich noch immer als ein Buch mit sieben Siegeln erscheint, macht die Lektüre des Romans ungemein viel Spaß. Es menschelt sehr, es gibt die eine oder andere Überraschung – vor allem eine, die am Ende sehr zu Herzen geht. „Die Kunst des Feldspiels“ ist ein Vertreter der amerikanischen Gegenwartsliteratur at it’s best. Das Buch über den amerikanischen Sport per se, Obsessionen, Lebensentscheidungen und die besondere Atmosphäre an einem College ist eine wunderbare Lektüre – nicht nur für Sportfans.
„Die Kunst des Feldspiels“ von Chad Harbach erschien im Dumont-Buchverlag Köln, in der Übersetzung aus dem Englischen von Stephan Kleiner und Johann Christoph Maass
608 Seiten, 9,99 Euro