Cesare Pavese „Der Mond und die Feuer“

„(…) die Welt hatte mich verändert.“

Nach mehr als 20 Jahren ist die Welt eine andere. Der furchtbare Krieg, in dem unzählige Menschen ihr Leben ließen, hat endlich ein Ende gefunden. Anguilla kehrt in seine Heimat zurück. War er noch ein junger Mann, als er in den 1920er-Jahren sein Dorf im Piemont verlassen und sich gen Amerika eingeschifft hat, ist er nun älter und erfahrener geworden. Seine neuen Erlebnisse mischen sich mit seinen Erinnerungen. Der letzte Roman des  preisgekrönten italienischen Schriftstellers Cesare Pavese ist ein stilles, von einer berührenden Melancholie umgebenes Buch, in dem es jedoch brodelt.

Gespräche mit dem vertrauten Freund

Denn die Gegend um den Fluss Belbo mit ihren Hügeln und Weinbergen bietet zwar eine beschauliche Landschaft, wie geschaffen für einen Urlaub. Doch der Krieg hat auch vor diesem Landstrich nicht halt gemacht. Auch hier kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Partisanen. Menschen, die Anguilla einst kannte, gibt es nicht mehr. Sie leben nur noch in den Erinnerungen, die der Mann in den gemeinsamen Gesprächen mit seinem vertrauten Freund Nuto, ein Schreiner und einst Musikant, aus dem Gedächtnis hervorholt. Beide kennen sich aus der Kindheit. Anguilla, ein Findelkind, das seine Eltern nicht kennt und das einst auf dem Stufen des Domes zu Alba abgelegt wurde, wuchs in einer Pflegefamilie auf, die dafür ein Kostgeld erhielt. Als 13-Jähriger kam er als Knecht auf ein Gut. Sein Leben bestimmten fortan die harte Arbeit, die wiederkehrenden Rituale wie Feste und Ernten sowie der Ablauf der Jahreszeiten. Einige Jahre später, einige seiner Freunde sind verhaftet worden, floh er von Genua aus über den großen Ozean nach Amerika. Eine Zeit und ein Ort, die ihn prägen sollten, obwohl er sich dort nie wirklich heimisch gefühlt hat, sogar von einer Internierung – die USA hat einst neben Japanern und Deutschen auch Italiener in Lager zwangsumgesiedelt – bedroht war.

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Die Lebensgeschichte des Mannes, seine Kindheit und Jugend, wird dabei eng verwoben mit den Begegnungen und Beobachtungen, die er als Rückkehrer macht. Er hat sich in einem Hotelzimmer niedergelassen. Seine Streifzüge durch die Landschaft führen ihn an die Orte seiner Vergangenheit, wie den Hof, auf dem er aufgewachsen ist und auf dem nunmehr eine andere Familie lebt. Dazu zählt Cinto, ein Junge, der von seinem herrischen und jähzornigen Vater geschlagen wird und der im Verlauf der Geschichte Zeuge einer furchtbaren Tragödie wird. Während seines Aufenthaltes werden zudem einzelne Opfer des Krieges nach dem Ende des Frostes in das Tal gespült. Es liegt eine leicht bedrohliche Stimmung über dem Geschehen.

„Ich wusste nicht, dass erwachsen werden heißt, wegzugehen, zu altern, Menschen sterben zu sehen, die Mora so wiederzufinden, wie sie jetzt war.“

Die Handlung besitzt keinen roten Faden, vielmehr setzt sich Anguillas Lebensgeschichte mosaikartig, Teilchen für Teilchen, Szene für Szene zusammen, gibt es auch stetige Wechsel der Zeitebenen. Vieles wird nur angedeutet. Es braucht deshalb eine Weile, bis der Leser im Geschehen angekommen ist.  Der Protagonist erweist sich dabei als sehr genauer Beobachter, der die Menschen in seiner Heimat und ihr trostloses Leben, das noch immer gefangen scheint in der stetig gleich verlaufenden Zeit, auch kritisch betrachtet. Dabei sinniert er über Arm und Reich, über sein eigenes Schicksal, das ihn in die Welt hinaus geführt hat und ihn auch zu einem gemachten und lebenserfahrenen Mann werden ließ, sowie über all jene, die bereits gestorben sind, wie die drei Töchter seines einstigen Gutsherren.

Übersetzer amerikanischer Klassiker

Piemont und Amerika  – die zwei geografischen Gegensätze sind vermutlich nicht willkürlich von Pavese gewählt worden. Er selbst kam in dieser Region 1908 zur Welt, als Übersetzer hat er zahlreiche berühmte Autoren der Neuen Welt in seine Muttersprache übertragen, so beispielsweise Herman Melville, Sherwood Anderson, John Dos Passos und William Faulkner. Er leitete den Verlag Einaudi und zählte mit seinen Werken schon zu Lebzeiten zu den angesehensten Autoren seines Landes. 1950 wurde er mit dem renommierten Literaturpreis Premio Strega gewürdigt. Noch im selben Jahr schied Pavese freiwillig aus dem Leben. Er starb in einem Hotelzimmer mit Hilfe von Betäubungsmitteln.

„Der Mond und die Feuer“ erzählt eindrucksvoll und in einer sehr poetischen und rhythmischen Sprache von Heimat und Bindungslosigkeit, von verschiedenen Lebenswegen, den Fluss der Zeit sowie den Spuren der Geschichte. Mit diesem schmalen Roman, der erstmals 1954 mit dem Titel „Junger Mond“ auf Deutsch erschienen war und nun in einer wunderbaren Neuübersetzung von Maja Pflug vorliegt, kann Pavese wiederentdeckt werden, und das sollte er auch. Denn sein letztes Werk beweist sowohl Sprachkraft als auch eine Weisheit, die einen andächtig werden lässt.


Cesare Pavese: „Der Mond und die Feuer“, erschienen als Taschenbuch im Diogenes Verlag, in einer Neuübersetzung aus dem Italienischen von Maja Pflug; 272 Seiten, 12 Euro. Die gebundene Ausgabe veröffentlichte der Rotpunktverlag.

Foto: pixabay

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