Nuruddin Farah – „Im Norden der Dämmerung“

„Es gibt Augenblicke im Leben, wenn sich alles, was man für einen Sieg hält, in der Praxis als Niederlage erweist.“ 

Es sind schon viele Jahren vergangen, als Mugdi und seine Frau Gacalo ihre Heimat Somalia verlassen haben. Mittlerweile lebt der frühere Botschafter mit seiner Frau in Oslo. Das Ehepaar hat sich integriert, die Sprache gelernt, Freunde gefunden. Er übersetzt norwegische Bücher ins Englische, sie arbeitet im Staatsdienst. Trotz des guten und sicheren Lebens in Norwegen zog es ihren Sohn Dhaqaneh indes wieder nach Afrika zurück, wo er sich einer islamistischen Terrorgruppe anschloss und bei einem Selbstmordattentat ums Leben kam. Gacalo lässt nichts unversucht, die Schwiegertochter Waliya mit ihren Kindern nach Oslo zu holen – gegen den Willen ihres Mannes. Mit „Im Norden der Dämmerung“ hat der somalische Autor Nuruddin Farah einen eindrücklichen Roman geschrieben, der sich den noch immer und weiterhin aktuellen Themen Extremismus und Integration annimmt.

Mutter und Kinder am Flughafen verhaftet

Zwei Wochen sind Waliya und ihre beiden Kinder Naciim und Saafi von einem kenianischen Flüchtlingslager aus in den Norden Europas unterwegs. Am Flughafen Oslo werden sie von der Einwanderungspolizei festgenommen. Gacalo übernimmt die volle Verantwortung für ihre Schwiegertochter, hat für sie eine Wohnung angemietet, versucht alles, um für die Drei den Start in dem fremden Land zu erleichtern. Während Naciim und Saafi sich nach und nach einleben, die Sprache lernen, sucht ihre Mutter weiterhin den Kontakt zur streng gläubigen islamischen Gemeinschaft, die wegen Verbindungen zu einer Terrorgruppe von den Polizeibehörden überwacht wird.

Es kommt zu Konflikten und teilweise harschen Auseinandersetzungen zwischen den Generationen, zwischen den Neuankömmlingen sowie Mugdi, Gacalo und deren erwachsenen Tochter Timiro. Verschiedene Ansichten und Rollenbilder prallen da aufeinander. Mehr und mehr entfremden sich die Kinder von ihrer Mutter. Dabei berichtet der Autor von beiden Welten – sowohl von jener traditionellen und von der Religion tief geprägten Waliyas als auch jener des älteren Ehepaars, das bereits schon längst in der modernen Gesellschaft angekommen ist und deren Vorteile nutzt und verteidigt. Sind die beiden Kinder Beweis dafür, dass Integration glücken kann mit dem Einsatz beider Seiten, sieht der Leser an der Figur der jungen Witwe, dass dieser gesellschaftliche Prozess eben auch scheitern kann. Walija kehrt dem Land und ihren Einwohnern den Rücken zu, will weder die Sprache lernen, noch eine Arbeit suchen. Sie sieht sich vielmehr weiterhin als eine gehorsame Verfechterin der streng islamistischen Regeln und Ansichten und lebt das von ihrem toten Mann geforderte Leben weiter.

Weniger eine Rolle spielen die Zustände und Situation in Somalia, die Farah allerdings nicht ohne Kritik erwähnt. Allerdings liegt der Fokus vor allem auf der gesellschaftlichen wie politischen Situation in Norwegen, in der es Toleranz gibt, aber auch Rechtsextremismus und Islam-Feindlichkeit zunehmen. Mugdi und Gacalo werden davon Zeugen und Betroffene. Die Tochter ihrer besten Freundin, die ein gutes Verhältnis zu Naacim pflegt, kommt bei dem Anschlag des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik auf der Insel Utøya ums Leben. Es sollte nicht das letzte tragische Ereignis und einschneidende Erlebnis sein, das sich wie ein Schatten über die Familie legt.

„In der Zerstörung eines Gotteshauses, weil darin einem anderen Glauben gehuldigt wird, erweisen wir der Menschheit einen sehr schlechten Dienst.“

Farah, der zu den angesehensten afrikanischen Autoren zählt, mittlerweile im südafrikanischen Kapstadt lebt und seit Jahren als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird, hat für sein Werk ausführlich recherchiert. Er hat sich intensiv mit der Situation in Norwegen und den Lebensverhältnissen der dortigen somalischen Einwanderer beschäftigt. Er habe Hunderte Dokumente gelesen, zahlreiche Gespräche geführt, wie er in seinen Danksagungen am Ende des Buches berichtet.

Nüchterne Sprache, lebendige Dialoge

Dabei beeindruckt der Roman, der das Geschehen mehrerer Jahre bündelt und in Zeitsprüngen erzählt, weniger durch seine Sprache, die sich eher nüchtern und ohne Raffinessen zeigt, als vielmehr durch seine spannende Thematik und die Ausgestaltung der Figuren, ihres Handelns und Denkens. Ihre Ansichten und Konflikte werden vor allem in den sehr lebendigen Dialogen ausgetragen. Ein wiederkehrendes Thema ist dabei die Frage, welche Gemeinsamkeiten zwischen islamistischen und rechtsgerichteten Extremismus bestehen – in den Ansichten, im Verhalten und den Feindbildern. „Im Norden der Dämmerung“ ist vielschichtiger, interessanter wie berührender Roman, der auch aufzeigt, wie weit das Politische in das Private reicht, aktuell ist und leider wohl auch bleiben wird.

Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „Letteratura“.


Nuruddin Farah: „Im Norden der Dämmerung“, erschienen im Verlag Antje Kunstmann, aus dem Englischen von Wolfgang Müller; 352 Seiten, 25 Euro

Foto von Jeremy Yap auf Unsplash

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