Gine Cornelia Pedersen – „Null“

„Nichts ist traurig nur seltsam wie ein Déjà-vu“

Null – als Zahl ist sie weder positiv noch negativ. Ihr wird kein Wert zugeschrieben. Sie steht für die Leere, aber auch für einen Neuanfang. „Null“ heißt das preisgekrönte Debüt der norwegischen Autorin und Schauspielerin Gine Cornelia Pedersen. Ein extremer Roman, der wiederum die herkömmliche Form des Romans aufgibt. Denn die Heldin und Ich-Erzählerin berichtet auf eine spezielle Weise von ihrem Leben als junge ungestüme Frau, die unter ihrer psychischen Erkrankung leidet und eine Achterbahn-Fahrt des Lebens, Höhen wie Abgründe, erlebt.

Kein Punkt, der Halt geben könnte

Die Norwegerin zeigt mit ihrem Erstling vor allem stilistisch Mut. Ein Werk, das eher an ein langes Gedicht oder ein langes Lied erinnert. Schon allein mit Blick auf die besondere Optik des Buchsatzes. Jede Zeile besteht aus einem kurzen Satz oder nur wenigen Wörtern, längere Sätze sind selten und ziehen sich über zwei Zeilen. Meist beginnen sie mit „ich“. Kein Satz besitzt einen Punkt am Ende, der einen Halt geben könnte, ein Verweilen zulässt. Ein unentrinnbarer Sog entsteht, der den Leser in den Bericht der Heldin zieht, die keinen Namen hat. Die Handlung setzt ein, als sie zehn Jahre alt ist. Das Mädchen wächst auf dem Land auf und sehnt sich nach der großen Stadt Oslo. Die Eltern leben getrennt und scheinen eher Randfiguren als prägende Personen im Leben des Mädchens zu sein. Die Mutter, die häufiger auftaucht und sich besorgt zeigt, ist ihr fremd.

Null

Bereits in jungen Jahren zeigt sich die Heldin rastlos, ungezügelt und widerspenstig. Sie kennt keine Grenzen und lebt in Gegensätzen. Sie hat Träume und will Schauspielerin werden –  und verzweifelt doch am Leben. Später kommen die Drogen und die Selbstverletzungen, das sexuelle Erwachen mündet in eine Gier. Es gibt nichts, was sie nicht austesten will. Als Jugendliche zieht sie schließlich nach Oslo. Sie taumelt von Job zu Job, bis sie von Sozialgeld lebt. In ihr machen sich Todessehnsucht und Ängste breit. Sie kommt in die Psychiatrie, wird mit Medikamenten ruhig gestellt. Ihre Mitpatienten sind Missbrauchsopfer, Drogensüchtige. Ihre Beziehungen werden von ihren Stimmungsschwankungen bestimmt. Sie neigt zu Gewaltausbrüchen. Manche Sätze erinnern an Schreie.

„Ich weiß nicht, wie etwas, das so gut ist, gut enden kann“

Nach einigen Monaten wird sie entlassen. Ihr Freund und späterer Ehemann, den sie Rot nennt, ermutigt sie, die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule abzulegen. Doch nach dem Auf- kommt der Abstieg, nach Absage und Scheidung ist die nächste Station erneut die „Klapse“. Immer wieder denkt sie zurück an frühere Beziehungen und Freunde wie Jorge. Mit jeder Szene, jeder Seite, mit dem Fortlauf der Handlung, die zunehmend ins Diffuse und Surreale abgleitet, wird sich der Leser die Frage stellen, was ist Realität, was geschieht nur im Kopf der Ich-Erzählerin. Doch egal, um welche Welt es geht, verwendet die Autorin drastische, teils vulgäre Worte. Dabei finden sich auch immer wieder Spuren von Humor und Lebensfreude in dieser Schattenwelt.

Für „Null“ erhielt Pedersen 2013 den renommierten Tarjei Vesaas Debutantpris, der alljährlich seit 1964 von der norwegischen Autorenvereinigung an Debütanten verliehen wird und nach dem Schriftsteller Tarjei Vesaas (1887 – 1970) benannt wurde, dessen zwei bekannteste Werke „Das Eis-Schloss“ und „Die Vögel“ (beide Guggolz Verlag) vor wenigen Jahren hierzulande auf ein breites Echo und Begeisterung stießen. Auf der Liste der Preisträger finden sich namhafte und auch in Deutschland bekannte Schriftsteller wie Lars Saabye Christensen, Roy Jacobsen, Karin Fossum oder Tore Renberg. Geboren 1986, hat Pedersen bereits zwei weitere Romane verfasst. In ihrer Heimat und darüber hinaus ist sie auch als Schauspielerin bekannt, ihre Ausbildung absolvierte sie an der Kunsthochschule Oslo. Im deutschen Fernsehen wurde die Serie „Young and Promising“ ausgestrahlt, in der Pedersen eine junge Autorin mimt.

Markante Gestaltung

Mit acht Jahren Verspätung ist das Buch, das in Norwegen sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, in deutscher Übertragung erschienen. Mit einer Ausgabe, für die man sowohl Übersetzer Andreas Donat als auch den österreichischen Luftschacht Verlag für die markante wie liebevolle Gestaltung würdigen sollte. Für Umschlag und die Bilder im Innenteil zeichnete der spanische, in Berlin lebende Künstler Carlos Enfedaque verantwortlich.

Bücher, die sich mit psychischen Leiden beschäftigen, finden sich mittlerweile häufiger. Die Literatur greift das Thema offener und vielfältiger auf, als es in der Gesellschaft oftmals wahrgenommen wird. Hier gilt es noch immer als Tabu, kämpfen Betroffene um Verständnis und Anerkennung. „Null“ ist ein Buch, das sich deutlich aus der Masse heraushebt und eine literarische Grenzerfahrung ermöglicht, bei der sich der Leser jedoch nicht von der teils drastischen Sprache und Schockmomenten abschrecken lassen, sondern dem Roman eine Chance geben sollte zu wirken.

Eine weitere Besprechung gibt es jeweils auf den Blogs „literaturleuchtet“ und „schreiblust – leselust“.


Gine Cornelia Pedersen: „Null“, erschienen im Luftschacht Verlag, in der Übersetzung aus dem Norwegischen von Andreas Donat; 192 Seiten, 20 Euro

Foto von Callie Gibson auf Unsplash

4 Kommentare zu „Gine Cornelia Pedersen – „Null“

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