Die Leipziger Buchmesse 2023 ist zehn Minuten alt. Die ersten Besucher laufen in Halle 2 über die breiten Gänge und werden per Durchsage zum Messe-Start begrüßt. Nach drei Jahren ohne – ohne Gespräche und Begegnungen, ohne Blick auf Autoren und Verlagsstände – stellt sich angesichts des beginnenden Trubels ein gewisses Glücksgefühl ein.
Titel selbst mit Bedeutung füllen
Auch Lars Claßen ist nach Leipzig gekommen. Wieder. Die Stadt kennt der einstige Lektor des Suhrkamp Verlags und frühere Programmleiter bei der dtv Verlagsgesellschaft nicht nur durch die Buchmesse, er ist im aktuellen Sommersemester auch Dozent am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, pendelt mit dem Zug von München nach Sachsen. Doch bei dem Gespräch am großen wie markanten Stand der Stiftung Buchkunst soll es um ein anderes spezielles Projekt gehen: den neu gegründeten Kjona Verlag, den er mit seinem Freund Flo Keck aus der Taufe gehoben hat. Ein Verlag mit einem Namen, der neugierig macht. „Der Name hat keine tiefere Bedeutung. Wir wollten einen Titel, den wir selbst mit Bedeutung füllen können, der kurz ist, gut klingt und sich auch grafisch gut darstellen lässt. Wir hatten viele Namen auf dem Zettel“, erzählt Claßen.
Einen Verlag zu gründen, ist vermutlich keine Idee, die man leichtfertig am Stammtisch macht. „Wir haben sehr lange und genau geplant, mehr als ein Jahr lang. Es ist nicht unsere erste Verlagserfahrung. Wir blicken auf 15 Jahre Erfahrung in Agenturen und Verlagen zurück“, betont Claßen und erzählt über die enge Freundschaft zu seinem Geschäftspartner Flo Keck, die eine wichtige Basis des gemeinsamen Unternehmens bildet. Man habe eine ähnliche Lebenssituation. Beide sind beruflich in der Medienwelt zu Hause, Keck ist Teilhaber und Geschäftsführer der Digitalagentur juni.com. Beide haben Familie. Claßen ist zweifacher Vater.
Schließlich holt er ein Heft aus seiner Tasche: das zweite Programm für den kommenden Herbst ist heraus. Mit dem Roman „Unberechenbar“ der US-amerikanischen Autorin Dana Spiotta erschien in diesem Jahr das erste Buch des Verlags, der sich verantwortungsvolles literarisches Verlegen auf die Fahne geschrieben hat. Ein Anspruch, der vor allem aus dem Elternsein erwuchs. Claßen: „Die Kinder waren unsere größte Inspiration.“
Drei Säulen
Doch was bedeutet nachhaltiges Verlegen? „Unsere Arbeit stützt sich auf drei Säulen. Erstens eine soziale: alle Autoren erhalten dieselbe hohe Beteiligung über Branchenstandard, egal ob bekannt oder Debütant. Zweitens pflegen wir hohe Standards in Sachen ökologische Nachhaltigkeit. Und drittens ist es uns wichtig, dass wir den Verlag in Teilzeit gründen und arbeiten können“, erklärt Claßen weiter. Unterstützt werden die beiden Gründer von einem erfahrenen Team: Die Hanser Literaturverlage übernehmen den Vertrieb. Für die Gestaltung sorgt die Münchnerin Marion Blomeyer (Lowlypaper), für den Druck das österreichische Unternehmen Gugler. Die Medienarbeit leistet die Berliner Agentur Kirchner Kommunikation, die Herstellung liegt in den Händen des Leipzigers Jan Kermes – der plötzlich am Stand steht. Nach einer herzlichen Begrüßung entspinnt sich ein Smalltalk. Beide sprechen über ein Buch, das in Kürze erscheint: Susan Chois Roman „Vertrauensübung“, der ab Juli in den Buchhandlungen erhältlich ist. Kermes zeigt sich begeistert von der Optik wie Haptik.

Alle Bücher des Verlags werden im sogenannten Cradle-to-Cradle-Verfahren, in einem Kreislauf-System, hergestellt. Dabei werden ausschließlich Materialien genutzt, die rückstandsfrei recyclebar und alterungsbeständig sind. In der Druckerei Gugler wird die Abwärme der Druckmaschinen zum Heizen verwendet, eine Photovoltaikanlage produziert Strom. Der Kjona-Verlag selbst verwendet Handys und Notebooks, die aufbereitet wurden. Für das Webhosting nutzt man die Server von Biohost, eines grünen Rechenzentrums mit Sitz in Schleswig-Holstein, die Bankgeschäfte werden über GLS, eine sozial-ökologische Gemeinschaftsbank, abgewickelt. Jede gedruckte Vorschau macht auf den speziellen Anspruch des Verlags aufmerksam. „Uns ist wichtig, dass unser Verlagskonzept und die dahinterstehende Nachhaltigkeitsstrategie klar verständlich sind“, so Claßen.
Vorausschauend und grosszügig geplant
Dabei wurden Anregungen bei anderen Verlagen gesammelt. Claßen nennt da den Münchner oekom-Verlag und den Berliner Kalenderverlag Ein guter Plan. „Ich begrüße es, wenn immer mehr andere Verlage auch auf Nachhaltigkeit setzen.“ Der steigende Papierpreis sei ihnen indes nicht zum Nachteil geworden, da man großzügig und vorausschauend plane. Dass in den Krisen der letzten Jahre der Diskurs zum Thema Nachhaltigkeit nicht befördert wurde, bedauere er sehr: „Da wäre so viel mehr drin gewesen.“
„Uns ist wichtig, dass unser Verlagskonzept und die dahinterstehende Nachhaltigkeitsstrategie klar verständlich sind.“
Doch welchen Themen fühlt sich der Kjona Verlag inhaltlich verpflichtet? „Wir suchen eher nach den Sachen, die übersehen werden. Da liegt so viel brach. Was wir wollen, sind Bücher, die eine hohe Emotionalität erzeugen, Verbindungen schaffen und für die Gegenwart sensibilisieren“, so Lars Claßen, der darüber hinaus vom gesellschaftlichen Wandel und der Kraft der Bücher spricht. Neben Belletristik werden Sachbücher veröffentlicht. Pro Jahr sollen acht bis zehn Titel erscheinen.

Einen eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse hat der Kjona Verlag indes nicht. Claßen: „Wir wollen erst schauen, ob es für uns etwas bringt. In Frankfurt sind wir dann zum ersten Mal mit einem Stand vertreten.“ Generell habe man den Wunsch einer stärkeren Anbindung zu Lesenden beispielsweise auch durch eine Zusammenarbeit mit Lesekreisen.
Doch zum Schluss noch einmal zurück zum Ort des Treffens: der Stand der Stiftung Buchkunst in Halle 2. „Wir legen Wert auf Ästhetik und Qualität und sind auch der Buchkunst verpflichtet“, betont der Verlagschef. Für den Wettbewerb der Stiftung um das schönste Buch erhielt der Verlag die Anregung, sich zu bewerben. Lars Claßen: „Und das haben wir auch getan.“
Foto Lars Claßen: Nina Rühr | SINN MEDIA