Charlotte McConaghy – „Die Rettung“

„Die ganze Erde eine Wüste.“

In einer Sturmnacht wird eine Frau an das Gestade der Insel gespült. Mehr tot als lebendig. Sie ist schwer verletzt, unterkühlt, ringt um ihr Leben. Die einzigen Bewohner retten sie. Seit neun Jahren lebt Dominic Salt mit seinen drei Kindern Raff, Fen und Orly auf Shearwater Island. Noch kann er nicht ahnen, dass die Frau nicht zufällig hier gestrandet ist und sie das Familienleben gehörig auf den Kopf stellen wird, während sich die Salts für einen Abschied rüsten müssen: Denn die Insel droht durch den Anstieg des Meeresspiegels in den Fluten zu versinken. 

Ungewöhnlicher schauplatz wird selbst zur Figur

Nach ihrem gefeierten Debüt „Zugvögel“ und dem ebenso erfolgreichen Roman „Wo die Wölfe sind“ widmet sich die australische Schriftstellerin Charlotte McConaghy erneut der Natur und deren Zerstörung durch den Menschen – allerdings an einem ungewöhnlichen Schauplatz, der so eindrücklich wie lebendig beschrieben wird, dass er selbst zu einer Art Figur des spannenden wie ergreifenden Romans wird.

Die Marquarieinsel, zwischen Australien und der Antarktis im Pazifik gelegen, bildet die reale Vorlage für Shearwater Island. Sie zählt seit 1997 zum Weltnaturerbe und bietet Lebensraum für Tausende Seevögel und Seelöwen. Sie ist die letzte Kolonie der Haubenpinguine auf der Erde. Umgeben von dieser reichen wie bedrohten Natur wachsen Dominics Kinder auf. Raff nimmt  Walgesänge auf und komponiert auf deren Grundlage eigene Stücke. Orly beschäftigt sich intensiv mit den Pflanzen und hört die Stimmen der einst getöteten Tiere, die von Walfängern sowie  Robben- und Pinguinjägern zu Abertausenden niedergemetzelt worden sind. Ihr Vater ist auf der Insel als Verwalter tätig, er kümmert sich unter anderem um die bereits verlassene Forschungsstation. Die Familie lebt im alten Leuchtturm und ist vollkommen auf sich allein gestellt – weil mehr als Tausend Kilometer von der Zivilisation entfernt. Jeder Fehler, jeder Unfall, jede Katastrophe kann hier tödlich enden. Die Lage spitzt sich zu, als die Funktechnik ausfällt.

„Da begreife ich, weshalb er es womöglich doch nicht ,packen‘ wird. Wieso das vielleicht niemand von uns wird, weil wir, die ganze Menschheit, längst entschieden haben, was gerettet werden soll: wir selbst.“

Die fremde Frau namens Rowan wirbelt das beschauliche, wenngleich auch von tragischen und schmerzvollen Verlusten überschattete Leben der Salts durcheinander. Claire, die Mutter der drei Kinder, ist früh verstorben, Raff hat seine erste große Liebe verloren. Während die Kinder schnell die Nähe zu Rowan suchen, ist ihr Vater gegenüber der Fremden, die es nicht zufällig nach Shearwater Island verschlagen hat, anfänglich skeptisch. Sie sucht ihren Mann, einen Botaniker, der auf der Insel geforscht und zuletzt besorgniserregende Mails an seine Frau gesendet hatte.

Viele Verluste und Traumata

McConaghy, 1988 geboren und in Australien aufgewachsen, füllt ihren Roman mit zahlreichen Geschichten und Geheimnissen, die nach und nach erzählt werden; so ans Tageslicht kommen. Jede Hauptfigur hat einen Verlust oder eine traumatische Erfahrung erlitten und gerät im Verlauf der Handlung in Lebensgefahr. Der Titel des Buches kann deshalb auf verschiedene Weise gelesen werden. Nie hat man indes das Gefühl, von all dieser Dramatik und schließlich auch den wachsenden Gefühle zwischen Dominic und Rowan überfordert zu werden. Die Australierin mit irisch-schottischen Wurzeln ist eine großartige Erzählerin, die den Plot klug vorantreibt sowie gezielt überraschende Wendungen und gefühlvolle Szenen setzt.

„Fühlt es sich so an, wenn die Welt in Stücke fällt? Als sähe man den Weg vor seinen Füßen nicht und könnte jeden Moment seine Mitmenschen verlieren und müsste allein weitergehen.“

Die Handlung wird aus den Perspektiven von Rowan und den Salts erzählt, wobei die Stimme von Orly, dem jüngsten der Kinder, besonders fasziniert. Der kluge wie wissbegierige Neunjährige berichtet über besondere Pflanzen wie die Banskia oder das Stachelnüsschen, die letztlich die Verbindung zu einem speziellen Thema des Romans knüpfen: den Saatgutbunker, dessen Schatz nach dem Weggang der Wissenschaftler von den Salts betreut und gerettet werden muss. Wie der auf Spitzbergen beheimatete reale Saatgut-Tresor enthält der Bunker, der zunehmend in Mitleidenschaft gerät, Samen von Tausenden von Pflanzen. Doch welche Samen sind es wert, gerettet zu werden? Eine Auswahl, mit der die Artenvielfalt erhalten werden kann, oder nur Pflanzen, die den Menschen ernähren?

Klimawandel und Artenschutz

Mit dem ungewöhnlichen Schauplatz und ihren charismatischen Helden gelingt es der Autorin, den Leser an die aktuellen Themen Klimawandel und Artenschutz ohne erhobenen Zeigefinger heranzuführen. Sie setzt auf kinoreife und ergreifende Szenen wie beispielsweise die Rettung einer Walmutter und ihres Kalbes.

„Die Rettung“ ist vor allem ein intensives Buch der Gefühle: über jene der Protagonisten – von der Liebesbeziehung über die intensive Vater-Kind-Bindung bis zur Hingabe für die Natur -, aber auch mit Blick auf die Emotionen des Lesenden. Kaum einer wird von dieser Geschichte unberührt bleiben. Der dramatische Schluss fern jeglichem rosafarbenen Happy End kommt mit einer emotionalen Wucht und fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Für manche kommt jede Hilfe zu spät.

Weitere Besprechungen auf den beiden Blogs „Buch-Haltung“ und  „Lust auf Literatur“


Charlotte McConaghy: „Die Rettung“, erschienen im Verlag S. Fischer, in der Übersetzung aus dem Englischen von Jan Schönherr; 368 Seiten, 24 Euro

Foto: Hullwarren/Wikipedia

4 Kommentare zu „Charlotte McConaghy – „Die Rettung“

  1. da ich „die Zugvögel“ sehr gut und „wo die Wölfe wohnen“ gut fand, kann ich mir vorstellen, auch dieses zu lesen. Dir scheint es ja gefallen zu haben. Auch die Thematik der Artenvielfalt interessiert mich sehr.

    Lieben Gruß , Elvira

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