Der weiße Planet: eine von Eis und Schnee überzogene Landschaft, Monate der Dunkelheit wechseln sich mit Wochen im Schein der Mitternachtssonne ab. Nur die am besten Angepasstesten, ob Tier oder Mensch, überleben im rauen Klima der Arktis oder Antarktis. Doch trotz der unwirtlichen Verhältnisse – die Gegend rund um Nord- und Südpol zieht sowohl Entdecker als auch Naturfreunde magisch an.
Der Däne Jørn Riel, Jahrgang 1931, landete als 18-Jähriger mit einer Expedition im Osten Grönlands, und er blieb. Er wurde mit den schwierigen Lebensverhältnissen vertraut, lernte die Ureinwohner, deren Sprache und ihr Talent zum Geschichten erzählen kennen. Und dieser besonderen Eigenschaft widmete sich der Skandinavier immer wieder in seinen Büchern, auch in seinem Roman „Das Haus meiner Väter“.
Der kleine Agorajaq wächst in einem Haus auf der arktischen Baffin-Insel am Fuße des Berges Miss Molly auf. Er stammt von einer Inuitfrau ab, wer sein richtiger Vater ist, das weiß er nicht. Fünf Männer, Pete, Jeobald, Sam, Gill und Small Johnson, kümmern sich um ihn samt der alten Inuit-Frau Aviaja. Ihre Tage vergehen mit der Jagd, den Fahrten zu den ausgelegten Fallen mit den Hundeschlitten oder Besuchen bei den Nachbarn, die meist eine Tagesreise entfernt wohnen. Die Gegend ist bis auf die nahe gelegene Stadt Ukusik karg und wenig besiedelt. Wenn man zusammenkommt, erzählt man sich die neuesten Erlebnisse oder erinnert sich an längst vergangene Geschehnisse. Mit 14 Jahren wird Aro nach Europa geschickt, nach gut einem Jahr kehrt er jedoch wieder in den Norden zurück, weil seine Schule ihn vor die Tür setzt. Er hatte Schwäne im Londoner Park gejagt und über einem Lagerfeuer gebraten. Nach der Rückkehr geht er in die „Lehre“ und wird Jäger und Fallensteller.
Riel versammelt in seinem Buch nicht nur wunderliche Geschichten, stets mit einer besonderen Prise Humor gewürzt. Kauzige Personen sind in seinem Roman zu finden. So treffen der angesehene Händler Mr. Pickerin, der die Stadt Ukusik von Alkohol und Religion fern halten will, auf den Missionar Vater Brian, der in der Stadt ein aufblasbarenen Tempel errichtet. Small Johnson kann nicht die Finger vom Schnaps lassen und lässt das künftige Haus Agos in die Luft fliegen. Onkel Sam ist Anthropologe und findet rund um das Zuhause der Großfamilie riesige Bleivorkommen, ohne das dies die Öffentlichkeit erfährt.
Viele Geschichten erzählt dieser Roman, einen roten Faden muss der Leser mit Hilfe der zahlreichen Episoden aus dem Leben der Personen selbst zusammenknüpfen. Doch neben dieser wunderbaren, humorvollen und mit Liebe zu den einzelnen Charakteren gezeichneten Erzählweise erfährt der Leser viel über die einzigartige Natur und das Dasein im hohen Norden, das einfach ist, aber große Herausforderungen tagtäglich an die Bewohner bereit hält. Riel erzählt mit viel Respekt von ihren Fähigkeiten. Und immer wieder finden sich Vergleiche zwischen den Kulturen. Dies harte Leben in der Arktis wird dem Fortschritt in Europa und Amerika entgegengesetzt. Einen „Gewinner“ gibt es indes nicht, denn jede hat ihre Vor- und Nachteile je nach (Welt)Sicht des Betrachters.
Wer fasziniert ist von der Welt des weißen Planeten, wird dieses Buch lieben und es mit Freude lesen, wer jedoch mit dem kalten Land noch kaum Berührungen erlebte, wird so manche Geschichte befremdlich finden. Aber jede fremde Kultur sollte die Chance erhalten, dass man sie kennenlernt und für ihre Einzigartigkeit Respekt empfindet.
Das Haus meiner Väter von Jørn Riel erschien im Unionsverlag
aus dem Dänischen von Friedrich Waschnitius
Februar 2008 (Taschenbuch)
384 Seiten, 10,90 Euro
Ein Kommentar zu „Der weiße Planet – Jørn Riel "Das Haus meiner Väter"“