Der Polizistenmörder – Jo Nesbø "Koma"

24 Stunden täglich wird er von der Polizei strengstens bewacht. Der Unbekannte im Osloer Reichshospital. Seine Identität soll ein Geheimnis bleiben. Einige wünschen, er würde nicht mehr aus dem Koma aufwachen und einfach ins Jenseits hinübergehen. Ein Polizist, der den Patienten bewacht, wird später selbst sterben: Von Anton Mittet wird nicht viel übrigbleiben, nachdem er in seinem Auto einen Abhang hinabstürzt, wo bereits vor einigen Jahren schon einmal ein Mord stattgefunden hatte, der bis heute ungeklärt ist.

Mehr sollte man von dem neuen Kriminalroman des Norwegers Jo Nesbø nicht verraten, um dem geneigten Leser nicht die spannende Lektüre zu vermiesen. Denn bereits mit den ersten Seiten spielt der Bestseller-Autor und Schöpfer des charismatischen Kommissars Harry Hole mit den Erwartungen des Krimi-Fans, baut besondere Bilder und Szenen ein, die das Gedankenkarussell tüchtig antreiben. Klar, am Ende ist der Täter einer, den man nicht auf der Rechnung hatte, selbst geübte Hobby-Kriminologen werden überrascht sein von der Lösung einer ganzen Reihe von Mordfällen an Osloer Polizisten. Wie die Handlung Hasenhaken schlagend vorangetrieben wird, das ist ein Geniestreich. Doch alle Fälle haben eines gemeinsam: Sie finden an einstigen Tatorten und am selben Tag des damaligen Verbrechens statt. Die Reihen der Polizisten, auch der höherrangigen, dünnen sich aus. Besonders ein Fall wird dem Leser sehr zu Herzen gehen und regelrecht schockieren, weil gerade jener grausame Mord der ermittelnden Sondergruppe mit ihrem Leiter Gunnar Hagen besonders an die Nieren geht. Das kleine Team, das abseits des Ermittlungskommandos heimlich und ohne Zustimmung des neuen und machthungrigen Polizeipräsidenten ermittelt, legt eine Falle und tapt dabei selbst hinein.

Neben der Ermittlungarbeit und der exzessiven Gewalt, die alle Verbrechen des Buches kennenzeichnet, lässt Nesbø viel Spielraum für andere Themen: Trauerbewältigung, die schwere, vor allem psychisch belastende Arbeit der Polizei, die Rolle der Familie und die kriminellen Fäden, die Hochrangige in Politik und Polizei still und heimlich knüpfen. Und es gibt es noch eine ganz besondere Hauptperson in diesem mehr als 600-seitigen Roman: die Stadt Oslo, die mittlerweile zu einer der angesagtesten Citys weltweit gemausert hat. Gegen die Euphorie eines der reichsten Länder, das mit dem Erdöl vor der eigenen Küste sich von einer grauen und rückständigen Agrar- und Fischfangnation in Europa zu einem modernen und wohlhabenden Staat verwandelt hat, setzt Nesbø reichlich Gesellschaftskritik entgegen. Denn in der norwegischen Hauptstadt blüht das Drogengeschäft. Mit rund 300 Drogentoten im Jahr steht sie in Europa im Vergleich zur Einwohnerzahl mit an der Spitze.

So bringt Nesbøs neuester Streich alles mit, was ein Spitzen-Krimi beinhalten soll: atemberaubende Spannung – durch eine überaus intelligente Struktur des Plots und einer kurzen prägnanten Sprache, die im Kopf des Lesers überaus plastische Bilder im Eiltempo erzeugt; ernste Themen, die nachdenklich stimmen, sowie charismatische Figuren, mit denen man mitfiebert und mitfühlt. Wer also einmal mit dem Roman angefangen hat, sollte sich grundsätzlich erst einmal von der Welt verabschieden und auf der Couch ein Refugium einrichten, um ungestört lesen zu können, schlichtweg gefesselt von diesem einzigartigen Krimi.

„Koma“ von Jo Nesbø erschien im vergangenen Jahr im Ullstein-Verlag, in der Übersetzung aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob.
624 Seiten, 22,99 Euro

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