Ein innerer Strom – Edith Wharton "Das alte Haus am Hudson River"

„Es gab Zeiten, da war seine Seele wie ein Wald, voller Schatten und Gemurmel, geheim und fern, ein Ort, wo man sich verirren konnte, fast furchterregend, um dort allein zu sein.“ 

Es ist eine innere Stimme, ein Strom, ein inneres Regen, das seinen Weg nach draußen sucht. Vance Weston spürt früh seine besondere Begabung. Er schreibt. Obwohl als Sohn eines erfolgreichen Immobilienmaklers aus gutem Haus stammend, im mittleren Westen der USA aufgewachsen, scheint sein Leben eine andere Richtung zu bekommen. Biografisch und geografisch. Nach einer schweren Erkrankung soll der 19-Jährige sich bei der Cousine seiner Mutter im ruhigen Städtchen Paul’s Landing, nicht weit von der Millionenstadt New York gelegen, auskurieren.
Und dies ist der Beginn des Schriftstellers Vance Weston und des Romans „Ein altes Haus am Hudson River“ der amerikanischen Autorin Edith Wharton, an die der btb-Verlag mit einer Neuauflage ihres 1929 erschienenen Werkes erinnert.

Erzählt wird mit der Geschichte des jungen Vance die Entwicklung eines jungen Autors, seine frühen Erfolge, seine späteren Niederlagen. Vance erfährt bereits mit seiner ersten Erzählung „Ein Tag“, die in der literarischen Zeitschrift „Die Stunde“ erscheint, Lob und aufmunternde Kritiker-Stimmen. Das Schreiben ist für ihn ein Rausch, genauso wie die Literatur an sich. Vance ist ein begeisterter Leser, der in der Bibliothek eines alten Hauses, „The Willows“ genannt, eine besondere Quelle für sein Lesefieber findet. Animiert und inspiriert wird er von Heloise, kurz Halo genannt, der Tochter der gut situierten Familie Spear. Einem Großonkel ihres Vaters gehört das alte Haus, das von den Tracys, die Vance aufgenommen haben, geputzt wird. Beiden, dem Haus und Halo, begegnet der junger Autor in den Jahren seiner Entwicklung regelmäßig, auch wenn all diese Zeit von Konflikten und Niederschlägen geprägt ist. Nach einem Missverständnis flieht Vance aus Paul’s Landing nach New York, später wird er zudem die Metropole verlassen, um in das heimatliche Illinois zurückzukehren. All das nur für kurze Zeit. Denn es ist New York und das alte Haus am Hudson River, die ihn immer wieder in den Bann ziehen. Das quirlige und pulsierende Leben begeistert ihn ebenso wie die Abgeschiedenheit und Stille in Paul’s Landing, wo die Zeit stillzustehen scheint.

Jene Konflikte und Niederschläge machen Vance schließlich das Leben schwer, als nach seinem ersten Erfolg und der Hochzeit mit Laura Lou, der Tochter der Tracys, sich das Schicksal gegen ihn wendet. Nur schlecht als recht kann er sich und seine Frau finanziell über Wasser halten, da das Geld wegen des Knebelvertrags mit dem Verlag der „Stunde“ nur spärlich fließt, sich vor allem Arztrechnungen wegen der Erkrankungen seiner Frau stapeln. Auch ein Literaturpreis, für den Vance als Liebling der kulturellen Szene New Yorks ein aussichtsreicher Kandidat war, geht an einen anderen. Zunehmend fühlt er sich zu Halo, nunmehr Frau des Verlagschef der „Stunde“, in Form einer seelischen Gemeinschaft mehr hingezogen als zu seiner eigenen Frau, die sich wenig in das schöpferische Denken ihres Mannes hineinfühlen kann.

Vieles, was die Pulitzerpreisträgerin Edith Wharton (1862 – 1937) in die Geschichte des jungen Autors schreibend hineingelegt hat, kannte sie aus eigenem Erfahren. Auch sie stammt aus gutem Haus, auch sie hat sich der Literatur verschrieben und Erfahrung mit gesellschaftlichen Zwängen machen müssen. Wie sie die Entwicklung ihres Protagonisten beschreibt, seinen Erfolg und die Tiefschläge, sowie dem Leser vermittelt, welche besondere Rolle das Schreiben, dieses Hineinversinken in Sprache als einzigen Weg, für einen Autor bedeutet – das ist ganz große Kunst. Ohne Zweifel ist „Das alte Haus am Hudson River“ ein Entwicklungs- und zugleich Künstlerroman. Doch in ihm finden sich so viele Themen mehr, stets bilderreich und stimmungsvoll: die Faszination für die Metropole New York, die Glitzerwelt und Abgründe der kulturellen High Society, der Zwiespalt eines Mannes angesichts zweier Frauen, Auch die ländliche Idylle findet sich an vielen Stellen wieder.

Obwohl immer wieder kleine Funken Humors im Roman auftauchen, entsteht während und nach der Lektüre eine doch recht melancholische und nachdenkliche Stimmung. Für die Ausgestaltung ihrer vielgestaltigen Geschöpfe – so den umtriebigen Bunty Hayes, Vance‘ religiöser Großmutter oder den intellektuellen Frenside, zeigt Wharton sehr viel Herz und Leidenschaft. Der btb-Verlag bereitet mit der Neuauflage von Whartons Romanen „Literatur-Abhängigen“ eine wahre Freude, weil sie genau die richtigen Worte findet für diese starke innere Begeisterung für Literatur und das Schreiben als schöpferischem Akt, die eben nur Literatur-Fans und wahre Autoren nachfühlen können.

Der Roman „Das alte Haus am Hudson River“ erschien im btb-Verlag, in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Andrea Ott und mit einem Nachwort von Rüdiger Görner versehen.
624 Seiten, 12,99 Euro

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