„Die Angst muss gemanagt werden. Die Angst muss kontrolliert werden. Wie die Menschen.“
Die Welt von morgen braucht gar nicht so unbekannt zu sein. Denn die Gegenwart ist bereits ein Teil von ihr. Kapstadt 2018: Konzerne operieren weltweit. Das Handy bestimmt das Leben und den Alltag. Werbung begleitet den Menschen nahezu 24 Stunden lang tagaus tagein. Kleine fahrende Roboter beseitigen den Schmutz in den Wohnungen. All das kennen wir schon. Lauren Beukes dreht am Rad der Zeit nur ein Stück weiter und entwirft in ihrem Debütroman „Moxyland“ ein Zukunftsszenario, das sich zu einer erschreckenden Vision entwickelt und Warnung zugleich ist.
Der Erstling der Südafrikanerin ist bereits 2008 im Original erschienen. Erst acht Jahre später kam nun der Roman in deutscher Übersetzung als Taschenbuch im Rowohlt Verlag heraus. Warum diese Verspätung, möchte man meinen, wenn das Werk im englischsprachigen Raum doch bereits mit Begeisterung aufgenommen wurde, ja Beukens für ihren nachfolgenden Roman „Zoo City“ sogar mit dem Arthur C. Clarke Award und damit einem der renommiertesten Preise im Science-Fiction-Genre geehrt wurde. Liegt es daran, dass die Science-Fiction-Literatur hierzulande nur von Insidern wahr- und ernst genommen wird, nur wenige Verlage Werke aus diesem Bereich veröffentlichen und diese kaum in der öffentlichen Diskussion Eingang finden? Dabei bieten sie Raum und vielgestaltige Möglichkeiten, über gesellschaftliche Entwicklungen rege zu debattieren. Dies eine These, die ich sehr gern zur Diskussion stellen würde.
Beukes Geschichte beginnt recht unspektakulär, doch trotzdem faszinierend. Der Leser lernt die Fotografin Kendra, den Videoblogger Toby, die Programmiererin Lerato sowie den gesellschaftskritischen Sozialarbeiter Tendeka kennen. Ihr Leben und Wirken ist miteinander verbunden, ohne dass sich jeder mit jedem innerhalb des Geschehens wirklich real trifft. Kendra zählt zu jenen Probanden und „Sponsoren-Tussis“, die sich mit Hilfe der Nano-Technologie als menschliche Werbetafel zur Verfügung stellen. Nach dem Abbruch ihres Studiums versucht sie sich als Fotografin durchs Leben zu schlagen. Ihr Steckenpferd: die analoge Fotografie, in Zeiten, wo es schwer ist, an Filmrollen zu kommen. Während einer Eröffnung einer Ausstellung, in der auch ihre Werke zu sehen sind, kommt es zu einem Anschlag, bei dem Arbeiten einer anderen Künstlerin zerstört werden. Dahinter steckt eine Truppe rund um den gesellschaftskritischen Visionär Tendeka, der sowohl von Toby als auch von Lerato Unterstützung erfährt. Das Geschehen eskaliert, als eine Aktion Tobys, bei der ein Rollenspiel in der Realität ausgetragen wird, und eine Demonstration Tendekas in einer U-Bahn-Station aufeinanderprallen und die Sicherheitskräfte tödliche Viren verbreiten.
Um in diese künftige Zeit, in diese technisierte Welt hineinzufinden, braucht es jedoch einige Kapitel und etwas Geduld. Das Geschehen entwickelt sich szenenartig und sprunghaft, wobei die vier Protagonisten die Erlebnisse jeweils aus ihrer Sicht als Ich-Erzähler berichten. Außerdem finden sich unbekannte Bezeichnungen für moderne Dinge, die in jener Zeit zum Alltag gehören, wie eben der VIMbot, der durch die Wohnung fährt und für Sauberkeit sorgt, oder die Aitos, mit Hilfe der Nano-Technologie weiter entwickelte Tiere, die als Begleithunde der Polizei dienen. Des Weiteren verwendet die Autorin Slang-Begriffe oder Wörter aus der Sprache Afrikaans, die allerdings im Anhang des Buches erklärt werden.
„Die Menschheit ist von Natur aus beschädigt. Es ist ein Fehler im Entwurf. Wir sind schwach. Wir sind fehlbar. Man muss uns sagen, was wir tun sollen, um uns bei der Stange zu halten.“
Nach und nach entwickelt sich eine Welt, die zu Beginn faszinierend, modern und dank der illustren Truppe auch pulsierend wirkt, schließlich jedoch für Beklemmung und Ängste sorgt. Die Gesellschaft ist in Arm und Reich getrennt, beide treffen kaum aufeinander, da die Gutsituierten mit Hilfe der Technik von den Obdachlosen und weiteren Randexistenzen abgeschirmt werden. Zu Bars, zur U-Bahn, zu Wohngebäuden erhält man nur Eintritt mit dem Handy, dessen spezielle SIM-Karte alle Daten des Besitzers speichert – Termine, Krankheiten oder auch frühere Begegnungen mit der Justiz, wie im Fall von Tendeka. Verstößt man gegen Normen und Regeln oder ist man auffällig, wird man „abgeschaltet“, was zudem bedeutet, dass man nicht mehr bezahlen kann, da das Handy als Geldbörse dient. Es gibt Wohnungen, die können sich drehen, andere liegen unter der Erde. Wechselnde Landschaften werden an die Wände projiziert, um etwas Wohlfühl-Atmosphäre zu schaffen. Es gibt kaum eine Minute, in der die Menschen nicht von Werbung konfrontiert werden. Ihr soziales Leben ist geprägt von kurzen Beziehungen, der Suche nach dem schnellen Rausch.
Die Stimmung kippt ungefähr in der Mitte, wird aus Faszination für das Neue, Zukünftige eine Wahrnehmung für den Ernst der Lage und das ganze dramatische Ausmaß des Geschehens. Dabei tritt der Hintergrund der Figuren deutlicher hervor, werden interessante gesellschaftliche Themen verhandelt. So erfährt der Leser, dass Lerato eine Aids-Waise ist, ihr Aufstieg in einer Handelsschule begann, mit der große Unternehmen ihre Fachkräfte rekrutieren. Tendeka arbeitet in einem Sozial-Projekt für arme Kinder und unterstützt eine Frau, die illegal im Land lebt. In einem Gespräch unterhalten sich Toby und Kendra über die Unterschiede zwischen analoger und digitaler Welt. Allgemein lebt dieses Buch von seinen lebendigen Dialogen sowie eingefügten Texten in einer anderen stilistischer Form, wie dem Auszug einer Polizeiakte oder dem Beitrag Tobys über Kendra und ihre Arbeiten. Vieles, das nur schlaglichtartig hervorgehoben wird, hätte weitere Erklärungen und Ausführungen durchaus verdient, denn Beukes fiktive Welt verhandelt durchaus aktuelle Problemfelder.
Der Roman „Moxyland“ von Lauren Beukes erschien im Rowohlt Taschenbuch Verlag, in der Übersetzung aus dem Englischen von Mechthild Barth; 368 Seiten, 9,99 Euro
Eine spannende und reflektierende Rezension / durchaus sehr nahe unserer Welt / Handy abschalten und schon ist man draußen: eine einfache und wirkungsvolle Diktatur / oder Bezahlsysteme mittels Chips unter der Haut und ähnliches mehr sind nicht weit entfernt / leicht erschreckend doch wir nähern uns an / zum Glück werde ich dies wohl nicht mehr erleben müssen/ hoffe ich.
Den Roman hingegen habe ich abgespeichert.
Danke sehr.
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vielen Dank für den Kommentar. Ja, der Blick in die Welt von morgen kann sehr beängstigend sein, wenn die Gegenwart es nicht schon ist. Wir machen die Zukunft uns selbst, und darüber sollten wir nachdenken. Für mich war das Buch eine Entdeckung, die Autorin werde ich mir merken. Viele Grüße
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Danke dir für worte und Mühe / wir haben uns unsere Zukunft schon gebaut / so wie wir heute denken gestalten wir morgen.
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Gern geschehen. Ich habe auch zu danken für die Gedanken. Nochmals viele Grüße
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Habe neulich eine Trilogie von Margaret Atwood gelesen,die in die gleiche Richtung zielt. Was das von Dir rezensierte Buch angeht, so möchte ich noch anmerken, daß wohl noch vor kurzem niemand geglaubt hätte, daß auch Linke einmal um das gute alte Geld trauern würden. Mit der Abschaffung des Bargeldes, wie sie derzeit diskutiert wird, ist der totale Überwachungsstaat wieder ein Stück näher gekommen.
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Vielen Dank für den Kommentar. Ich denke, da werden literarisch noch einige Werke mit diesem Thema auf uns zukommen. Allgemein habe ich das Gefühl, dass Zukunftsvisionen, vor allem negative gerade Trend sind. Hoffen wir mal, dass befürchtete Entwicklungen ausbleiben. Das Bezahlen mit dem Handy gibt es jedoch schon. Viele Grüße
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