Norbert Scheuer – „Winterbienen“

„Ich habe Angst vor dem, was uns erwartet.“

Bienen sind gefühlt zu einem beliebten Thema in der Literatur geworden. Meist jedoch in Verbindung mit Ökologie und Umweltschutz, allgemein mit Fragen der Natur. Der Zweite Weltkrieg mit all seinen verheerenden Zerstörungen und Grausamkeiten bildet hingegen die bedrohliche Kulisse des besonderen Helden im neuen Roman Norbert Scheuers. „Winterbienen“ erzählt neben dem dunklen Kapitel deutscher Geschichte von einer realen Figur, dem Lehrer und Imker Egidius Arimond, der in dem Eifel-Städtchen Kall im Urftland nahe der belgischen Grenze gelebt hat.

Ein Bündel mit Heften

Dort erhielt Scheuer, wie er in seiner Danksagung schildert, eines Tages eine Mappe mit einem Bündel Heften und Zeichnungen Arimonds. Dass der Schriftsteller daraus einen Roman, mehr noch einen ungewöhnlichen Roman verfasst hat, ist ein großes Geschenk. Denn als ungewöhnlich erscheint nicht nur die Kombination der beiden Themen Bienen und Krieg. „Winterbienen“ ist in großen Teilen ein Tagebuch-Roman, der am 3. Januar 1944 beginnt und am 19. Mai 1945 seinen Abschluss findet. Begleitet werden die Einträge von Text-Fragmenten, die als Nebenstrang der Handlung die Geschichte des Benediktiner-Mönchs Ambrosius, einem Vorfahren Arimonds, erzählen.

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Meist in einem unaufgeregten Stil gehalten, schildert der Held von seinen Erlebnissen als Imker und vom Alltag inmitten des Krieges. Arimond ist aus dem Lehrerdienst entlassen worden. Im Gegensatz zu seinem erfolgreichen Bruder, der als Pilot in der Luftwaffe der Wehrmacht dient, lebt er mehr schlecht als recht und ausgenommen seiner Besuche in Bibliothek und im Café sowie gewisser Schäferstündchen recht einsiedlerisch. Sein Geld verdient er mit der Imkerei – und mit dem Transport von Flüchtlingen, die er zuerst in einer Grotte versteckt, um sie später in einem Bienenwagen zur belgischen Grenze zu bringen. Nicht nur dieser „Nebenverdienst“ bedroht sein Leben. Er ist Epileptiker und wird gemäß der Rassenhygiene der Nationalsozialisten damit als unwertes Leben eingestuft. Jederzeit rechnet er damit, eingewiesen zu werden, vor allem der Apotheker, von dem er sich die nötigen Medikamente erbetteln muss, könnte ihn verraten. Mit der Zeit werden die notwendigen Pillen knapp, häufen sich die epileptischen Anfälle. Schließlich rückt der Krieg immer näher. Bomber der Alliierten überfliegen das Gebiet auf dem Weg zu ihrem Ziel, das später in Schutt und Asche liegen wird. Auch Kall bleibt schließlich nicht von Kämpfen und Zerstörung verschont. Der Tod wird zu einem stetigen Begleiter.

Der Schrecken dieser Zeit

Gerade dieser unaufgeregte schlichte, aber sehr konkrete und poetische Erzähl-Stil bringt die noch immer unfassbaren Schrecken dieser Zeit dem Leser nahe: die Zerstörung, die Gewalt, die zahlreichen Opfer unter den Zivilisten und vor allem den Jüngeren, die, einst Schüler Arimonds, nun an der Seite der Alten als Hitlers letztes Aufgebot – Arimond nennt den Führer Jupp – in den Krieg ziehen müssen. Ganz im Gegensatz dazu erfüllen die Beschreibungen zu den Bienen und der Imkerei den Leser mit einer gewissen Ruhe und Andacht. Sehr detailliert geht Scheuer auf dieses Thema ein, er beschreibt das faszinierende Leben im Bienenstock, die Aufgaben der unterschiedlichen Bienen im Volk – von der Königin über die Arbeiterin bis zur Drohne -, ihren Verhaltensweisen sowie von der aufwendigen Völker-Pflege, die umfassende Kenntnisse erfordert. Auch die Flugzeuge, ihre Technik und Besatzung, spielen in dem Roman eine wichtige Rolle. Begleitet wird der Text von Zeichnungen, die Scheuers Sohn Erasmus angefertigt hat.

„Meine Erinnerungen gleichen denen der Winterbienen in ihrem dunklen Stock; ich weiß nicht, ob etwas erst gestern gewesen ist oder schon lange Jahre zurückliegt. Sie erscheinen mir wie ein winziger Punkt in einem unendlichen Raum.“

So vermitteln die Tagebuch-Einträge in Form einer sehr dichten Mischung aus Beschreibungen, Gedanken und Erinnerungen einen Blick in die facettenreiche Tätigkeit eines Imkers, in die dramatischen Geschehnisse des letzten Kriegsjahres sowie in das recht zwiespältige, teils auch kühl wirkende Wesen Arimonds. Zwar hilft er Flüchtlingen – vom Kind bis zum ehrwürdigen Literaturprofessor – auf dem Weg in sichere Gefilde, allerdings lässt er sich dafür bezahlen. Er hat mehrere Liebschaften: mit Charlotte, die er in der Bibliothek kennenlernt und deren Mann Kreisleiter ist, mit Marie, deren Mann an der Front kämpft und deren Sohn ihm bei der Arbeit mit den Bienen hilft. Womöglich wird man den Charakter des Helden nicht mögen, sein tragisches Schicksal lässt indes wohl keinen unberührt.

Scheuer, Jahrgang 1951 und auch nahe dem Handlungsort Kall in der Eifel heimisch, ist mit seinem neuen Roman, dessen Literaturverzeichnis auf eine ausgiebige Recherche verweist, für den Deutschen Buchpreis nominiert. Bereits 2009 stand er mit seinem Werk „Überm Rauschen“ auf der Shortlist. Für „Die Sprache der Vögel“ war er 2015 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert; schon in beiden Büchern wird im Übrigen der Name Arimond erwähnt. Sein aktuelles Werk wandert auf meine persönliche Liste von „Herzensbüchern“, zu jenen Titeln, die ich besonders gern und oft empfehle. Denn „Winterbienen“ ist thematisch wie im Stil außergewöhnlich und bleibt unvergesslich.

Weitere Besprechungen sind nachzulesen auf den Blogs „literaturleuchtet“, „Peter liest“, „Bookster HRO“  und „Petra Bücher-Apotheke“.


Norbert Scheuer: „Winterbienen“, erschienen im Verlag C.H. Beck; 319 Seiten, 22 Euro

Bild von titimoto auf Pixabay

8 Kommentare zu „Norbert Scheuer – „Winterbienen“

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