„Was ist das Gegenteil von Instagram? Ungefähr jedes deutsche Gewerbegebiet.“
Fünf Bände, zwischen 1862 und 1889 erschienen, sind Grundlage für seine bekannten Romane „Effi Briest“ und „Der Stechlin“. Das verrät mir Wikipedia über das umfangreichste Werk Theodor Fontanes: „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Zugegeben: Mit Fontane habe ich mich trotz ausgeprägter Leselust schwer getan – die „Effi“ in der Schule, „Schach von Wuthenow“ im Studium (Pro Seminar Literaturwissenschaft bei einem Fontane-Kenner, die Durchfall-Quote bei der Prüfung lag bei 50 Prozent). Für den Lesekreis nahm ich mir jüngst „Frau Jenny Treibel“ vor – mit deutlich mehr Freude als in meiner Jugend. Vielleicht braucht es auch ein gewisses Alter, um Fontane zu schätzen. Man muss ihn ja nicht gleich lieben.
Besondere Begegnungen
Obwohl „Theo“ nur eine kleine Nebenrolle übernimmt, bringt mich der Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Cornelius Pollmer, mit seinem Band „Heut ist irgendwie ein komischer Tag. Meine Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ dazu, mich gedanklich mehr mit Fontane und meinen zwiespältigen Gefühlen auseinandersetzen. Und nicht nur das: Auf den Spuren des berühmten Schriftstellers in der Mark Brandenburg wandelnd, ist Pollmer im Hier und Jetzt angekommen. Eine literarische Butterfahrt mit Start in Neuruppin, dem Geburtsort Fontanes, bildet im vergangenen Hitze-Sommer den Auftakt für seine eigene, sehr persönliche Tour, die gespickt ist mit überraschenden Begegnungen und spontanen Entscheidungen – wie jene, nackt in den Stechlinsee zu springen, allerdings nicht unbeobachtet. Der gebürtige Dresdner trifft auf seiner Reise den Imbiss-Inhaber Schniepa, das vom Schicksal gebeutelte Ehepaar Gabi und Reinhard, auf den adeligen Krafft Freiherr von dem Knesebeck sowie einen Wedding-Planer, der ihm kurzerhand einen Job als Aushilfsservicekraft während einer Hochzeit im Schlosspark Marquardt gibt.
Pollmer lernt nur mit Rucksack, Schlafsack und wenig Geld ausgerüstet kleine und große Orte kennen, feiert und lehnt auch kein Bierchen (oder zwei, drei… auch die Erfahrung, mit einem Brummschädel aufzuwachen, ist bekanntlich eine) ab. Er ist meist per pedes, aber auch mit Schniepas schwarzen Pick-Up der Marke Toyota, Bus oder Regionalbahn unterwegs. Übernachtet mal hier, mal dort. Zwischen dem auf den ersten Blick Unspektakulären findet er stets das Besondere, das Spezielle, das gerade diese Gegend ausmacht. Die jüngere deutsch-deutsche Geschichte von DDR- bis Wendezeit spielt dabei ebenso eine Rolle wie aktuelle Entwicklungen. Nachdem ein Teil der jüngeren heimischen Generation weggezogen ist, greifen windige Investoren die Gunst der Stunde, die Gegend verändert sich, protzige Eigenheim-Siedlungen entstehen.
„Sehenswürdigkeiten berühren mich selten, ich erzähle nicht von ihnen, wenn ich Postkarten schreibe oder daheim von meinem Urlaub berichte. Was hängen bleibt und was Reisen besonders macht, das ist für mich oft das Ungeplante, das Zufällige.“
Dem schreibenden Wanderer mit wachem Geist und guter Beobachtungsgabe gelingt es, die ostdeutsche Seele stets auf Augenhöhe sowie mit Respekt und Verständnis zu beschreiben. Er selbst hat als Kind, 1984 geboren, noch die DDR miterlebt, heute berichtet er für die Süddeutsche Zeitung als Korrespondent aus den neuen Bundesländern. Sein Buch kann wohl auch als ein Plädoyer gelesen werden, sich mit dem Osten Deutschlands, vor allem den ländlichen Regionen und ihren Menschen unvoreingenommen zu beschäftigen. Das Wandern scheint dafür die beste Weise zu sein; allerdings nicht nur, um fremde Gegenden, sondern vor allem die Heimat vor der eigenen Haustür mit Neugierde zu entdecken. Überhaupt das Wort „Heimat“ findet sich in dem Buch an vielen Stellen.
Perfekte Sommerlektüre
„Heut ist irgendwie ein komischer Tag“ ist von seinem Ton her vom Typ Chamäleon. Mal quirlig, pfiffig und mit einem sprachgewandten und klugen Humor gesegnet, der einen Auflachen, Kichern, Glucksen lässt, ist dieser Reisebericht an einen Stellen indes auch nachdenklich, manchmal sogar berührend – wie beispielsweise jene Geschichte um die Begegnung mit dem fast 90-jährigen Rudi, der in Hermannswerder Abschied von seinem Segelboot „Argus“ nimmt. Pollmer beweist ein besonderes Gespür für die Menschen, ihr Leben und ihre Erfahrungen. Schnell fliegt ihm ihr Vertrauen zu. Eine Gruppe junger Menschen, die weiter die Bräuche ihres Dorfes Werben, im schönen Spreewald gelegen, pflegt, nennt ihn kurzerhand Theodor. Wenn das mal kein Omen ist. Weitere Berichte zwischen Geschichte und Gegenwart aus der Provinz Deutschlands wären wünschenswert. Pollmers Band auf den Spuren Fontane bewährt sich schon einmal als die perfekte Sommerlektüre – und nicht nur im aktuellen Fontane-Jahr.
Cornelius Pollmer: „Heut ist irgendwie ein komischer Tag“, erschienen im Penguin Verlag; 240 Seiten, 20 Euro
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