„Es ist meine Art. Ich bin kein Sonnenwesen.“
Er starb arm und vereinsamt. Verkannt von der Welt. In einem Altersheim für Bedürftige in Ballaigues verbrachte der Schweizer Künstler Louis Soutter (1871 – 1942) fast 20 Jahre seines Lebens – von der Familie als ungeliebtes und unverstandenes Mitglied abgeladen, ja regelrecht verbannt. Erst nach seinem Tod wird seinem Werk die verdiente Aufmerksamkeit und Würdigung geschenkt. Heute zählt Soutter zu den wichtigsten Vertretern der Art brut. Hermann Hesse widmete dem Künstler ein Gedicht, über dessen Leben und Schaffen Lukas Hartmann in seinem jüngsten Roman „Schattentanz“ auf eine informative, aber auch berührende Art und Weise erzählt.
Doppelbegabung – Fluch oder Segen?
Auslöser, sich Soutter zu widmen, war eine Ausstellung, die Hartmann im Jahr 2002 im Kunstmuseum Basel besucht hatte und die ihm „eine Art künstlerisches Offenbarungserlebnis“ brachte, wie der Schweizer Autor in einem Nachwort zu seinem Buch schreibt. Mehrere Jahre beschäftigte er sich intensiv mit seinem Landsmann, dessen Biografie und Doppelbegabung. Denn vor dem Sohn eines Apothekers, in Morges im Kanton Waadt geboren, stand zu Beginn eine vielversprechende musikalische Karriere als Geiger, vor allem gefördert von seiner Mutter, die sowohl ihren Sohn Louis als auch die Tochter Jeanne die Musik nahe brachte. Zwischen beiden Geschwistern bestand eine enge Beziehung; auch nachdem Louis nach seiner gescheiterten Ehe mit der amerikanischen Musikerin Madge Fursman und einem mehrjährigen Aufenthalt in deren Heimat wieder in die schweizerische Heimat zurückgekehrt war.
Soutters Leben war ein Leben voller Konflikte und der leidenschaftlichen Hinwendung zur Kunst. Das zeigt Hartmann in seinem Roman klar auf. Dabei stellt sich immer wieder auch die Frage, inwieweit die Doppelbegabung des Künstlers Fluch oder Segen war oder vielleicht sogar beides. Deutlich wird darüber hinaus, wie Soutter zerrieben wird zwischen den Ansprüchen seiner Familie und seinem Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ohne sich stets für sein Schaffen und seinen exzentrischen Lebensstil rechtfertigen zu müssen. Zwangsweise wurde er von seiner Familie unter die Aufsicht eines fremden Vormundes gestellt, weil es ihm nicht gelang, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen.

Er blieb ein Außenseiter, ein Mensch, der belächelt und verspottet wurde. Ob es die eigene Familie oder die Bewohner und Mitarbeiter in jenen Einrichtungen waren, in denen Soutter über lange Zeit lebte. Die Zahl jener, die die Größe seines Schaffens schon zu Lebzeiten des Künstlers zu würdigen wusste, war überschaubar. Wie jenes vermögende Ehepaar, das ihn dann und wann aus der Enge des Altersheims holte, oder wie der französische Schriftsteller Jean Giono, der ihn im Altersheim besuchte. Sein Cousin, der Architekt Charles Edouard Jeanneret, besser bekannt als Le Corbusier, wendete sich von ihm ab und erkannte erst, als er nach Soutters Tod die Werke sortierte, die Kraft der Figuren, die der Künstler auf Papier gebracht hatte – zuletzt in einer archaischen, körperbetonten Weise nur mittels Finger und Tusche.
„Und wenn er manchmal dachte, was hier entstehe, sei ein endloser Totentanz, war es zugleich eine Feier des Lebens, der Lebensgier, denn gegen das Sterben rebellierte alles in ihm.“
Hartmanns episodenhafter Roman ist ein facettenreiches Porträt des Künstlers sowie seiner Zeit. Sein künstlerisches Streben wird ebenso wie seine speziellen Vorlieben beschrieben. Soutter wanderte ausgiebig, verweigerte das Essen, deckte sich aber beim Dorfmetzger mit Grieben ein. Akribisch las er Zeitung, verfolgte so die politischen Ereignisse. Schlaglichtartig werden zudem die prägenden historischen Marksteine erwähnt, die dessen Leben begleitet haben. Vor allem das Erstarken des Faschismus in Deutschland und Italien, dessen dunkle Folgen Soutter früh erahnte und weshalb es über die künstlerischen Differenzen hinaus schließlich zum Bruch zwischen seinem berühmten Cousin kam, der mit Hitler und Mussolini sympathisierte.
Dominanz der Frauen
Jedes Kapitel ist mit dem Namen einer Person überschrieben, allerdings ist nicht jedes Kapitel wirklich aus dessen Perspektive geschrieben, was ich ein wenig bedauert habe. Oft stellt es vielmehr nur jene Figur in einer Szene näher vor. Zuletzt sind es die Erinnerungen, die Soutter umtreiben. Die Gedanken und Gefühle an und für seine Schwester, die Dominanz der Mutter und seiner Frau sowie die letzten Begegnungen mit seinem Mentor, dem Musiker Eugène Ysaÿe, und seinem alkoholkranken Bruder, der nach dem Tod des Vaters die familieneigene Apotheke übernommen hatte.
„Schattentanz“ ist ein eindrücklicher, sprachlich virtuoser und dicht gestrickter Roman über den Künstler in der Gesellschaft, die für dessen Werk noch nicht reif genug war. Ein bekanntes Schicksal, das Soutter wohl mit anderen berühmten Kollegen teilte. Hartmanns Buch weckt darüber hinaus das Interesse für diesen Maler, dessen Name dem Leser in Erinnerung bleiben wird. Heute verteilt sich das Œuvre des Schweizers auf mehrere Museen und Galerien. Nach einer Schau in Paris im vergangenen Jahr sind seine Werke in einer aktuellen Ausstellung in der Galerie Karsten Greve in Köln anlässlich des 150. Geburtstags des Künstlers zu sehen.
Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog „arcimboldis world“.
Lukas Hartmann: „Schattentanz. Die Wege des Louis Soutter“, erschienen im Diogenes Verlag, 256 Seiten, 24 Euro
Fotos von Katrin Hauf auf Unsplash sowie Wikipedia