„Das Leben fängt uns immer wieder ein.“
Er will ins Hotel, sie ein Häuschen. Beziehungen sind schon an kleineren Unstimmigkeiten gescheitert. Ihre wird halten, sogar dunkle Zeiten überstehen – und eben diese Meinungsverschiedenheit. Helen und Kurt Wolff haben sich in die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts eingeschrieben – als eines der angesehensten Verlegerpaare. Gemeinsam haben sie zahlreichen europäischen Autoren den verlegerischen Weg nach Amerika geebnet, nachdem sie selbst ihre Heimat verlassen haben, nach Hitlers Machtergreifung geflohen waren. Doch Helen Wolff, 1906 als Helene Mosel im mazedonischen Skopje geboren, hat auch geschrieben, was zu ihren Lebzeiten nur wenige wussten. Denn sie selbst hatte ihre eigenen Werke für kaum beachtenswert gehalten. Ihre Großnichte Marion Detjen, Historikerin und Publizistin, hat Wolffs autobiografisch geprägten Roman „Hintergrund für Liebe“ im Weidle Verlag herausgegeben und mit einem ausführlichen Essay versehen. Und das ist ein großes Glück und zugleich eine besondere Leseerfahrung.
südliche Leichtigkeit
Eine junge Frau, zugleich die Erzählerin, und ihr 20 Jahre älterer Partner haben Deutschland verlassen, in einer Zeit, in der die Grundlage für das spätere Grauen bereits gelegt ist. Ihr Weg führt sie über die Schweiz nach Frankreich. Grenoble, Nizza und Monte Carlo sind Stationen, bis sie nach Saint Tropez gelangen. Ihre Wege trennen sich. Sie entdeckt für sich ein kleines Häuschen. Der Hausrat ist schnell zusammen, sogar ein kleines Kätzchen zieht bei ihr ein. Schnell findet sie Anschluss. Vor allem Wolf, ein junger Mann, der malt, hilft ihr beim Ankommen. Er ist Freund, Ratgeber, Leitwolf, der die Gruppe zusammenhält, zu der auch Marianne gehört, die ihren Mann wegen seiner Eskapaden verlassen hat. Tage und Wochen vergehen. Sie genießt das wenn auch einfache, auf wenige Dinge reduzierte Leben in einer berauschenden Mittelmeer-Kulisse und umgeben von einer südlichen Leichtigkeit. Bis er plötzlich vor ihrer Tür steht…
Der schmale, 1932/33 verfasste Band vereint die Erlebnisse Wolffs von mehreren Touren nach Südfrankreich mit ihrem späteren Mann Kurt, den sie während eines Praktikums in dessen Verlag kennengelernt hatte und 1933 heiratete. Der Roman zeichnet eine ganz eigene Atmosphäre aus, die zwischen Lebensfreude und Anspannung pendelt. Denn zwischen die trotz der Trennung eher gelöste Stimmung mischen sich Gedanken an die drastischen politischen Veränderungen in der Heimat. „Hintergrund für Liebe“ kann wohl deshalb auch aus verschiedenen Perspektiven heraus gelesen und betrachtet werden – er kann als sinnlicher Südfrankreich-Roman, in dem die Wärme, Farben und Gerüche regelrecht zu spüren sind, als Buch über eine Frau, die sich nach Unabhängigkeit sehnt und ihren eigenen Weg gehen will, oder als Werk künftiger Exilanten angesehen werden, in dem ihre spätere Flucht vorgezeichnet ist.
„Vielleicht gibt es das nicht, was sie bei uns zu Haus Vaterländer nennen, vielleicht sind Grenzen Willkür und werden deshalb so oft verschoben, hier wie dort – aber dies gibt es: Himmelsstriche, sanftere und strengere, rauhe und milde, und solche, die uns Menschen gütig sind.“
Die Wolffs verließen Deutschland nicht unbedingt, weil sie es mussten, sondern weil sie es wollten. Zuerst in Italien und Frankreich, wo Kurt Wolff auch einige Zeit interniert war, erreichten sie 1941 die USA. Ein Jahr später gründeten sie in New York den Verlag Pantheon Books. Mit dem von ihnen initiierten Imprint „Helen and Kurt Wolff Books“ im Harcourt-Verlag machten sie europäische Autoren in Übersee bekannt, wie Max Frisch, Günter Grass, Uwe Johnson, Umberto Eco, Julien Green und viele weitere. Johnson widmete sein Monumentalwerk „Jahrestage“ sowohl Peter Suhrkamp als auch Helen Wolff, die mit ihrem Mann Kurt auch Eingang in das wunderbare Zeit-Panorama „Liebe in Zeiten des Hasses“ von Florian Illies gefunden hat. Sie erhielt 1977 den Verlegerpreis des US-amerikanischen PEN. Das Exil-Archiv des Deutschen Literaturarchivs Marbach trägt den Namen von Kurt und Helen Wolff.
2007 im NAchlass entdeckt
In ihrem sehr interessanten und erhellenden Essay, der nahezu so umfangreich wie das Werk selbst ist, erzählt Marion Detjen – ihre Großmutter war die Schwester von Helen Wolff -, wie das Manuskript, das eigentlich auf Wunsch der Verfasserin vernichtet werden sollte, in die Öffentlichkeit gelangen konnte. Der Text fand sich 2007 in einem Umschlag im Nachlass, den Wolffs Sohn Christian besitzt. Obwohl in anderen Verlagen bereits angekommen, wurde der Roman trotz Korrekturen und Änderungen vor allem aufgrund der damaligen Lage nie veröffentlicht. Die dem literarischen Anspruch verpflichtete Verlegerin, die bereits im Verlag ihres späteren Mannes wichtige Aufgaben als Übersetzerin und Lektorin übernommen hatte, zweifelte an ihren eigenen schriftstellerischen Fähigkeiten, die sich allerdings in einigen autobiografischen Texten niederschlugen; ein Genre, das sie eher abschätzig betrachtete.
„Hintergrund für Liebe“ ist knapp 90 Jahre nach seiner Entstehung schließlich erschienen. Mit der Veröffentlichung blieb zwar der letzte Wunsch der Autorin unerfüllt, allerdings gibt es hinsichtlich der Einschätzung ihres Schreibens wohl nunmehr einige, die ihr sicherlich widersprechen werden. Denn der Roman ist sowohl ein sinnliches wie weises Buch als auch Zeitzeugnis, für dessen Erscheinen man sehr dankbar sein kann.
Eine weitere Besprechung gibt es jeweils auf den Blogs „Fräulein Julia“ und „Leseschatz“.
Helen Wolff: „Hintergrund für Liebe“, erschienen im Weidle Verlag; 216 Seiten, 20 Euro
Foto von Michael Kroul auf Unsplash
Leider auch noch nicht gelesen…
Könnte mir aber gefallen!
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