Susan Glaspell – „Die Rose im Sand“

„Wenn man gegen etwas kämpft, das größer ist als man selbst, erkennt man bloß, wie klein man ist.“

Während in Übersee die Kurzgeschichte als literarisches Genre beliebt und angesehen ist, hat es die kleine Schwester des Romans hierzulande sichtlich schwer beim Lesepublikum. Doch nach und nach scheint sie allmählich mehr und mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Oft auch in Verbindung mit Wiederentdeckungen, die in den vergangenen Jahren über den großen Ozean nach Europa geschwappt sind. Susan Glaspell (1876-1948) zählt zu den einst berühmten Autorinnen der USA. 1931 erhielt sie für ihr Stück „Allison’s House“ den renommierten Pulitzer-Preis verliehen. 

Erstmals ins Deutsche übertragen

Sie war als Leiterin einer Theatergruppe erfolgreich, schrieb Dramen, Romane und eben auch Kurzgeschichten, die in zahlreichen Zeitungen und Magazinen veröffentlicht worden sind. Mit „Lifted Masks“ erschien 1912 ein erster Band mit Kurzerzählungen. Mit „Die Rose im Sand“ erinnert nun Übersetzer Henning Borchert an die indes auch in ihrer Heimat mittlerweile vergessene Autorin. Der von ihm herausgegebene, im Schweizer Dörlemann Verlag erschienene Band versammelt zehn Stories, die in den Jahren zwischen 1903 und 1927 in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften sowie in den eingangs erwähnten Band zu finden waren und nun erstmals ins Deutsche übertragen worden sind.

Rose

Das harmonische Bild einer Wildrose auf dem Cover täuscht über den Inhalt, obwohl die letzte Kurzgeschichte dem Band auch seinen Namen verleiht und darin der Pflanze eine besondere Bedeutung zukommt. In nahezu allen Texten geht es um Konflikte, um Menschen, die mit den unterschiedlichsten Herausforderungen zu kämpfen haben, die noch um ihren Platz im Leben ringen oder ihn verteidigen müssen oder auch einen gesellschaftlichen Abstieg erleben. „Dem Anarchisten sein Hund“ erzählt die Geschichte von Stubby, der als Zeitungsausträger seine Familie finanziell unterstützt. Der eher zerknirschte Junge macht während einer seiner Touren die unverhoffte Bekanntschaft mit einem Hund: Hero. Um die Hundesteuer, die für ihn sehr viel Geld bedeutet, zu bezahlen und damit den Vierbeiner zu behalten, schuftet er. Doch es reicht nicht.

„(…) kommt diese Wildrose, eine Botin. Blühte da im Sand, allein und unverzagt, fragil und entschieden. Das gesamte Draußen vermochte sie nicht einzuschüchtern, denn hinter ihr stand etwas Mächtigeres als das Draußen. Hinter ihr stand der Wille zu wachsen. Hinter ihr stand das Leben.“

„Der Direktor von Crystal Sulphur Springs“ erzählt von Mr. Groves, der einst vermögend war, nun aber als alter und kranker Mann in seinen Heimatort zurückkehrt. Sein einstiges Anwesen ist mittlerweile ein Armenhaus. „In der Gnadengesuch“ müssen die Senatoren über das Schicksal eines Jungen, der einst seinen Vater und seine Stiefmutter getötet hatte, entscheiden. Beide hatten das Kind auf entsetzliche unmenschliche Art und Weise misshandelt.

Immer wieder richtet Glaspell den Fokus auf die einfachen Menschen, ihre widrigen Lebensumstände und ihre Schicksale, aber auch ihre großen wie kleineren Erfolge. Ihre journalistische Arbeit wird ihr dabei wohl förderlich gewesen sein. „Freckles McGrath“ berichtet vom gleichnamigen Fahrstuhljungen, der mit seiner auf den ersten Blick eintönigen Arbeit indes Einfluss auf eine folgenreiche Entscheidung der Senatskammer hat. Es geht um ein Gesetz, das die Macht der Eisenbahngesellschaften begrenzen soll. Glaspells Kurzerzählungen zeichnen ein Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft mit ihren Entwicklungen und Erscheinungen, die maßgeblich Einfluss auf die Menschen haben. Immer wieder widmete sie sich auch der Rolle der Frau. So erzählt „Eine Jury aus Ihresgleichen“ von einer Frau, die unter Verdacht steht, ihren Mann getötet zu haben. Während eine Nachbarin in deren Haus die gewünschten Sachen für die Haft zusammensucht, denkt sie über das Leben der Verdächtigen nach.

Preisgekröntes Stück über Emily Dickinson

Glaspell, 1876 in Davenport/Iowa geboren, arbeitete nach ihrem Studium als Reporterin für die Tageszeitung „Des Moines Daily News“. Wenig später begann sie mit dem literarischen Schreiben. 1908 erschien ihr Debütroman „The Glory of the Conquered“. Mit ihrem Ehemann Georg Cram Cook gründete sie 1915 die Theatergruppe „The Provincetown Players“. Mit einer Vielzahl an Stücken wurde sie zunehmend bekannter. 1930 schrieb sie mit „Allison’s House“, das vom Leben der Lyrikerin Emily Dickinson handelt, ihr bekanntestes Theaterstück und erhielt für dieses 1931 den Pulitzer-Preis für Theater – nach Zona Gale als erst zweite weibliche Preisträgerin überhaupt.

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Susan Glaspell, 1894, Fotograf unbekannt

In den 1930er-Jahren zog sie sich für eine gewisse Zeit als Schriftstellerin zurück, ehe drei weitere Romane erschienen. 1948 starb Glaspell in Provincetown/Massachusetts. Mittlerweile zählt sie in ihrer Heimat zu den vergessenen Autorinnen und Autoren. In den „1950ern von den Kritikern geradezu ausgelöscht“, seien um 2000 herum „keiner ihrer Romane im Druck erhältlich“ gewesen, wie Übersetzer und Herausgeber Henning Borchert in seinem Nachwort betont.

Für das Schreiben von Short Stories braucht es die Konzentration auf das Wesentliche, der Blick für das Spezielle. In jenen kurzen Texten werden nicht nur die Figuren in ihrem aktuellen Dasein und in besonderen Situationen porträtiert. Immer wieder werden auch gesellschaftliche wie soziale Themen und Konflikte behandelt. Kurzgeschichten zeichnen sich durch eine literarische Verdichtung auf engstem Raum aus. Und Susan Glaspell ist eine Meisterin dieses Genres. Ihre Texte fesseln ob überraschender Wendungen und markanter Charaktere, ab und an amüsieren sie auch. Wer ihre Short Stories liest wird sowohl einen leisen Humor als auch eine bewundernswerte Empathie für ihre Figuren ausmachen.

Jeder Leser wird wohl seine Lieblingsgeschichten in diesem Band finden, die eine oder andere Erzählung mehrmals lesen oder Figuren nicht aus den Kopf bekommen. Dass Susan Glaspell mit diesem Band nun auch hierzulande gelesen und entdeckt werden kann, ist ein großes Glück. Vielleicht gibt es ja auch demnächst einen ihrer Romane in deutscher Übersetzung. Denn eine solche Wiederentdeckung sollte die Zeit erhalten, eine nachdrückliche Wirkung zu erlangen.


Susan Glaspell: „Die Rose im Sand. Stories“, erschienen im Dörlemann Verlag, herausgegeben, mit einem Nachwort versehen und aus dem Amerikanischen übersetzt von Henning Borchert; 288 Seiten, 26 Euro

Foto von Waldemar auf Unsplash

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