„Setze dein Narrativ als Kanon, und du hast der Zeit den Tod abgeluchst, solange sich Menschen an das Narrativ erinnern.“
Gibt es Parallelzeiten, eine Welt oder mehrere Welten neben unserer? Wissenschaftler und Philosophen diskutieren schon seit Längerem darüber – und über die Möglichkeit von Zeitreisen. Ein faszinierendes Thema, das sich immer wieder in Romanen wie auch Filmen finden lässt. Die britisch-kambodschanische Autorin Kaliane Bradley führt in ihrem Romandebüt „Das Ministerium der Zeit“ sowohl in die baldige Zukunft als auch in die Vergangenheit.
Fünf Männer und Frauen aus der Vergangenheit
Die namenlose Heldin und zugleich Ich-Erzählerin wechselt vom Verteidigungsministerium in das sogenannte Ministerium der Zeit, dem es gelungen ist, fünf Menschen aus der Vergangenheit und unterschiedlichen Jahrhunderten in die Gegenwart zu holen. Alle sogenannten Expats haben eines gemeinsam: Sie werden aus ihrer düsteren Zeit und einer gefährlichen Situation gerettet: eine Frau aus Zeit der großen Pest in London, zwei Männer aus verschiedenen Kriegen, eine weitere Frau aus Robespierres Terrorherrschaft im Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts und ein Royal-Navy-Offizier aus der unerbittlichen Kälte der Arktis. Im Ministerium werden sie nach dem Jahr ihrer Herkunft benannt.
Graham Gore ist Teilnehmer der Franklin-Expedition, die in einer Tragödie enden wird. Die beiden Schiffe „Erebus“ und „Terror“ stachen im Mai 1845 in See, um die legendäre Nordwestpassage zu finden. Die Expedition leitet der bekannte Polarforscher Sir John Franklin. Keiner der insgesamt 133 Teilnehmer wird je heimkehren. Sieben Jahre nach der Reise werden alle Männer für tot erklärt. Die Überreste der Schiffe werden erst 2014 und 2016 entdeckt. Gore wird nun aus der Vergangenheit, aus dem Jahr 1847, geholt. Die junge Frau soll sich um ihn kümmern, sie und Gore beziehen ein gemeinsames Zuhause, leben Seite an Seite in einer Art Wohngemeinschaft.
Jeder der Zeitreisenden, die zudem regelmäßig auf Herz und Nieren untersucht und auch psychologisch betreut werden, hat einen Begleiter, eine sogenannte Brücke, an seiner Seite. Denn ein Zeitsprung hat Folgen: Nicht nur staunen die Menschen aus der Vergangenheit über moderne Errungenschaften; Reißverschluss, die Toilettenspülung, TV und Spotify sorgen für eine besondere Erfahrung. Die Welt ist eine andere geworden – nach zwei Weltkriegen und dem Holocaust. Die Erde und ihre Bewohner sind der Klimakatastrophe und Naturzerstörung ausgeliefert. Und auch die Sprache hat sich gewandelt.
Brücke und Expat werden ein Paar
Doch mit der Zeit beschleicht die Heldin ein gewisses Unbehagen. Sie wird skeptisch, fragt sich nach dem Sinn, Ziel und den wahren Strippenziehern des Projekts. Eines Tages taucht ihr Vorgesetzter, der Handler Quentin, ab und verschwindet spurlos. Ihre Gedanken sind und bleiben vor allem bei ihrem Expat, denn sie und Gore, ein Gentleman alter Schule, zuvorkommend und wissbegierig, rundum ein charismatischer wie sympathischer Held, kommen sich näher. Sie werden ein Paar, doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Denn die Männer und Frauen aus der Vergangenheit, die teils zu Freunden geworden sind, und das Zeitreisen-Projekt sind in Gefahr …
„Eine der vielen Hypothesen, die sich in den frühen Tagen der Zeitreisen abzeichneten, war, dass die Sprache die Erfahrung formt – dass wir die Welt nicht einfach mit der Sprache beschreiben, sondern dass wir die Welt mit der Sprache erschaffen (…).“
Bradleys Roman, angesiedelt im Großbritannien der nahen Zukunft, ist eine Art Wundertüte, prall gefüllt und voller Überraschungen. Eine ganze Menge an Themen hat die Autorin in ihr sprachlich gelungenes Debüt gepackt: In den Gedanken ihrer Heldin, die ebenfalls kambodschanische Wurzeln hat, und ihres Schützlings Gore verhandelt sie Fragen zu Migration und Identität, beschreibt die Schwierigkeiten des Anpassens an eine fremde Kultur.

Darüber hinaus geht es um die Verantwortung des Menschen für den Planeten, Rassismus-Erfahrungen und die verschiedenen Geschlechterrollen im Laufe der Geschichte. Das überaus komplexe Buch ist mal Science-Fiction, mal Spionage-Thriller, mal historischer Roman und Dystopie. Der Autorin gelingt dabei eindrucksvoll der Spagat zwischen skurrilen humorvollen Szenen und der ernsthaften Auseinandersetzung mit den verschiedenen Themen und der spannenden Frage, ob wir mit Hilfe von Zeitreisen spätere Geschehnisse verändern können. Reichlich Melancholie schwingt da auch mit. Ein Strang führt in die kanadische Arktis und die Zeit der Franklin-Expedition, der mir fast etwas zu kurz geraten erschien.
Ein überdrehtes Ende
Im letzten Drittel jedoch verliert Bradley diese Fäden, das große komplexe Ganze etwas aus dem Blick und konzentriert sich auf die Liebesbeziehung zwischen der Heldin und Gore, die etwas ausufernd gerät. Auch das Ende und die Auflösung all der Fragen, welches Ziel mit den Zeitreisen verfolgt wird und wer das Projekt letztlich in Gefahr bringt, wird überhastet abgehandelt und wirkt allzu überdreht.
Bradley, als Tochter eines Briten und einer kambodschanischen Mutter in East-London geboren, studierte englische Literatur in London. Ihre Kurzgeschichten sind in verschiedenen Magazinen erschienen. Mit ihrem Debüt „Das Ministerium der Zeit“ war sie nominiert für den Women’s Prize for Fiction und für den British Book Award. Dazu inspiriert hat sie eine TV-Serie über das Expeditionsschiff „Terror“. Aktuell arbeitet sie an einem neuen Roman, der sich mit griechischer Mythologie beschäftigen wird. Trotz der Mankos in ihrem Erstling kann man wohl gespannt sein auf diese kommende Zeitreise.
Kaliane Bradley: „Das Ministerium der Zeit“, erschienen im Penguin Verlag, in der Übersetzung aus dem Englischen von Sophie Zeitz; 384 Seiten, 24 Euro
Foto von Zulfa Nazer auf Unsplash



Kaliana Bradleys Roman ‚Ministerium der Zeit‘ bietet eine faszinierende Mischung aus Geschichte, Philosophie und Science-Fiction. Die Idee, Menschen aus verschiedenen Epochen in die Gegenwart zu bringen, eröffnet spannende Perspektiven auf Zeitreisen und deren Auswirkungen. Besonders beeindruckend ist die gelungene Verbindung von historischen Ereignissen mit einer packenden Erzählung, die zum Nachdenken über die Natur der Zeit anregt. Вывоз строительного мусора Минск
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