Strom des Lebens – John Williams "Stoner"

„Die Welt fand wieder zu sich selbst.“ 

Er verlässt die bereits ausgetretenen Pfade. Von den Eltern an die Universität geschickt, um Landwirtschaft zu studieren, später die recht armselige Farm zu übernehmen und ein hart arbeitender Bauer zu werden, vollzieht William Stoner eine Kehrtwende zur Überraschung seiner Eltern. In den ehrwürdigen Räumen der Universität Missouri macht er Bekanntschaft mit der Literatur, die zur Liebe seines Lebens werden und ihn bis zu seinem Tod begleiten wird.

Liest man die biografischen Daten von John Williams im Klappentext seines Romans „Stoner“, der, 1965 erstmals veröffentlicht, nun als Wiederentdeckung gefeiert wird, fragt man sich, wie viel des Helden ist in dem Autor selbst, da John Williams ebenfalls an der Universität Missouri in Englischer Literatur promovierte und später als Dozent tätig war. Doch jene Fragen nach den autobiografischen Spuren sind müßig und lenken oftmals vom eigentlich Stoff eines Buches ab, vor allem von dessen Helden. Und Stoner ist ein Held, nicht nur im literarischen Sinne gemeint.

Nach seinem Studium wird er von seinem charismatischen Doktorvater Sloane als Dozent an die Universität berufen. In diese Zeit fällt ein schmerzlicher Verlust, der sich in Stoners Seele eingräbt: der Tod seines Freundes Dave Masters, der während des Ersten Weltkrieges kurz nach der Ankunft in Europa getötet wird. Stoner zieht es nicht in den Krieg – in wohlweislicher Vernunft angesichts des verherrenden Gemetzels in den Schützengräben. Stoner lernt schließlich seine spätere Ehefrau Edith kennen, die Ehe bleibt frostig, selbst die Geburt der kleinen Grace ändert nichts daran, dass beide ein Leben auf Abstand führen. Stoners einziges Heil und Ausflucht ist sein Beruf als Literaturlehrer. Er gräbt sich ein in die Arbeit, in die Korrektur von Seminararbeiten und in die Lektüre von Fachbüchern und Quellen. In der Hochschule in einem seiner Kurse lernt er schließlich Katherine, eine Doktorandin, kennen, eine leidenschaftliche Affäre beginnt, die Stoner jedoch hinabreißen wird: Lomax, sein Gegenspieler und ebenfalls Dozent an der Uni, versucht mit allen Mitteln Stoner zu komprimittieren.

Doch Stoner bleibt Stoner: ein Fels in der Brandung – weder die ehelichen Erschütterungen und kleinen Attacken seiner Ehefrau noch Lomax‘ Intrigen oder seine eigenen Selbstzweifel, ein guter Lehrer zu sein, bringen ihn aus dem Takt. Er geht seinen Weg. Bis zu seinem Ende bleibt er sich treu. Es ist dabei nicht nur diese charismatische Figur des Stoner, die den Leser beeindruckt. Obwohl sicherlich nur eingefleischte Literaturfans Stoners Leidenschaft für alles Schriftliche und die große Kunst der Worte – das nahezu Leben und Wohnen in Literatur – wirklich nachvollziehen können. Es ist auch John Williams Konzentration auf den Strom des Lebens, auf einzelne Lebensetappen und Schicksalsschläge, Begegnungen und Fehlschläge, die diesen Roman zu einem großen werden lassen. Williams schreibt sehr atmosphärisch. Viel Raum lässt er sowohl für Beschreibungen der Figuren als auch für die Landschaft und Gebäude, zudem verknüpft er die weltgeschichtlichen Ereignisse wie die beiden Weltkriege und die Wirtschaftskrise mit dem Leben der Protagonisten. Wie der Amerikaner die Leidenschaften Stoners für Bücher, die besondere Liebe zu Katherine sowie seinen späteren Tod beschreibt, ergreift und erschüttert. Große Literatur ist nicht seichte Unterhaltung, sie macht das Leben mit all seinen Fragen und Ängsten, seinem eigentlich inneren Kern, deutlich und schmerzt ungemein.  Und das soll sie auch.

Die Wiederentdeckung dieses Romans ist ein großes Geschenk. Auch wenn John Williams (1922 – 1994) diesen Welterfolg nicht mehr erleben kann. Leider scheint dies oft das Schicksal großer Autoren zu sein.

Der Roman „Stoner“ von John Williams erschien im Deutschen Taschenbuch Verlag, in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben.               
352 Seiten, 19,90 Euro

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