
Nach den Jahren im Gefängnis kehrt er zurück. Jonas Wergeland, die berühmteste Fernsehgestalt Norwegens. Mit seiner Serie „Groß denken“, in denen er die bekanntesten Personen seines Heimatlandes – von Amundsen bis Ibsen – porträtiert hat, bannte er mit jeder Sendung eine ganze Nation an den Fernsehschirm. Nun ist er in Vergessenheit geraten. Unschuldig hat er im Gefängnis ausgeharrt, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Er nahm die Schuld für den Tod seiner Frau Margrete auf sich, die sich mit der Pistole das Leben nahm. Unerkannt reist er nun mit seiner Tochter auf einem Schiff den Sognefjord entlang.
Doch diese Fahrt entlang der idyllischen Westküste Norwegens auf einem umgebauten Seerettungskreuzer ist auch eine Reise in das Leben der Fernsehberühmtheit und bildet zudem den Rahmen des dritten und abschließendes Bandes der Trilogie rund um Jonas Wergeland. Autor Jan Kjærstad, einer der profiliertesten und anerkanntesten Schriftsteller Norwegens, gelingt es erneut, auf eindringliche Weise wie seine erschaffene Gestalt Wergeland die Aufmerksamkeit auf eine Lebensgeschichte zu lenken. Erzählt werden neben der Tour in die Seelenlandschaft der Norweger Episoden aus der Kindheit Wergelands,von der Freundschaft zu Bo Wang Lee und zu Leonard, vom Tod seines Vaters sowie vom Glück und dem Scheitern einer besonderen Beziehung, die den erfolgreichen Moderator mit Margrete, Diplomaten-Tochter und Ärztin, verband.
Es ist schwer, diese Geschichte oder vielmehr diese zahlreichen bunten Geschichten rund um alltägliche wie skurrile Personen einzeln und vollständig nachzuerzählen, denn einen einzigen roten Faden, der sich durch alle Kapitel zieht, gibt es nicht. Nicht nur tauchen neben Jonas Wergeland selbst noch weitere Erzähler auf, die von dessen Lebensstationen berichten. Die Handlung springt immer wieder zwischen den verschiedenen Zeiten hin und her. Kein Fluss, sondern vielmehr ein farbenprächtiges Mosaik entsteht, das als großes und ganzes Bild ein Wesens-Porträt Wergelands bildet. Es entsteht der Eindruck, als entstehe vor dem Auge des Lesers ein Film, der mit den Mitteln der Überblendung und schnellen Schnitten arbeitet. Wergeland erscheint als Verführer, als Eroberer und als Entdecker – so heißen auch die einzelnen Bände der Trilogie -, der kaum Grenzen kannte, schon frühzeitig wusste, dass er zu etwas Besonderem auserkoren war. Sein gesellschaftlicher Absturz nach dem Tod seiner Frau ist für ihn indes ein Neuanfang und eine Suche nach dem Grund für den Freitod Margretes.
Dieser ungeheure und an vielen Stellen berührende Gedankenstrom, so voller Weisheit und Selbsterkenntnis, macht diesen Roman nicht nur zu einem würdigen Abschluss einer meisterlichen Trilogie. Er zeigt einmal mehr, welches Potenzial an hervorragender Literatur in Norwegen steckt. Dass Kjærstad für sein Werk den renommierten Preis des Nordischen Rates erhalten hat, ist nur logische Konsequenz. Selbst wenn er in diesen Bänden auch immer seinen Landsmannen den kritischen Spiegel vorhält, an vielen Stellen auf jene für ihn unverständliche Kluft zwischen Norwegen als (neu)reiches Land und die Abschottung gegenüber dem Rest der Welt verweist. Nicht nur diese Gesellschaftskritik verleiht dem Roman eine thematische Tiefe. Immer wieder finden sich interessante Verweise auf die Kultur und die Geschichte des skandinavischen Landes, die das Werk nicht nur zu einem Lese-Erlebnis, sondern auch zu einer wissensvermittelnden Lektüre machen.
„Der Entdecker“ von Jan Kjærstad erschien unter anderem 2006 im List-Verlag als Taschenbuch, in der Übersetzung aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Der Roman gilt im Buchhandel heute als vergriffen. Im Internet gibt es Möglichkeiten, das Buch antiquarisch zu erwerben.