„Man konnte von seiner Besessenheit ablassen, interessant sein zu wollen. Die Definition, auch das wusste sie, änderte sich sowieso und hatte es auch für sie getan.“
Es ist der Sommer ihres Lebens, der sie zusammenbringt – für die folgenden Jahre und Jahrzehnte. Die sechs Jugendlichen Ethan, Ash, Jules, Cathy, Goodman und Jonah lernen sich in dem Feriencamp „Spirit in the Woods“ in Massachusetts kennen. Es ist ein Camp voller Kunst und Kultur, in dem die Jugendlichen ihre besonderen Talente aufspüren und sich ausprobieren können – im Tanz und Theater, in Musik und dem Zeichnen. Das Sextett, das sich den Namen „Die Interessanten“ gegeben hat, wird schließlich trotz ihrer verschiedenen Mitglieder zu einer eingeschworenen Gemeinschaft, die Freundschaft und Liebe erlebt und in dieser Zeit die Basis für den späteren Zusammenhalt legt, obwohl nicht jeder vom Glück des Lebens verfolgt wird, jeder seine eigenen Bahnen zieht. Nie bleibt ein Teil der Gruppe im Strudel des Lebens zurück. Immer hat einer der sechs Kontakt zu einem anderen. Selbst wenn sie schon in die Mittfünfziger angekommen sind.
Die Amerikanerin Meg Wolitzer legt mit ihrem Roman „Die Interessanten“ ein umfangreiches Werk vor, doch die 1959 auf Long Island geborene Autorin hat auch sehr viel zu berichten. Ein Leben benötigt Zeit, um erzählt zu werden. So begleitet der Leser das bunte Sextett durch die Jahre. Im Zentrum steht Jules, die bereits als Jugendliche ihren Vater verloren hat und mit Hilfe des Camps aus dem behäbigen Alltag mit Mutter und Schwester ausbrechen will. Ihr Ziel ist es, Schauspielerin zu werden, was ihr indes nicht gelingt. Diesen besonderen Weg schlägt ihre Freundin Ash ein, die es schafft, die Bühne zu erklimmen. Sein besonderes Talent, Cartoons zu zeichnen, bringt vor allem Ethan auf die Siegerstraße, der Schöpfer einer beliebten Fernsehserie wird. Dagegen gelingt es Jonah als Sohn der Folklegende Susannah Bay nicht, seine musikalische Gabe auszuschöpfen. Allzu sehr plagen ihn die Kindheitserlebnisse, bei denen er von dem verkommenen Musiker Barry mit Drogen zugedröhnt und um später erfolgreiche Lieder gebracht worden war. Goodman und Cathy, in jungen Jahren ein Paar, geraten nahezu aus dem Blickfeld, als Goodman unter Verdacht steht, Cathy vergewaltigt zu haben.
So vergeht die Zeit, erleben die sechs Protagonisten den Alltag aus Beruf und Familie. Jules ist derweil eine erfolgreiche Psychotherapeutin und lebt mit Dennis, einem Ultraschall-Techniker, ein unaufgeregtes Leben, während Ethan und Ash als glamouröses Paar in der Jetset-Welt New Yorks eintauchen. Jonah entwickelt sich zu einem erfolgreichen Konstrukteur. Allerdings wird der Erfolg und der Fluss des Lebens überschattet von den kleinen und großen Tragödien. Jules Mann Dennis leidet unter Depression. Bei Mo, dem Sohn von Ethan und Ash, stellen die Ärzte Autismus fest. Jonah erlebt das Scheitern seiner Beziehung mit dem aidskranken Robert. Abseits von den vier ist Goodman nach Island geflohen, um sich einer Verhaftung zu entziehen, wurde aus Cathy eine erfolgreiche Unternehmerin, bis auch sie die Anschläge vom 11. September persönlich treffen. So spielen auch immer politische und gesellschaftliche Ereignisse im Umfeld der Protagonisten eine Rolle. Zu Beginn der Vietnamkrieg und der Watergate-Skandal, über den Präsident Nixon stürzt, später erreichen der HIV-Virus und die Wirtschaftskrise Amerika. Die durch Globalisierung geförderte Kinderarbeit und Ausbeutung erlebt Ethan bei einem Besuch in einer indonesischen Fabrik, in der Merchandising-Produkte seiner mittlerweile weltweit erfolgreichen Serie hergestellt werden, leibhaftig.
Während zu Beginn die Begeisterung für das illustre Sextett und ihre jugendlichen Ideen vom Leben den Leser an den Roman fesselt, sind es später eben jene Tragödien und Herausforderungen des Alltags, die Wolitzers Werk so herausragend machen. Besonders geht der Roman der Frage nach der Rolle eines Talents im Leben des Einzelnen nach. Was vermag es wirklich? Was ist noch nötig, damit ein Mensch seine Gabe vollends ausschöpfen kann? Braucht es auch Geld, Beziehungen, eine renommierte Familie im Hintergrund, die die Fäden zieht?
Alle einzelnen Geschichten und Schicksale verdichten sich in dieser Frage. Aus dem Entwicklungsroman wird ein grandioser Gesellschaftsroman, der sich in die erfolgreichen Werke namhafter amerikanischer Autoren ohne Zweifel einreihen kann und sollte. Denn er bringt viele Themen und Bereichen zusammen, ohne die Psychologie der Helden zu vergessen. Denn gerade durch seine verschiedenen Seelendramen wird der Roman zu einem Lese-Erlebnis. Vor allem in der Figur der Jules wird der Zwiespalt zwischen dem Traum eines besonderen Lebens und die Enttäuschung über ein später alltägliches Dasein deutlich. Welche Wege wäre sie gegangen, hätte sie mit ihrer Schauspiel-Ausbildung den Sprung auf die Bühne geschafft oder wäre mit Ethan, der ihr schon im Camp sein Liebe gesteht, ein Paar geworden? Doch der Roman ist auch ein Buch über die Kraft der Freundschaft, über die Brücken, die sie immer wieder schafft, wenn die Bindung nahezu verloren geht. Auf den letzten Seiten des Buches, nach gut 40 Jahren im Leben der Charaktere, ist es gerade das Ende einer großen Freundschaft, das einen sehr emotionalen Schlusspunkt setzt und zu Tränen rührt. Denn auch der Tod ist Teil des Lebens.
PS: Einziger Wermutstropfen: die ärgerlichen Fehler im Text. Falsche Buchstaben können auch ganze Wörter verändern und damit den Lesefluss stören.
Der Roman „Die Interessanten“ von Meg Wolitzer erschien im Dumont Buchverlag Köln, in der Übersetzung aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence.
608 Seiten, 22,99 Euro
Ich habe bei den Interessanten – vielleicht leider – die Geduld verloren. Nach dem vierten Kapitel bin ich ausgestiegen. Hatte mir viel versprochen, war jedoch durch die Romane „Distelfink“ und die „Gierigen“ etwas übersättig von sehr weit ausholenden Geschichten.
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Schade, Thomas, dass du aus dem Buch ausgestiegen bist. Es war für mich dann gerade spannend, als die Jugendlichen erwachsen wurden und jeder seinen eigenen Weg gegangen ist. Da hat sich auch gezeigt, wie die Gesellschaft gespalten ist. Dass es welche gibt, die hoch hinaus gehen, und manche auf der Strecke bleiben. Im Übrigen hat mir der „Distelfink“ nicht so sehr gefallen, ich hatte nach dem ganzen Rummel, der die Veröffentlichung begleitet hat, viel mehr erwartet. Mir ging irgendwie die Drogengeschichte des Helden auf den „Geist“. Viele Grüße!
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