Hervé Le Corre – „Durch die dunkelste Nacht“

„Er war in Winkel vorgedrungen, in denen der Tod Chaos gesät hatte (…).“

Bordeaux. Die Weinhauptstadt Frankreichs. Unzählige Touristen flanieren durch die Altstadt oder unternehmen eine Flussfahrt auf der Garonne, den Atlantik in Reichweite. Wer den Roman „Durch die dunkelste Nacht“ des Franzosen Hervé Le Corre liest, wird diese idyllischen Bilder indes zur Seite schieben (müssen). Polizeikommandant Jourdan, Held des Romans, wird immer wieder mit den Folgen erbarmungsloser wie brutaler Gewalt konfrontiert. Und dann treibt auch noch ein Serienmörder sein Unwesen in der Stadt.

Ein desillusionierter Ermittler

Doch zuerst hat es Jourdan mit einem merkwürdigen Fall sowie zwei entsetzlichen Verbrechen zu tun: Die Polizei findet einen jungen verwirrten Mann an einer Bushaltestelle, seine Kleidung ist blutverschmiert. Wenig später stößt sie in einer Wohnung auf die Leichen einer jungen Frau und ihrer kleinen Kinder, all samt erschossen. An einem anderen Tatort wird eine Frau geborgen, die schon seit Tagen tot ist und bekannt dafür war, ihr Geld mit Prostitution zu verdienen. Fälle wie diese haben Jourdan mit den Dienstjahren verändert. Er ist desillusioniert, rastlos, müde vom Leben. In seinem Privatleben steht er als Ehemann und Vater vor einem Trümmerhaufen.

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Eines Tages trifft er auf Louise, die von ihrem Ex Lucas regelmäßig gestalkt und misshandelt wird. Die Frau ist alleinerziehende Mutter, die ihre Drogenkarriere hinter sich gelassen hat und nun als Haushaltshilfe bei meist älteren Menschen jobbt. Ihr kleiner Sohn Sam ist ihr Ein und Alles. Der Polizist und die junge Mutter, die schon früh ihre Eltern verloren hatte, empfinden zunehmend Gefühle füreinander. Doch die Suche nach dem Serienmörder lässt Jourdan keine Ruhe. Denn nach dem Fund der Prostituierten werden zwei weitere Frauen brutal angegriffen.

„Die Toten der letzten Tage. Er weiß nicht, warum er derartig besessen davon ist, gerade er, der geglaubt hatte, sich damit abgefunden, sich ein dickes Fell zugelegt zu haben, den Kampf ohne große Verletzungen auszutragen, manchmal zwar benommen von den Höllenlärm, der dabei entstand, der ihn aber nicht weiter störte und vielleicht jedes Mal ein bisschen mehr abstumpfen ließ.“

Die Geschichte des Mörders bleibt in Hervé Le Corres Thriller nicht unerzählt. Den Perspektiven von Jourdan und Louise fügt er noch eine dritte zu: die verstörende jenes Mannes, der, aufgewachsen in einer familiären Hölle, in seiner Jugend selbst zum Opfer wurde, als junger Mann in Afrika als Söldner kämpfte und es nun vor allem auf junge Frauen abgesehen hat. Seine Wut und sein Schmerz brechen sich regelmäßig Bahn.

Nacht als Dauerzustand

Wenngleich sich die Handlung auf mehrere Tage verteilt, kann der Titel des Romans nicht besser gewählt sein. Die Nacht wird vielmehr zu einem Dauerzustand; angesichts der endlosen Gewalt, die zu den tiefsten Abgründen des Menschen führt. Stetiger Regen und Dunst begleiten die Protagonisten. Von Sonne und Wärme keine Spur. Der nicht-natürliche Tod wird zum stetigen Begleiter, das Gefühl der Hilflosigkeit wird elementar.

„Die Leere und die Finsternis waren hier, um sie herum, in ihr. Sie kämpfte damit wie jemand, der im eisigen Wasser ertrank.“

Hervé Le Corre, 1955 in Bordeaux geboren, zählt zu den namhaftesten Kriminalschriftstellern seines Landes. Für seine Romane wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet. Für „Durch die dunkelste Nacht“, 2021 im Original erschienen, erhielt er den „Prix des Lecteurs Quais du Polar / 20 Minutes 2022“, der Roman stand zudem auf der Shortlist des „Prix France Bleu du Polar 2021“. Im Monat Februar belegte der Titel Platz 2 der Krimibestenliste von Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur.

Wer das Buch lesen will, braucht gute Nerven und sollte Blut und zerstörte Körper aushalten. Der Franzose schildert immense Brutalität ungefiltert. Vor allem extreme Gewalt gegen Frauen, die weltweit zu einem der drängendsten gesellschaftlichen Problemen zählt, reiht er aneinander. Dabei ist der Thriller kein oberflächlicher und an Triggern übersatter Splatter-Roman. Vielmehr ragt Hervé Le Corres sprachliche Erzählkraft heraus, finden sich Figurencharakterisierungen wie seine oder literarische Verweise, so auf Victor Hugo oder Charles Baudelaire, in der Kriminalliteratur leider viel zu selten. Das Ende des Noir vernichtet eine aufkeimende Hoffnung jäh und auf eine so entsetzliche Weise, das man als Leser wohl nach den letzten Sätzen erst einmal geschockt in die Leere starrt.


Hervé Le Corre: „Durch die dunkelste Nacht“, aus dem Französischen von Anne Thomas, herausgegeben von Thomas Wörtche; 339 Seiten, 17 Euro

Foto von Clément ROY auf Unsplash

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