„Wie kann man ewig leben, wenn man nicht vorsichtig ist.“
Selbst das Dach eines Rolls Royce ist kein schöner Ort, um den letzten Atemzug zu tun. Claire Gravesend stirbt nach einem Fall aus großer Höhe auf einem Luxusschlitten – in einer der finstersten Gegenden San Franciscos. Privatdetektiv Lee Crowe findet die attraktive junge, nunmehr jedoch tote Frau am frühen Morgen. Dramatischer Auftakt des Thrillers „Bis in alle Endlichkeit“ des US-amerikanischen Autors James Kestrel, der für seinen großen Roman „Fünf Winter“ im vergangenen Jahr mit dem Deutschen Krimipreis sowie 2022 mit dem Edgar Award und den Barry Award geehrt wurde.
Anders als Erfolgsroman „Fünf Winter“
Bereits 2019 im Original mit dem Titel „Blood Relations“ und damit einige Jahre früher erschienen, ist „Bis in alle Endlichkeit“ anders als der Nachfolger, der in der Zeit des Zweiten Weltkriegs angesiedelt ist und an mehreren Schauplätzen, so auf Hawaii und in Japan, spielt. Wir bleiben nunmehr zumeist in der Metropole am Pazifik mit der bekannten Brücke, irgendwann im Jetzt oder in der jüngsten Vergangenheit und folgen Crowe, der in einem Hotel heimlich einen Zeugen abhört, der im Fall eines Kartellbosses aussagen soll. Bei seinem morgendlichen Gang entdeckt er die schöne Tote, macht ein paar Fotos, um sie an die Presse zu verhökern, ohne jedoch seine grausige Begegnung der Polizei zu melden.

Der Privatdetektiv braucht Geld. Nach seinem Rauswurf aus einer renommierten Kanzlei nach einem unschönen Vorfall hat er allerdings nicht nur seinen gut bezahlten Job, sondern auch seine Frau verloren. Crowe ist unten angekommen, sein Ex-Chef Jim versorgt ihn dann und wann mit Aufträgen. So vermittelt er auch den rätselhaften Tod der jungen Frau, deren Mutter Olivia, vermögend und einflussreich, nicht an einen Selbstmord oder einen Unfall glaubt. Bei seinen Ermittlungen, die ihn auch nach Boston führen, wo Claire studiert hat, trifft Crowe auf eine Doppelgängerin, die wie das Opfer merkwürdige Narben auf dem Rücken entlang der Wirbelsäule hat.
Gerät selbst ins Fadenkreuz
Der Privatdetektiv, der zugleich als Ich-Erzähler von seinen Erlebnissen berichtet, überschreitet dreist und kühn moralische wie legale Grenzen. Unterstützt von windigen Helfern, stößt er bei seinen Recherchen nicht nur auf eine gemeinsame haarsträubende Vergangenheit der beiden Frauen und auf einen mysteriösen Privatclub. Als er eines Tages sein Büro auf den Kopf gestellt vorfindet, ahnt er, dass er selbst ins Fadenkreuz der Täter und damit in Gefahr geraten ist.
„Wir hätten trefflich darüber diskutieren können, welchen Sinn es hatte, ein Leben zu verlängern, das keine Erinnerungen wert war. Aber er lag bewusstlos in einer Pfütze aus Blut und ich musste das Haus durchsuchen.“
James Kestrel ist das Pseudonym des US-amerikanischen Autors und Anwalts Jonathan Moore, der vor seinem Jura-Studium einen recht abenteuerlichen Werdegang absolvierte, unter anderem Restaurant-Besitzer in Taiwan, Wildwasser-Rafting-Führer sowie Betreuer in einem Camp für jugendliche Straftäter war. Seine Werke sind preisgekrönt und wurden in zahlreichen Sprachen übersetzt. Kestrel lebt heute mit seiner Familie auf Hawaii.
„In diesem Moment begriff ich, was Ewigkeit bedeutete. Was bedeutete, immer weiter zu leben, was es bedeutete, zu sterben. Aber es lagen keine Angebote auf dem Tisch, die mir eine Wahl gelassen hätten. Ich hatte die Wahl schon getroffen. Ich lag hier in der Dunkelheit und spürte ein tiefes Einverständnis.“
Sein packender Thriller führt in die Welt der Reichen und Schönen, die mit Geld und einer unmoralischen Unverfrorenheit alles kaufen können, und widmet sich – so viel darf an dieser Stelle wohl verraten werden und klingt im Titel des Buches leicht an – den Möglichkeiten der Gentechnik und der Suche nach dem ewigen Leben. Ein spannendes, wie aktuell brisantes Thema, das allerdings eher gestreift, als in aller Tiefe herausgearbeitet wird.
Der Roman, der an die Tradition des amerikanischen Noirs anknüpft, überzeugt vor allem dank seines spannenden wie wendungsreichen Plots, der für die eine oder andere Überraschung sorgt. Wie in „Fünf Winter“ kommen auch Gefühle nicht zu kurz. Darüber hinaus hat Kestrel mit Crowe eine interessante weil vielschichtige Figur geschaffen, die unbedingt weiterhin in der Krimiwelt einen Platz haben sollte.
Eine weitere Besprechung gibt es auf „Buchblogger24“.
James Kestrel: „Bis in alle Endlichkeit“, erschienen im Suhrkamp Verlag, herausgegeben von Thomas Wörtche, in der Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Stefan Lux; 430 Seiten, 20 Euro
Foto von Landry Gapangwa auf Unsplash

