Morgan Audic – „Das kalte Schweigen der See“

Krimis mit der eisigen arktischen Welt als Schauplatz gibt es nicht gar so viele. Wohl auch nicht jene, in denen ein Eisbär zum Verdächtigen in einem Tötungsverbrechen wird, wobei der König der Arktis nicht unbedingt als Kuscheltier gilt, auf Spitzbergen keiner ohne Waffe vor die Haustür tritt. Das norwegische Archipel im arktischen Ozean zwischen Festland und Nordpol ist einer der Handlungsorte des Thrillers „Das kalte Schweigen der See“ aus der Feder des Franzosen Morgan Audic.

Schreibender Lehrer

In seinem Heimatland ist Audic kein Unbekannter, dies ist allerdings sein erster Thriller, der auf Deutsch erscheint. Und es können gern weitere folgen, denn der Franzose hat für seine Werke nicht nur einige Preise eingeheimst, er hat eine besondere Art, einen Kriminalfall mit einem spannenden Hintergrund zu umkleiden. Das Markenzeichen des Autors und Gymnasiallehrers für Geschichte und Geografie ist es, dem Leser, die Leserin unterschwellig eine Lehrstunde in Sachen Geschichte und Geopolitik zu erteilen, ohne dass man es unbedingt merken muss und dass darunter die Spannung leidet.

Der Mörder der Studentin und angehenden Meeresbiologin Agneta Sørensen, die leblos und furchtbar zugerichtet an einem Fjord entdeckt wurde, ist keineswegs Meister Petz in „white“. Vielmehr ist sie das erste Opfer einer Serie, denn ein zweites folgt. Auf den Lofoten, eine ebenfalls norwegische Inselgruppe mehr als 1.000 Kilometer südlich von Spitzbergen gelegen, wird eine weitere Leiche entdeckt: Åsa Hagen, die früher als Kriegsreporterin um die Welt reiste, nunmehr Meeres-Safaris für Touristen anbietet. In beiden Fällen nehmen unterschiedliche Ermittler die Jagd nach dem oder die Mörder auf: Auf Spitzbergen lebt und arbeitet Polizistin Lottie Sandvik. Sie hat es aus Oslo in die Arktis verschlagen, sie spricht perfekt Russisch, leidet unter Panikattacken und ist nach dem Aus ihrer Ehe zudem alleinerziehende Mutter.

„Wieder eine Postkartenkulisse. Die raue Schönheit der Lofoten ließ einen fast vergessen, dass die Inselgruppe jahrhundertelang ein Land der Seeleute und der Witwen gewesen war. Dass der Tod immer präsent war, bereit, aus Schaumkronen hervorzubrechen, Schiffe zum Kentern zu bringen und Männer in die Tiefe zu reißen.“

Auf den Lofoten versucht hingegen Hagens einstiger Journalisten-Kollege und Partner Nils Madsen, den Tod Åsas aufzuklären. Er glaubt nicht an ihren Suizid, von dem viele ausgehen. Auch zuerst die Polizei, die ohne viel Eifer und Ehrgeiz ermittelt, um jedoch mit der Zeit Walfänger als mögliche Verdächtige ins Visier zu nehmen. Man ahnt es schnell: Beide Fälle haben miteinander zu tun. Denn beide Opfer haben jeweils eine furchtbare Entdeckung machen müssen. Sie waren einem mysteriösen Walsterben auf der Spur, verursacht von mächtigen Drahtziehern. In seinen Anmerkungen am Ende des Romans beschreibt Audic den brisanten wie traurigen Hintergrund seines Romans, der an dieser Stelle der Spannung wegen nicht verraten werden soll.

Besonderheiten Spitzbergens

Was Audics Thriller so rundheraus lesenswert macht, ist nicht nur die eindrucksvolle Kulisse, die der Franzose bildhaft, atmosphärisch und auch mit viel Hintergrundwissen angereichert beschreibt; so erzählt er viel zu den Besonderheiten Spitzbergens, wo Norwegen sowie Russland einst Kohle gefördert haben und heute vor allem Arktisforschung betrieben wird. Seine Figuren sind nahbar, sie bekommen ihre eigenen persönlichen Geschichten, die die Story facettenreicher werden lassen.

Der Roman spielt kurz nach dem Beginn des Überfall Russlands auf die Ukraine, zwischen Norwegen und dem östlichen Nachbarland verschärfen sich die Spannungen. Krieg ist allgemein ein großes Thema des Romans. Ihre auch traumatische Erfahrungen als Kriegsreporterin hat Åsa dazu gebracht, ihren Job an den Nagel zu hängen, ein neues Leben aufzubauen – ohne das ständige Reisen, ohne die stetige Gefahr und fern von politischen Konflikten, dafür in der norwegischen Idylle nah an der Natur, nahe am Meer, was ihr allerdings letztlich zum Verhängnis wird.

Dem Franzosen gelingt es darüber hinaus eindrucksvoll, die beiden Geschichten, Schauplätze sowie Ermittler letztlich zusammenzuführen. Der Plot ist nicht nur klug konstruiert und fesselt. Er sensibilisiert auch – für Natur- und Umweltschutz, für die Auswirkungen des Klimawandels, wobei wir wieder beim Eisbären gelandet wären. Das schwindende Eis in arktischen Regionen zwingt die Giganten auf der Suche nach Nahrung, sich menschlichen Siedlungen zu nähern. Und auf Spitzbergen, dort wo sich auch der Saatgut-Tresor der Welt befindet, zeigen sich die Auswirkungen des Klimawandels mehr denn je.


Morgan Audic: „Das kalte Schweigen der See“, erschienen im Verlag Hoffmann und Campe, in der Übersetzung aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz; 416 Seiten, 24 Euro

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