Unfassbar – David Garnett „Dame zu Fuchs“

„Wo eben noch seine Frau gewesen war, stand, mit leuchtend  rotem Fell, ein kleiner Fuchs.“

Wollen wir uns nicht ab und an in ein Tier verwandeln? Wenn uns Stress plagt in ein Faultier, wenn eine peinliche Situation droht in eine winzige Maus oder in der kalten Winterszeit in einen Delfin, der über die Wellen eines tropischen Meeres springt. Allerdings sollte es sicher sein, dass wir wieder zu einem Menschen werden. Denn das berührende Schicksal von Mr. und Mrs. Tebrick in dem Roman „Dame zu Fuchs“ von David Garnett zeigt uns die andere Seite der Verwandlung. 

fuchsAllzu plötzlich geschieht dieses Unfassbare: Während eines gemeinsamen Spaziergangs, bei dem Mr. Tebrick eine Jagd mit Interesse beobachtet, wird aus seiner Frau Silvia eine Fähe. Keiner von beiden will das Ereignis hinterfragen. Vielmehr versucht Mr. Tebrick, seine Frau erst einmal vor bösen Blicken und möglichen Gefahren zu schützen. Er bringt sie in das gemeinsame Herrenhaus und in Sicherheit, entlässt die Hausangestellten und tötet sogar die eigenen Hunde. In den ersten Tagen klammern sich beide an den bekannten Alltag, unterdrücken tierisches Verhalten und ihre Erscheinungen, um Anstand und eine gewisse Sitte zu bewahren. Mr. Tebrick liest ihr vor, kleidet sie trotz ihres Fells in ein Pelzjäckchen ein, nimmt sie sogar mit an den Esstisch und in das Bett, mit Parfüm vertreibt er den beißenden Geruch. Doch nach und nach wird für den Mann klar, dass seine Frau ein Tier ist mit Instinkten und einer grenzenlosen Jagdlust. Sie stellt Enten nach und tötet später ein Kaninchen, um es genüsslich zu verspeisen.  Um dem Gerede in der Nachbarschaft Einhalt zu gebieten, entscheidet sich Mr. Tebrick dazu, das Herrenhaus zu verlassen und in das alte Haus der Nanny zu ziehen, die als einzige von der Verwandlung erfahren hatte und weiterhin zu dem Ehepaar steht.  Doch Mr. Tebrick gelingt es nicht, seine Frau in einer festen Behausung zu halten. Mithilfe eines cleveren Tricks sucht sie das Weite und entwischt in die freie Natur.

Der Ehemann bleibt allein zurück. Doch seine Hingabe für seine Frau bewahrt er tief in seinem Innersten. Nie kommt er auf den Gedanken, sich von Silvia zu trennen, sie zurückzulassen. Selbst dann nicht, als sie als Fähe eine eigene Familie gründet. Kleine Fuchswelpen kommen schließlich auf die Welt, denen Mr. Tebrick Namen gibt. Die Fuchsgemeinschaft wird seine Familie, die er im Wald nicht nur besucht und beobachtet, sondern beschützt. Denn vor allem Jäger bedrohen das Leben der Tiere. Es liegt trotz der Trauer, des Schmerzes und der Eifersucht eine große Kraft in dieser Zuneigung, die den Leser sehr berühren. Als Behüter einer Fuchsfamilie hinterfragt Mr. Tebrick den Wert des Menschen und den der Tiere im gegenseitigen Verhältnis. An einer Stelle heißt es dazu:

„In diesem Augenblick kamen ihm sämtliche Bräuche und Einrichtungen der Menschen ausnahmslos unsinnig vor, denn, so sagte er sich, ,mein ganzes Leben als Mensch gäbe ich für mein gegenwärtiges Glück, doch selbst jetzt halte ich an nahezu allen lächerlichen Auffassungen der Menschen fest. Die Tiere sind glücklicher als ich, und ich werde mir dieses Glück so gut ich kann verdienen.'“

Die Verwandlung eines Menschen in ein Tier ist ein wiederkehrendes Thema in der Literatur. Man denke nur an die zahlreichen Märchen beispielsweise der Brüder Grimm und Hans-Christian Andersen. Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ über das rätselhafte Geschehen rund um den Tuchhändler Gregor Samsa, 1912 entstanden und drei Jahre später in der Zeitschrift „Die Weißen Blätter“ erschienen, zählt zu den bekanntesten Werken der Weltliteratur.  Von einer nicht minder interessanten Mensch-Tier-Beziehung erzählt die Trilogie des Briten Philip Pullman aus den Bänden „Der gläserne Kompass“, „Das magische Messer“ und „Das Bernstein-Teleskop“ bestehend. Darin ist jeder Mensch mit einem tierischen Begleiter, einem sogenannten Dämonen, eng verbunden. Und nicht zu vergessen die zahlreichen Fabeln, die von Tieren mit menschlichen Eigenschaften erzählen. Womöglich kann es auch als eine Anspielung auf jene literarische Gattung und konkret auf Äsops Werk „Der Fuchs und die Trauben“ gewertet werden, wenn Mr. Tebrick seiner Fähe Trauben zu fressen gibt.

„Dame zu Fuchs“ erschien im Jahr 1922. Autor David Garnett (1892 – 1981) erhielt dafür zahlreiche Preise. Garnett war umtriebig, wirkte als Buchhändler, Verleger, Kritiker sowie Autor und gehörte der Bloomsbury Group an, einer Gruppe englischer Künstler, Wissenschaftler und Intellektueller, zu der als wohl bekanntestes Mitglied die Schriftstellerin Virginia Woolf zählte. Seinen Roman widmete er dem schottischen Maler Duncan Grant, zu dem er eine homosexuelle Beziehung pflegte. Erschienen war das Werk in deutscher Übersetzung in den 50er Jahren bei Rowohlt mit dem Titel „Meine Frau als Füchsin“.  Mit einer neuen, optisch sehr liebevoll gestalteten Ausgabe erinnert der Dörlemann Verlag nahezu 94 Jahre nach der Ersterscheinung an dieses besondere Buch, das hoffentlich viele begeisterte Leser findet.

Denn der Roman ist zwar ein schmales, aber eindrucksvolles Meisterwerk. In seiner Groteskheit überzeugt er vor allem mit seinen zwei einzigartigen Protagonisten, die sich infolge des unerhörten Ereignisses zwar trennen, aber weiterhin eng verbunden bleiben. Das zeigen vor allem die Szenen, in denen beide die Grenzen zwischen Mensch und Tier übertreten und die Nähe des anderen suchen. Gerade darin liegt eine der großen Überraschungen für den Leser, die das Buch so prägen. Nicht nur die Verwandlung an sich verblüfft, auch wie Mr. Tebrick weiterhin zu seiner Frau hält, sogar die Beziehung nicht beendet, als sie mit einem anderen, tierischen Partner eine eigene Familie gründet. Der Erzähler berichtet von der Geschichte mit Humor, Herzlichkeit und Spürsinn für das Innenleben von Mann und Fuchs – nicht ohne die Wahrheit des Geschehens sich selbst immer wieder zu versichern. Das Ende ist Tragödie pur und lässt einen bestürzt zurück. Denn den beiden hätte man aus vollstem Herzen ein Happy End gegönnt.

Weitere Rezensionen erschienen auf den Blogs literaturen.de und Herzpotenzial

Der Roman „Dame zu Fuchs“ von David Garnett erschien im Dörlemann Verlag, in der Übersetzung aus dem Englischen von Maria Hummitzsch; 160 Seiten, 17 Euro

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